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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Samstag, 28. Dezember 1935

Emil Raas
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28. XII 35

Lieber Mill.

Ich glaube Sie verstanden mich falsch – es gehört wirklich weder Erfahrung noch ein Kilo Leid dazu, den Plan zu auszuführen, aber Interesse für die furchtbar Leidenden und Gefangenen Menschen in – Aber es ist nicht mehr nötig; ich führe es allein aus – aber eine andere Sache, die nicht den Juden schädigen kann, eher nützen. Ich habe mal gelesen: Gott ist unsere Urerinnerung und das allein könnte schon zeugen für Sein Dasein. Verzweifelt, zweifelt man auch sicher oft, angesichts der Misèren, so wird auch in mir klar, daß man Ihn suchen muß in all der Nacht. Es geben Sehnsüchtige die reißen an Ihm. Wenn es mir gelingen soll, so sollt ich es ausführen, im anderen Fall wird meine Handlung einen anderen Grund haben. Ich finde das Leben hier noch flacher im Grunde wie überall sonst. In Paris habe ich so liebe Menschen mit denen man [2] sich unterhalten kann über alle Dinge und erst – wie war es noch vor 3 Jahren in Berlin. Hier fehlt nicht alleine die Tiefe auch das breite weite Lachen und gerade in der Lustigkeit erkennt man die Vornehmheit der Menschen, bricht auch mal der Krug wie mein letzter Brief an Sie. Ertappe ich mich, so war er – Hohn. Sie sind ja immer so klug und weise – gar nicht minderwertig fühlen Sie Sich, im Gegenteil Sie sind in großer Angst Sich zu verschütten – so wichtig nehmen Sie jeden Tropfen von Sich. Ich aber verschwende mit meiner Seele und darum ist sie überseeisch und könnte oder kann moussieren. Ersticken Sie weiter Ihre Schreie im karrierten? Kissen – ich wäre sonst vielleicht total zerrissen von Beleidigungen heim nach Zürich gefahren. Ich wollte wirklich keine Aventüren, aber – sehen Sie das war es – Trost. So gar nicht konnte ich mit mir fertig werden. Ich sei ein Primaner, neckte mich Dr. Roms Frau. Nun hab ich mich am Schnee der Seele gewöhnt, ein Grashalm stecke ich wo auf einem Gipfel, das heißt in der Schneelocke eines Weihnachtsmanns, eines Schneemanns, den sich paar ausgelassene Stürme gebaut haben. Man darf nie innige Fröhlichkeit verlieren, danach kommt Bitterkeit. Ich schrieb Ihnen heute Nacht einen Brief, den ich zerriß; merkwürdig ich gerade werde immer enttäuscht. Das heißt, ich [3] kenne wohl die Menschen, aber reiche immer das, was mir das Höchste scheint. Heute noch lieben sie die Dichtung, morgen werden sie »gelassen«, »abgeklärt« darüber stehen. Ob »sie« das übersteht? Verzeihen Sie die Wendung, da ich sonst nie ironisch spreche – mir zu witzig und leicht meist.

Kein Mensch geht am anderen zu Grunde, er geht immer nur an seiner feinen Qualität zu Grunde. Drei Menschen geben es in der Welt heute, die ich kenne und ehre, die ein Leidwesen kämen sie in flache Hände. Unter den Drein sind Sie; das war meine Furcht. Ich selbst bin [4] gefeit, trotzdem Pardon ich ein Kneipenmensch bin. Hier: Verbano vis à vis von mir ist so eine. Vor mir ein Tisch: Millionäre aus »niederer« Stratophäre, aber voll Größenwahn. Wir aber Vertriebenen Dichter sitzen an kleinen Tischen ein Jeder in seinem Kahn.

Von der Polizei noch keine Antwort. Aber er grüßt sehr nett und morgen bringe ich seinem Kind einen Honigmann. Ich schrieb in meinem Palästinabuch, wo soll der Jude anders hin, als in sein Heimathaus, in die Synagoge, nun sage ich wo soll der Jude hin, als zu Gott. –

Bitte nehmen Sie nur die Ehrlichkeit meines Schreibens auf, grüßen Sie Renée. Ich hab ihren Kuchen nun hier im Verbano mit Café aufgegessen. So schön!

Und bitte grüßen Sie Ihren verehrten Papa.

Ihre Dichterin

Ich spreche ja noch nicht in Bern; ob überhaupt. Ich möchte ja nach Palästina.

[3] Machen Sie öfters Touren; ich kann nur hohen Berg nicht steigen, da ich mal links Jahre gelähmt war.

Einzelne hier sehr nett. Heute schrieb mir ein Cardinal von Deutschland so lieb. Daraus entnehmen Sie wie auch diese leiden.

Meine Zunge viel besser

[5] Ich bekomme nun von Dr. Oprecht 100 Frc. monatlich.

Die anderen geben seitdem nix mehr. Aber – sagen Sie es nicht, denn man darf ja nichts verdienen.