[125] Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Mittwoch, 16. September 1936
Zürich Fraumünsterpost postlagernd
16. Sept. 36
Lieber Mill.
In aller Eile. Ich erlaubte mir an Herrn Dr. Messinger zu schreiben wegen: Hendrik Landau, ein Gelehrter, aber doch ungelehrt, ein Jessayjünger, der muß auch bei Ihnen in Bern sprechen. Er ist feiner lieber Mensch, kommt aus Tel-Aviv; [über dem Bindestrich eine waagerechte Mondsichel] dort wohnt er mit seiner Mama. Ich kenn ihn schon von Berlin her, er kam öfters von Wiesbaden dorthin. Er heult manchmal dann – predigt er entzückend und ich ruf dann: »Bei mir Missisippi«. Da er den großen Zeigefinger drohend ermahnend erhebt. Sieht lieb und gut aus und vielleicht verliebt sich Renée in ihn. Sagen Sie ihr ja. Interessant ist er. Gestern waren wir vis à vis im Künstlercafé: Nordsüd Enkel vom Roman. Café: Café New-Jork in Berlin. Sofort machen die Künstler einen Abend für ihn. Freute mich, denn er muß davon was haben. Steht mir ähnlich wie Stenzelchen vis à vis. Bitte laden Sie ihn mal einen Abend zu sich privat ein. Sie haben keine Reue, auch Renée und Ihr Papa nicht. Ich muß jetzt zum Verleger. Franz Werfel schrieb noch einen großartigen Brief an Direktor Rieser hier. Werfel und ich wollen mal Sir Ratcliff spielen. Ich: Ratcliff, ein schottiger noch Wilder – er den Ritter den Vater der Marie. 3 × treffen wir uns am großen Brunnen der Stadt in der Nacht und fechten. Wie ich Ratcliff las von Heinrich Heine [Davidstern] ja – so liebe ich wie der Ratcliff von Kind auf. Höchst überspannt gewollte Sprache, aber nur Maske. Gestern kam auch Frau Dr. Farbstein ins Café, wir sind nit so!! Einfach toll!!
[Frauenkopf im Profil mit Federschmuck] Euer Jussuf
Wenn ich nur eins wüßte – ich brauchte sie auch niemehr sehen!!!
Ist Dr. Gafner wieder da?