Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Donnerstag, 20. Juni 1935
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20. Juni. 35.
Sehr lieber Mill.
Ich habe mal gelesen, dass die Seele der Mensch selbst ist aber sein innerster, aber genau so aussehe wie der äussere. Nun war ich so müde an Leib und Seele und so getrieben und fertig muss übermorgen alles sein, spätestens überübermorgen dass ich am liebsten nachts aufgeblieben wäre und weiter Correktur gemacht. Zwei Manuscripte ja müssen corregiert werden – aufreibende Arbeit. Zwei Direktoren sind auch dabei zu verhandeln wegen der antiquar. Bestände mit Berlin. Damit ich mich mal rühren kann. Ich wär aber sicher doch mal schnell an den Mosesbrunnen gekommen, aber ich bekomme erst Montag wieder Geld und von der Neuen Zürcher Z. in diesen Tagen und dann pack ich schnell meine Habseligkeiten, stell alles hier an der Bahn für Ascona unter, oder gebs schon auf und komm eben mal nach Bern. Und nun kam noch dazu, ich fürchte die beiden Grüns haben Ihnen gesagt, dass ich so nett von der Stadt Bern gesprochen und haben Sie beeinflusst, mir zuzusprechen??,? Das wäre mir unangenehm, wirklich wahr! Ich geh denn also sofort an den Mosesbrunnen vor dem Tore und telephoniere oder wie Sie es wollen, um sich paar Stunden frei zu machen, schreib vorher eine Karte frühzeitig. Sie zeigen mir dann auch die schwarzgrünen Bäume in Ihrem Garten, den ganzen Wald. Im Wuppertal wohnten wir auch am Fuss des Waldes und ich kann noch Walddialekt sprechen und verstehen. Sie werden Sich wundern. Wie alles doch so komisch ist! Sie haben mich nun auch schrecklich [2] pessimistisch gemacht, da Sie schrieben vor einiger Zeit, alles ende doch so tragisch. Da musst ich bei jedem Schritt denken, ich verunglücke oder sonst was. Ich arbeitete immerzu, stand auf zur Arbeit und schlief, um morgens früh zu erwachen um wieder zeitig an die Maschine zu gelangen. Morgenstunde hat Maschine im Munde! Draussen wächst der wilde Wein – vielleicht irren sich die Trauben mal. Von den wilden Juden habe ich viel geschrieben in Jerusalem vor der Stadt in ihren Zelten. Mill, bitte kommen Sie auch was nach Jerusalem. Ich zeige Ihnen dann alle alle alle die uralten Merkwürdigkeiten. Sowie Buch erst heraus krieg ich so viel Reisebillette wie ich will. Hier zeige ich morgen früh dem netten italien. Direktor (Reederei) mein neu Manuscript. Der Luxuslloyd Esperia auf den ich damals nach Alexandrie fuhr kommt auch in mein Buch. Aber wie Sie wollen. Meinetwegen bleiben Sie in Bern. Nachher gefällt Ihnen das Meer nicht oder die Bergrücken von Ithaka nicht, dann hab ich die Schuld. So was übernehm ich nicht.
Ich bin fest überzeugt dass Ihre Arbeiten wunderschön werden und das weiss ich ganz ganz genau! Ich seh Sie manchmal am Fenster sitzend schreiben und dann wieder aufblicken. Wie muss Ihnen zu Mute sein und wie schön müssen Sie alle Dinge sehen mit blauen Augen. Ich brachte auch oft Nächte im Wald zu, hörte morgens das prachtvolle Vogelconzert und sah die erste Helle oben am Himmel durch die Zweige. Aber ich bin überzeugt, Sie wissen noch mehr von dem Waldgeheimniss und Sie sind zu beneiden darum. Wir wollen Waldbeeren sammeln und Erdbeeren und Eicheln und Blätter. Wenn ich noch vergessen dürfte eine Stunde diese Schrecknisse der unbelaubten Welt, [3] aber wohl nicht. Nach Paris musste ich leider absagen, aber ich las gestern im Pariser Tageblatt ich sei da oder käm zum Congress. Also bin ich vielleicht doch da. Bin sehr gespannt. Auch bin ich jetzt so müde für diese Stadt. Aber später reis ich noch mal hin. Ist Ihr kleiner Vetter aus Paris? Und viele sehr liebe Grüsse Ihrer lieben Schwester. Ich hab so nette Spielsachen wieder gesehen, die ich ihr und mir dasselbe kaufe in diesen Tagen, sonst schäm ich mich es mir zu kaufen. Das ist im Grunde gar nicht kindisch oder kindlich, auch nicht naiv, aber was anders. Ich mach Naivitäten gar nicht. Was es ist habe ich noch nicht nachgedacht, da es mir eine Augenfreude macht. Ich habe auch wunderbare Glasknöpfe und Steine eine ganze grosse Schachtel voll. In Ascona werde ich öfters damit spielen. Lauter grosse bunte Regentropfen, manche sehr traurig, manche funkeln direkt. Denken Sie an mich manchmal gut. An Pampa im Kraal. Lieber Mill.
Inl. eine Hecke für Ihr Zimmer.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 18).