Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Sonntag, 26. Januar 1936
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Postfach 49 Hauptpost Ascona
26. I. 36
Lieber Mill.
Ich habe morgen alles fertig. Alles nochmal nachgesehn, die Arbeit war unermesslich. Das Papier auf dem ich schrieb wurde zu Stein. Ich glaube 250 Seiten im Buch; und ich wollte Jemand hätte mirs mal vorgelesen, wie man, ist man Tondichter, seine Symphonie mal hören muß vom Orchester. Ich danke Ihnen für all die Mühen, noch sehr für Bielerreise. Ich mach mir nie vorher Hoffnungen, weiß wie viel Glückstern dazu gehört, aufgeführt zu werden. Natürlich seine Welten steigen zu sehen, keine Kleinigkeit. Wie oft stand ich mit meinem Papa auf dem Johannisberg im Wuppertal [2] den Ballon steigen zu erleben wohl 7 Stunden oft.
Ich danke Ihnen auch noch mal für die gewonnene Polizeisache. Bin nun bis 31. März erlöst davon. Bezahlte 18 Frc. für die 3 und den noch nicht bezahlten Dezember. Da habe ich dann wieder Nottage bestanden, die Tage der mageren Ähren, aber nun wieder auf der Höhe. Manchmal senden Dramaturgen was und heute 50 von Zürich und ich konnte sogar davon mitgeben. Von dem Geld wird man am gesundesten und frohsten. Ich bin nun wieder ½ 9 Uhr in die Café Kneipe Verbano gegangen, gleich kommen mehrere Bekannte, darunter – [3] ein Pilot – ein geflohener des Dritten Reichs, der nun ganz geheilt ist und abends mit uns malt am Tisch und Ulk dichtet. Sie wären ganz entzückt. Ich glaub aber, ich bin momentan die einzige unter den Asteken die arbeitet bis spät. Ich bin nur sehr besorgt um mein neu Buch; weiß nicht wie es gelungen. Ich hab so schwer darin gekämpft wie in Palästina selbst. Abends bringen mich alle nach Hause – vis à vis. Die Conditorei ist dann meist geschlossen (halb 10 Uhr schon) und ich muß einige Schritte ½ Minute etwa Berg zur Seite (zur jetzigen weißen beschneiten Seite des Haus) heraufsteigen. Noch länger singen dann die Begleitenden und pfeifen Lieder vor meinem Fenster, bis ich abwinke, aus Angst, [4] Signorell-Berger hören es, die rechts und links angrenzen an mein Zimmer. Ich habe gedichtet im Palästinabuch, ich wolle nicht Lehren geben, ich – habe immer die Schulbank gehaßt – und verstände viel besser wie Grammatik und Interpunktion – zwischen Sternenzeilen am Himmel, Comete zu setzen, Sterngeschriebenes dem Sternographen leichter begreiflich zu machen. Also so ähnlich. Heute brachte ich meine kleinen Bleiindianer und Neger mit, die ich schon aufstellte auf den Tisch. Sie erklären Frieden der Welt für ewig. Wäre doch bald alles wieder wie ehemals, als wir noch auf die Obstbäume kletterten und so schön in der Sonne faullenzten. Diese größte Kunst haben wir verlernt. In Jerusalem-Recharia da findet man sie öfters. Ich wollt ich wär wieder dort; da spricht die Welt mit einem lieb. Alle hier wollen mit – und ich habe Sehnsucht auch nach meiner – allerbesten Freundin dort. Sie schreibt fortwährend.
Ich bekam 13 Eier frische von einer hiesigen Farm gesandt.
Können Sie alles lesen? Ich nicht.
[1] Ich grüße Ihren lieben hochverehrten Papa. Sind Sie auch folgsam? Und Ihre liebe Schwester Renée.
Verzeiht verdorben.
[durchstrichene Zeichnung]
Ich kann nicht zeichnen heute. Zu müde.
[Blume]
Ihre Dichterin.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 23).