Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Dienstag, 25. September 1934
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Fraumünsterpost postlagernd Zürich
25. Sept. 34
Lieber lieber Mill Raas.
Da war keine Vase groß genug; nun stehen all die Georginen und Astern und weißen Löwenzähne in einer großen Schüssel und sind so heiter und bunt. Ich danke Ihnen sehr! Auf der Post schreibe ich und der Marmor rutscht – der Bogen ist sehr ungehalten darüber und – die Bogen sind so dünn, immer regnet es Tinte durch. Verzeiht mir sehr! Ich hoffe, Sie sind wohl und [2] Ihre Paragraphenarbeit werden Sie immer gewohnter und dauert aber nicht mehr zu lang. Ich seh Sie oft sitzen, manchmal gucken Sie auf – in die dunkelgrünen Kastanienbäume. – Die herabfallenden Igel die braunen Kastanien, noch in der Schale, liebe ich auch sehr! Ich wünschte nur, Sie strengen Sich nicht allzusehr an; denn wird man leicht nervös und darum nehmen Sie alles spielerischer hin. – Sie wollen mich doch auch mal verteidigen? Bis dahin hab ich sicher was ausgeheckt. Meine weiße Georgine ist sehr [3] schüchtern geworden – das stimmt! Sie weiß nie wie? Sie ist den Gärten und Beeten und Sträußen gewachsen, aber oft, nicht immer gehemmt dem wirklichen Leben gegenüber. Auch fühlt sie sich immer im Selbstkampf. Aber ich habe zwei neue Gedichte gedichtet. Das eine kommt Nov.nummer: Sammlung – das andere dichtete ich einen Abend vorher Ihre Blumen kamen und Ihr Brief. Möchten Sie sie haben? Vögel [drei fliegende Vögel] brauchen Sie nicht wiedersenden, von draußen kommen genug an mein Fenster. Im netten Körbchen liegen nun alle meine Zeichensachen. – – Ich war in Basel und Bern – [4] [Blume] überall einen Tag mit der Julia. Die führt großen Prozess hier. Sie ist schwer betrogen worden. Ich hätte Sie so gern gesehen, aber – (ich stand schon am Telephon,) ich klingelte nicht an – da wären Sie vielleicht gestört worden in den Arbeiten. Ich schwärme für Bern. O die Gasse mit dem runden Tor, ich meine den Torbogen und hebr. Aufschrift (Herrngasse). Ich saß allein auf dem Kastanienplatz indess Julia zu besprechen hatte, ich dachte, Sie kämen ......
Abigail
[Kuvert:]
Herrn Emil Raas
Bern
Balmweg 7
Anmerkungen
Poststempel: Zürich, 25. 9. 34.
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 11).