Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Mittwoch, 27. Mai 1936
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27. Mai 36
Draußen an einem kleinen runden Tischchen bei Verbano. Ich trank 2 Tassen Chokolade in Wasser u. 1 Schnecke (Bäckerei)
Sehr lieber Mill.
Sie tun so viel für mich; aber auch immer will ich was anderes. Ich möchte auch mal für Sie was tun; so was indianerhaftes Gefährliches, Gefahrbedrohendes; wo Sie alle [Kopf im Profil mit Federschmuck] Angst hätten die That auszuführen. Aber ich male Ihnen ein herrlich Aquarium, so wie der Abend [über dem A ein Stern] vorüber – ein Aquarium mit Korallenbaum und tollen Fischen, auch einen blauen Tintenfisch. [2] Es war lieb von Ihnen mich gestern und heute anzuklingeln. Aber Sie geben dann gewiß zu viel Geld aus. Mir schadet der Banquerottt weniger, ich bin schon dran gewöhnt und habe Routine. – Die Plakate hängen schon alle im Dorf und im großen Ganzen alles schon vorbereitet. Ich möchte mir mal eine Culisse bauen oder zeichnen. Ich werde versuchen. Heute um 12 Uhr kam Nationalrat Gafner und wirklich er verstand meine Bilder schön und – denken Sie, er verstand, [3] daß ich meine Bilder oft zurückraubte aus Boudoiren den Barbaren. Sie werden Sich wundern wie künstlerisch er denkt, ja Sie werden Freundschaft mit ihm schließen. Theben hat beschlossen Sie zum Nationalrat in binnen zwei Jahren zu avanzieren. Ich sagte ihm folgendes auf seiner Frage: Ich kenne Sie schon fast 2 ¾ Jahre, Sie und ein Freund haben mich zum Vortrag eingeladen und Sie wären so mitleidig und grenzenlos nett zu mir. Ich habe Sie seit Vortrag nicht gesehen und aber Sie erkundigten Sich [4] öfters nach meinem Wohlergehen. Wir lernten uns ungefähr der Doktor und ich so kennen. Im Teatro war ein Musikabend und er saß neben mir – ich wollte immer geräumiger sitzen und beinahe hätten wir uns gezankt. Dann setzte ich mich, da im Zug saß eine Bank zurück. Nachher Pause kamen wir ins Gespräch. Ich sagte, ob er ein Emigrant sei, Jude doch sicher und alles ging so frech. Nun ist er wirklich so – von beinah hätte ich geschrieben entz. von mir daß er länger bleibt zu meinem Abend Samstag 8 ½ Teatro Sant Materno. [5] Die Hauptsache (Centralangelegenheit – Sie werden Nationalrat. Ich hätte meine Freude sehr, aber Sie würden Sich weigern und ich denk nur an Sie. Glaubet nur immer, Mill, ich bin Robinson oder Freytag – gescheitert wo am Riff eines Rivers oder wo am Riff. Als wir gesprochen früh – bekam ich so Nasenbluten und ich färbte damit die Minuten unseres Gesprächs. Ich freue mich nur immer, Sie sind froh. Ich bin heute froh, darum lauern um mich die Mücken. Hier sind sie farbig. Ihre Dichterin
[6] Lieber Mill hab ich auch kein Unsinn geschrieben?
Bitte nicht falsch verstehen mit dem Nationalrat den Theben [Mondsichel mit Stern] verleiht.
Ich will nur alles Schöne für Mill.
[Kuvert:]
Herrn Fürsprech
Emil Raas
Bern
Balmweg 7.
Anmerkungen
Poststempel: Ascona, 27. 5. 36.
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 27).