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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Freitag, 19. Juni 1936

Emil Raas
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19 Mitternacht Juni 36

[Kirche mit zwei Türmen vor einer Bergkette, am Horizont der Mond]

Seh so liegend vom Fenster aus (Ich kann nicht abzeichnen.

Lieber Mill

Ich habe gestern an Nationr. Bild gesandt und Brief. Bald bin ich vor Schenkerei ausgeblutet. Ich fand es besser so denn er will vielleicht nicht, daß ich das Bild anders übermittele. Er war so sehr entzückt vom ähnlichen Bild und bat noch um so eins. Nun schrieb ich noch einmal von Ihnen – sehr fein; ich weiß es wäre Ihnen alles Ungehobelte unangenehm. Er bittet Sie sicher ihn zu besuchen. Bitte widersprechen Sie nicht wenn er fragt, ob wir selten correspondieren. Ich sagte so, damit er nicht glauben soll, ich wollte aus Interesse, er soll [2] Sie kennen lernen. Bitte sonst keinen Grund; für andere Menschen noch Menschen wie Sie, bin ich gewissenhaft und sehr vorsichtig. Mir selbst alles total egale; ich bin müde. Aber vorgestern sprach ich mit Verleger, er druckt und kommt extra Ende kommender Woche – heute Freitag nachts zwischen Samstag. Meine liebe Freundin Ella aus Berlin nicht gekommen – sie wurde wegen Unglücksfall zurückgerufen, aber sie kommt vielleicht wieder. Meine Aufenthaltserlaubniß bis 31. Okt. Ich mußte mich revanchieren beim Nationalrat. Ich bin nur glücklich darüber, ich habe in Berlin nach Menschvermögen gerettet. Diesen Wunsch hatte ich nun 3 Jahre und nun hoffe ich das alles gut, ich bald [3] in die Welt kann. Die Welt mit der weitgeöffneten Tür ist Jerusalem. Man geht dort immer ins Weite über die Jaffaroad und langt man an in Rehavia so langt man süß an und überraschend. Ich kann wohl sagen, ich bin so vernichtet – ich könnt mich kaput weinen. Hier eng, jeder macht Diplomatie. Abends bin ich so friedlich spazieren gegangen mit einer sehr lieben Schweizerin, der Meta von der Schule gegenüber. Eine Lehrerin, die nicht primitiv aber einfach ist und klug und ich habe das Empfinden, sie freut sich wenn wir gehen mitnander. Nun die verhaltene süßliche Angst der Besitzer der Schule, wir könnten von ihnen reden – sie suchen unsere Spaziergänge immer zu verhindern. Wie finden Sie das?

[4] Der Direktor ein Dichter. Was ich hörte und auch die Weihnachtsaufführung geradezu lachhaft diletantisch. Aber er ist feiner wie seine Frau aus Bochum, die ihm Diplomatie beibringen möchte und ihn verwirrt bei seiner Schwäche noch. Nun kennen sich alle Leute hier. Der Nehemia von der Colonie Palästinas eine Stunde von Haifa entfernt: Emek Joseph Erez Israël sehr sehr nett. Lassen Sie ihn erzählen in Bern von den Colonieen in Ihrem Bund. Aber die müßten für ihn sammeln, daß er, wenn er über Luzern nach Polen vorerst reist, von Luzern nach Bern reisen könnte, auch wo wohnt und ißt. Nun liebt ihn hier eine Gärtnerin, die früher schon im Emek arbeitete, ihn kannte. Ich hab sie beide getraut. Nun seh [5] ich ihn weniger und das tut mir leid, ich konnt ehrlich sprechen mit ihm. Aber immer mach ich so Dummheiten. –

Soll ich Ihr Gedicht mal an eine Zeitung senden? Oder wollen Sie das nicht? Ich weiß ja nicht, ob ich darf? Oder die Laune des Redakteurs es wiedersenden könnte, ob Sie es mir entgelten. – Es war gestern glühend, heute beginnt wieder die Glut schon in der Nacht. Es schlägt halb 1 – sehr lange eins und manchmal kommt Jemand vorbei und spielt Handharmonika oder singt ein italienisch Lied. Aber ich weiß bei mir alles erloschen. Ich bin ja nur so feige. Ich weiß wohl genau Bescheid über mich. Ich tu nur so den Nebenmenschen nicht mein Leben bequem zu machen. Ich kann gar nicht [6] erwarten fort zu kommen – wohin auch. Die Welt hat mir wirklich alles vereckelt und vergiftet, die Brocken verstreut auf den Weg, so daß ich nicht mehr finde. Lieber Mill, wollen Sie an eine Freundin von mir schreiben – die nun in Östreich ist, aber ich darf es nicht wissen. Sie muß mir zusprechen, ich geh sonst flöten. Sie muß kommen – denn ihre Schwester, die auch meine Freundin ist, befindet sich nun bei ihrer Mama, die krank ist – eine Burschenherrlichkeit mit der ich immer heimlich ins Kino am Meer und in Berlin ging. Ich schreibe Ihnen dann die Adresse und ungefähr was Sie schreiben – wenn Sie wollen und gern wollen und ich nicht anspruchsvoll scheine. [7] Mich verblüfft die niedere Situation täglich hier. Manchmal ist es ja nett, es wechselt. Aber ich weiß den meisten nicht zu begegnen und die – mir nicht. Was liegt mir an Geschenke, die sie mir manchmal senden; das macht es nicht. Lieber Mill, der ich so viel in dieser – – Zeit von mir rede! Gestern Abend sprachen wir – eine Dame und ich am Lago noch von Deutschland, aber sehr dünn, ein echter Piepvogel auch die Stimme. Ein Kanarienvogel der trillert. Wie geht es David Frankf. Und von Osiesky ist im Spital – endlich aus dem Konzentrationslager eine Weile. Lesen Sie auch? Und auch Oscar Grüns Journal? Ich lese auch immer. [8] Nun hab ich so hingeträumt – manchmal bin ich eingeschlafen müde. und nun schon 3 Uhr. Es schlägt 1 2 3. Schön nicht wahr? Eine schöne Idee von der Menschheit – eine Turmuhr schlagen zu lassen – einen Kuckuck durch die Welt. Jetzt der zweite Kuckuck 1 2 3 Vielen Dank für alles und sehr Liebes und das Schönste für Sie, Mill

Ihre arme Dichterin in Ascona.

Ich habe ihm vor paar Tagen ins Album 3 hebr. Balladen geschrieben, ein Bild gemalen und ein Grün schön Halstuch für zur Arbeit auf dem Feld im Emek.

Frz Löb soll einladen – ihm für Reise senden. Soll ich ihn anfragen?