Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Ende April 1936
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Lieber Mill.
Ich schreib hier am kleinen Tisch am Fenster im Verbano unserer Kneipe mit Bleistift. Verzeihen Sie bitte. Es ist noch sehr regnerisch, heute fortwährend trübe, aber doch Frühling. Die lila Blumen hier am schönsten, die kleinen auf den Wiesen, alle erinnern mich an zu Haus an mein Wiesenschaumkraut. Ich will aber nicht – »poetisch« werden, das dürfen nur Franzosen wie die ja auch Poéten sich nennen. Ich bin eine Dichterin und laß ungern in mein [2] – Feenreich sehen durch mein Glas wie das früher Ostereier hatten. Wenn auf dem Schiff jemand den Sonnenaufgang oder Untergang besang, fragte ich ihn: Wie die Curse (oder Course) stehn. Ich kann spießbürgerliche Reisende nicht ertragen und war eigentlich allein auf dem Schiff damals – Hinfahrt. Nur ein Student lief über Deck öfters, oder trabte vielmehr wie ein Kameel durch die Räume, ihm zur Seite eine schöne Italienerin mit blondgefärbten »Ponnis« – mir fällt das Wort so komisch ein von Deutschland noch. Es heißt Stirnhaaren. [3] Er war der Sohn vom Großrabbiner Prado in Alexandrie und machte mir gerade entsetzt die Türe auf zum Osterfest, zu dem mich der singende Zadik eingeladen – denn er hatte eine wirkliche Braut und die saß mir gegenüber bei Tische. Zwei Araberjuden in weißen Hemden und blauen Schärpen bedienten. Nachher machten wir alle Musik mit den kleinen Compotelöffeln; an unseren Gläsern klopften wir zum Gesang des großartigen Rabbuni, der ein Grande ist noch nebenbei. Ich habe Sehnsucht nach Egypten und vor allem nach Jerusalem. [4] Schäme mich jetzt gerade nicht dort zu sein. Im Aufstand – (die jüdischen Bauern forderten unumschränkte weitere Einwanderung der Juden, saß ich –) es war eigentlich verboten mit einem Beduienen in rosa und rose gekleidet und einen Turban trug er, mitten in der Stadt teilten den einen Stuhl, der immer dort wo steht an einer Hauswand gelehnt. »Bei mir« – dacht ich: Missisippi! Und wirklich die ganze Schwadron Engländer, Schotten lachten heimlich. Es ist ja ganz anders in Jerusalem wie in Europa.
[5] Vom Verleger noch keine Antwort. Aber das geht nie so schnell. Auch von den Regisseuren noch kein entgültigen Bescheid. Franz Werfel ist in Locarno. Wir haben neue gute Freundschaft geschlossen. Ich las noch mal Ihren vorletzten Brief. Ich glaube, Sie haben vieles nicht entziffern können in meinem Brief. Ich habe doch manches gar nicht geschrieben, worüber Sie mich fragten. – Ich habe bis 1. Juni Erlaubniß hier zu bleiben, mußte 19,50 ctm ungefähr [6] bezahlen für 2 Mon. und der Polizist sagte, ich müsse Visum Berner und Bellinzonavisum bezahlen. Sie machen mit uns was sie wollen. Damals hatten Sie wohl die Visums bezahlt?? Da ich nur für 3 Mon. 9 Frc. ungefähr bezahlen mußte. Da fällt mir ein, daß Sie damals schrieben, ich sollte nichts vom Geld schreiben. Bitte Antwort!! Ich sende es nicht wieder das eine Mal, also bitte Antwort. Gestern verkaufte ich Familie die persischen Priester in Jerusalem Bild für 250 Mark, die die sehr [7] reiche Käuferin in Berlin, wohin sie retournierte 3 Menschen einhändigt. Ein Stein fiel mir vom Herzen und ich kann wieder schlafen. So geht es dort. Ich habe doch nicht vom Geld geschrieben wie ein Krämer, ich wollte eigentlich bitte bitte nicht übel nehmen, Ihnen sagen, falls Sie momentan in Verlegenheit sind, Sie sollen es nur nicht für paar Franc abgeben. Jeden Monat zeichne ich 2 Bilder zu hundert Frc. zusammen nach Zürich. Da hab ich doch wenigstens sicher 100 Frc und [8] ich bin – gerettet. Aber ich werde nun wieder paar Salons anfragen, auch Grete Ring, die oft kaufte zu verkaufen, ob ich senden soll denn ich kann ja wieder zeichnen. Heute, eben zeichnete ich indianische Tänzerin und 2 Indianer tanzen mit ihr. »Einfach toll!!!« Das reiche Frauenzimmer will auch sehen, daß in Berlin Jemand die Palästinabilder kauft – versprach sie mir. In Berlin nannten wir nie die Namen von den Kaffern sondern Nummern. Was sagen Sie? Ich hatte mystisches Bureau. [9] Je höher entschwand ich in den Goldfernen. Aber das kann ich nicht mehr. Denken Sie!! – Noch was, ich lernte einen belgischen Arzt kennen, sehr interessant, er war – entzückt von mir – Ehrenwort; so hab ich gesprochen – also objektiv – denken Sie – Spätherbst schon eingeladen nach Antwerpen, Brüssel und Amsterdam, Haag etc. Städten zu Vorträgen. Und seine Schwester überall Präsidentin der Logen. Ich soll durch ganz Europa vortragen. Doch wunderbar von ihm? [10] Wenn ich wüßte, Sie – intrigieren nicht, würde ich Ihnen Brief senden. Nun sind Sie schrecklich beleidigt. Man wird mit der Zeit so gemein inmitten der Ritter und Ritterinnen hier. Morgen gehe ich Kino Locarno 7 Min. ungefähr Autoomnibusss von hier: Mazurka wird gespielt. Ich freue mich darauf. Hier am Samstag spielt Komiker: Einmanncabaret im Teatro Materno. Mein Vortrag erst Mitte Mai, da noch nicht genug Leute hier. Ich möchte viel lieber in Zürich sein. Hier die Gegend genau wie ein groß Reptil; ich [11] krieg den Ekel nicht los. Ich mag auch den See nur am Abend dann ist er dunkel wie ein Herz wie meins und fließt über unaussprechlich finsteren schwarzen Korallenbäumen. Bitte lassen Sie doch Herr Löb (?) Stenzelchen einladen. Er ist der Jordan in Gestalt und so kindlich und so nett verlogen. Nein nicht verlogen, aber er sprach früher unbewußt kindlich, dann bewußt; aber bei Mohnbrödchen verliert er die Kontenanz und Erbsensuppe. Aber er hat was an der Leber bekommen und darf, glaub ich keine Erbsensuppe mehr essen.
[12] Lieber Mill, ich hab oft das Gefühl, Sie möchten mich ohrfeigen, aber das tun Sie ja beständig ohne es zu wissen, zu wollen. Ihren Freund meinen Gruß. So nett wenn Sie über mich, Armen, sprechen. Im Gedanken bin ich immer Indianer, den man aber die Federn knickte. Ich hätte die 3 Jahre hier so gern Indianer gespielt, aber die Sehnsucht nach Nüchternheit unterband meinen reinen Wunsch. Nun bin ich wie die anderen Menschen steh mit 3 Frc. 50 Halbschuhen auf der Erde: und mach hier mit. Gestartet bin ich an meinem Metahartspiritusofen [13] um 2 Uhr heute, um ½ 3 alles fertig.
Der Himbeersaft der Firma Vander
Schmeckt gut mit Wasser ineinander.
Dazu ein schäumend Omelette
In Butter wird es nicht zum Brett.
Ich habe wieder Hunger sehr
Doch esse ich zur Nacht nichts mehr.
Ein Apfel zwar war ganz adrett.
Auch wartet eine gelblich grüne
Auf mich zu Hause Apfelsine.
Doch spar ich sie auf morgenfrüh.
[Sternenreihe]
Gute Nacht! Euer Jussuf.
[14] [Indianergestalt] Allein am River spazierend im Monde verloren und gebrochen
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 67).