Else Lasker-Schüler und Ernst Simon
Briefe und Dokumente 1932–1945
[1] Else Lasker-Schüler und Harry Rosenthal an Ernst Simon
Berlin, Montag, 19. Dezember 1932
[von Harry Rosenthal:]
Harry Rosenthal
Berlin Wilm. Westfälischestr. 85
Herrn
Dr. Ernst Simon
Haifa/Palästina
[von Else Lasker-Schüler:]
19. XII 32
Hochverehrter Herr von Haifa.
Ich grüße Sie. Bald komm ich zurück aus dem Palast Pharaos in das Gelobte Land
Prinz Jussuf von Theben
[von Harry Rosenthal:]
Lieber Ernst Simon, Ihre Attacke gegen Arnold Zweigs »De Vrient« (Arnold Zweig ist übrigens mein Bauherr) hat mich mal wieder an unsern Unterstand von Verdun erinnert. Lassen Sie doch mal was von sich hören. Ich will auch mal nach Palästina kommen, vielleicht mit Else Lasker-Schüler. Ihr Harry Rosenthal, Gefreiter.
Anmerkungen
H (Postkarte): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Poststempel: Berlin, 20. 12. 32. D: KA, Bd. 11, S. 460.
[2] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Dienstag, 29. Oktober 1940
27 Tischre 5701
Verehrte Dichterin!
Von Herzen danke ich Ihnen für Ihren lieben Brief und Ihr wunderschönes Gedicht. Verzeihen Sie mir, bitte, daß ich erst heute antworte. Ich bin in eigentlicher Verlegenheit: nicht gewohnt, die Sprache der Poesie in die Beziehungen des täglichen Lebens zu tragen und damit vielleicht ihrer Weihe weniger gebend als ihrem Ernst nehmend – kann ich nur wieder mit einem Gedicht antworten, freilich mit dem eines dezidierten Nicht-Dichters, dem nur ein paar Jahre einmal ein Gedicht passiert. Ich sende Ihnen das letzte, entstanden vor fast 2 Jahren, in der Nacht vom 10 auf den 11 November 1938, als hier die Nachrichten von Pogrom und Synagogensturm in Deutschland eintrafen. Mein – kurz danach verstorbener – Vater ז׳ל kämpfte damals mit dem Tode, und sein Sterbezimmer lag unmittelbar über dem Hof der Synagoge Sigismundshof. Ich hatte ihn wenige Monate vorher noch zum letzten Male besucht. Am 14/XI/38 erlebte er seinen letzten Geburtstag, den 74.ten.
Sie sehen, wie unsicher ich meiner Versworte bin, daß ich glaube, sie erklären zu müssen, und noch dazu Ihnen! Verzeihen Sie mir!
Ihr Ihnen in Verehrung ergebener
Ernst Simon
Gnade
Nun spielst Du, Vater, heiter mit dem Tode,
Und er mit Dir – der Kampf ist aufgegeben.
Noch fühlst und atmest Du – doch Deinem Leben
Schwand, was ihm eigen bleibt: Maß und Methode.
Freundliche Wölkchen hüllen ein, was ist;
Ein tröstlich Irrlicht weckt die Toten wieder;
Des Lebens letzten Aufschrei stillen Lieder
Der Kinderheimat, die Du lang vermißt.
Du gehst in Deinen Erdenhimmel ein,
Die Eltern leben Dir: sie stehen auf.
Uns aber brach die Hölle auf:
Mensch schändet Mensch und Gott. – ER bleibt allein.
Doch während drunten die Dämonen toben,
Darf Deine Seele ihren Schöpfer loben.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D
1: Sechzig Jahre gegen den Strom, S. 111 f. D
2: KA, Bd. 10, S. 527 f.
[3] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 1. November 1940
1. Nov. 40.
Adon.
Ich glaube Sie verstanden zu haben. und bitte Sie um Entschuldigung, Adon. Ich lege Ihren Brief mit dem Ihnen teuren Inhalt ein (die feierliche Klage.)
(Die Marke war ungestempelt auf dem Couvert –)
Ich fürchte, ich verliere Ihre Antwort auf meinen Robinsonfahrten, oder in meinem Kaschemmenleben. Es lohnte sich schon inmitten der Gartenlauben und ihren Bewohnern: Maas und Methode zu haben, aber – der Sturm saust darüber weg, er muß.
Ich grüße Sie, Adon, gehorsamst der Prinz von Theben
Jussuf.
Liebe, feine Gerson Stern weiß, wir kennen uns nicht, Ihnen sogar, sagte ich ihm, der kurze Briefwechsel unangenehm war.
Verzeiht da im Couvert zerrissen
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). KA, Bd. 10, S. 313.
[4] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 9. November 1940
Jerusalem. Hotel Atlantic. Ben Jehudastreet.
9. Nov. 40.
Adon!
Ich habe alle Tinte verschrieben und Sie müssen entschuldigen dass ich mit meiner Maschine schreibe, die Erika heisst. Ich hatte damals für Sie, Adon, einen Brief an Sie, Adon, dem lieben Gerson Stern gegeben. Ich konnte die Adresse nicht entziffern, da ich keine hebräische Handschrift lesen kann. Eher noch, von der Schule her, die hebräischen Druckbuchstaben versteh. Ich war sehr krank, aber das entschuldigt nicht. Bei mir wenigstens nicht. Aber meine Enttäuschung empfand ich stärker wie in gesunden Augenblicken. Meine Enttäuschung über mich selbst. Nicht, dass mir meine unbedachte Weise nun leid täte, aber, dass ich durch ein glitzernes Osterei die Welt und ihre Menschen betrachte. Entweder bis zur Neige Enttäuschung und Entsetzen und Verächtlichkeit erlebe am Menschen, oder ihn in aller Schönheit sehe, und danach, ohne zu überlegen, handele. So kann ich mich nur verteidigen, Adon. Ich sandte Ihnen das schöne traurige Gedicht zurück und die paar Worte, die mir so verlegen vorkamen, weil ich nie im Leben haben will, Sie irgend glauben können, Ihr Brief ist in fremder Hand, oder nicht gut aufbewahrt. Es liegt Ihnen doch daran, dass kein Unberufener das Trauergedicht liest? Ich fahre herum, meine Sachen fahren herum und ich bin Wegerich. Ich möchte Ihnen nun, da ich Sie heute Morgen wieder gesehen habe und nach so viel Jahren die feste Ueberzeugung gewann, endlich einen Menschen gesehen habe, ganz die Wahrheit schreiben, falls Ihnen etwas daran liegt? Doch vorher Ihnen sagen, dass ich noch ein Couvert mit einem Blättchen zu dem Brief beifügte, das ich zwischen Halbseite und Halbseite Ihres Gedichts legte, für Ihren von Ihnen geliebten Vater. Das Blättchen muss zur Erde beim schliessen des Couverts gefallen sein und ich brachte es im Extracouvert unserm lieben Gerson Stern auf die Treppe nachträglich des Treppenhauses. Ich schrieb Ihnen. Ich wollte Ihnen damals nach Ihrem Vortrag schon schreiben, da Sie Ihren Freund Franz Rosenzweig feierten. Ich wollte Ihnen sagen wie ergriffen ich gewesen, aber ich wollte mich nicht heran drängen. Und das weiss Dr. Wilhelm. Ich dachte bei dem Vortrag Sie könnten – vielleicht meiner Seele Mut geben wie die des wundervollen Dichters und Menschen Franz Rosenzweig. Ich habe ihn nie gesehen, aber ich liebe seinen Namen und mir ist, ich kannte ihn wie Sie. Er weiss nun wie ich lebe, wie ich langsam verrecke. Jerusalem wurde eine Ecke war eine Hecke vollgeblasene Blattläuse sind in die Rot und Weissdornblumen gekommen. Die armen Geschöpfe auf den Strassen sind es nicht, noch weniger die armen Kinder die ihre kleinen Lungen ausschreien, dass diese Leute beim Cafetisch Sensationen geniessen Ich will nicht sagen, verzeihen Sie, Adon. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich mir Mühe und Mühe gab, ja in meinem Bettelleben hier, mich nicht kleinlich zeigte. Ich spreche von meinem Bettelleben, das heisst vom Leben, dass ich bekomme. und nicht selbst mir hier verdienen kann. Endlich nach vielen Monaten meines Hierseins las ich bei Schocken, der mich nicht länger in Not liess. Ich denke viel an Gerichte, da ich Jahre hungerte Ich werd es mal in alle Brotrinden schreiben – – – – Denken Sie nur – ich dachte den halben Tag an schöne Gerichte in eine Schwarzbrotkruste rahmte ich am Abend lachend die Gedichte, die ich verbrach, wenn ich dazwischen lag schon brach. Ich lernte in den Jahren viele Leute kennen auch solche die sich Propheten nennen und Kabbalisten. Die Christenmissionare sind mir lieber. Herr Nicolas mit dem Tintenfass: Martin Buber! Aus Eitelkleid trägt er ein Kleid und dann der konerhänschenclown: Moment seinen Namen vergessen. Er wohnt im Zwillingshause Schmuel Hugo Bergmann oder wohnte dort, bis ihm der Fuhrmann seine Frau ging fort zu freien. Der Kabbalist, auf den ich mich so schrecklich freute, zu sprechen über Lurja, enthimmelte oder versuchte cynisch und in böser Art mir zu enthimmeln all die Sagen. Wahrheiten, die aus feinster Seide, sich nicht ganz zu geben, Sagen wurden. Wie bei St. Petron Hille. Ich hab mich mit dem Kabbalisten schlagen wollen, aber er rennt immer fort, Adon. Bitte seid nicht enttäuscht von mir, Franz Rosenzweig wäre nie von mir enttäuscht gewesen. Ja es war mir sofort eine Pein als ich am Rhein, damals seinen Knabennamen las »Sah ein Knab ein Röslein stehen ..... neben dem Diletantismus der Bibelübersetzung Bubers, dem imitierten Styl der Art Dr. Benns. Verzeiht mir! Ich kann nicht anders, Adon. Aber ich kam stillen Sinns nun zum dritten Mal nach Jerusalem, auch Martin Buber besuchte ich, der nur an sich denkt. Ich wollte nichts! Ich will nie was! Der rechte Herumtreiber holt sichs selbst vom Ast. Ein Schauer flössen mir die meisten Menschen hier ein. Was ist aller Wohlstand und es herrscht kein Kraal. Adon, mit dem Engellächeln bitte glaubt mir! Wie entblösst stehen die Leute nun, die in Berlin sich so warm von den Antisemiten abschieden. Muss denn immer eine Peitsche wo in der Ecke stehn. Wo ist David wo Jonathan? War es immer so?
Habe ich meine Gedichte die hebräischen Balladen für Europa gedichtet? Selbst Dr. Wilhelm ist bange ich könnte sie sprechen. Scheints. Bitte ich würde sie nicht mehr sprechen in seiner Synagoge, die ich lobpreiste. Ich würde sie nicht mehr sprechen, so wahr ich Jussuf der Prinz von Theben bin. Ich sehne mich nach meinen Freunden und Freundinnen in Europa. Dort war mir David und Jonathan näher. Und ich verstehe Jesus von Nazareth, der sagte: »Den Lauen aber, speie ich aus meinem Munde!« Ich nachleide Moses unsern grossen göttlichen Propheten, einsam war er in der Wüste. Die Enttäuschung das wilde unbändige Tier hat mein Herz zerrissen. Ich kann nicht fassen, dass ich je so ein verzweifelt Schauspiel dichten konnte, wie das was ich nun dichtete. Voll Zweifel bin ich. Wie ein Wasser bin ich das nicht einen Strand findet. Da dachte ich Sie könnten mich irgentwie ermutigen. Wie Sie Ihrem Freund ermutigten wie Sie Ihren wunderschönen Jungen ermutigen immerzu, immerdar. Doch nun ist es zu spät, ein kleiner Abgrund grub sich zwischen uns. Ich wollt nicht sprechen, hätte Sie sprechen lassen. Ich bin Champagner Sie ein Wein, der sicher Kraft bringt. Nun ist alles aus bevor ich eine mutige klare Stimme hörte. Ich bin wieder im Dunklen. Nicht trauriger wie sonst, eben nichts. So meine Beichte. Sie wären umgekehrt – ich meine als Christ – Cardinal. Ich nur der Prinz Jussuf von Theben und die Dichterin
Else Lasker-Schüler
Anmerkungen
T (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 10. S. 314–317.
[5] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 25. November 1940
Hôtelpension Atlantic Ben Jehudastr. Jerusalem
25. Nov. 40.
[Blume] Das grüne Veilchen
Adon.
Ich würde Ihnen gern genau erklären warum ich Ihnen Ihre Antwort zurückgeben ließ. Ich bin mir ehrlich klar geworden. Sie äußerten ja »richtig« Ihren Brief zurückerhaltend: »Das ist doch eigentlich beleidigend.« Sicher beleidigend, mußte es Ihnen, dachte ich nach, die Rückgabe vorgekommen sein. Aber im Grunde ist es etwas anderes, Adon; ich fühl mich nach einem Leben immer wieder von Steigen zum Fallen in Schlamm und Hohn, entwertet. Das sage ich »Ihnen« nur. Der Inhalt Ihres Couverts war mir zu verantwortlich und – ich fürchtete, er könnte mal Reue erwecken, – mir, – die Sie nicht kennen weder menschlich noch dichterisch, so ein teures Gedicht an Ihren Vaterlieb gesandt zu haben. Aber nicht ganz alleine war es »der« Grund.
Ich bin nicht bange, Adon, aus meinem Herzen eine Mördergrube zu machen, besser als ein Heim oder weekend. – Ich komme »nicht« mehr in diese Synagoge, sie wird bürgerlich und die Vorträge (außer Gerson Sterns Vortrag) interessieren mich nicht. Zensur kann oder darf nur ein großer Künstler geben. Bitte nun glauben Sie nicht, Adon, ich maße mir Dinge an, die größenwahnsinnig. Gerade darum der Eitelkeit und Größenwahnsinnigkeit wie der Professor B. wegen, mochte ich mich nicht, wie mir Prof. Buber durch Dr. Wilhelm anbot, mit ihm aussprechen. Wir sind verschiedene Accorde. Wenn wir sprachen, kam ich leer zurück. Aber ein Gespräch muß immer ein Konzert werden – oft ein lustiges (Jazzmusic) oder Ringelreihen. [Hand, die nach links zeigt] Solche Gespräche spielen »Sie« sicher wundervoll.
Und dann Herr Scholem. Ja ich wußte nicht, daß beide Herren Ihre Freunde; den kann ich nun nicht ausstehn!!!! Ein Clown ohne Ulk. Er ist nicht ernst, aber ernsthaft. Ich möcht mich direkt mal mit ihm boxen. oder damals, als ich sein Haus verließ. Ich schrieb von ihm in meinem Buch: Hebräerland. – Schade, daß ich »Sie« vor allen Dingen versäume, Sie – mich? Pardon! – Der Prinz Jussuf von Theben der regierende Malik der drei Städte nach seinem Angesicht: Tiba. Mareia-Ir. Ir-Sahab.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). KA, Bd. 10, S. 318 f.
[6] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Montag, 16. Dezember 1940
16/XII/40
Sehr verehrte Frau Else Lasker-Schüler!
Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre beiden Briefe. Meine Antwort kommt so spät, weil ich nun meinerseits nicht weiß, ob Ihnen ein Brief von mir angenehm ist; nicht etwa, weil ich an Ihrem guten Verhältnis zu mir zweifele, das mich im Gegenteil rührt und stolz macht, sondern weil Sie in das, was Sie Ihr »Vagabundendasein« nennen, keine Briefe einbeziehen wollen, die bei Ihnen gefunden werden könnten. So wußte ich nicht, ob ich wieder schreiben darf – einen Brief nämlich – oder hatte jedenfalls eine starke Hemmung in dieser Beziehung. Schließlich half mir eine kurze Krankheit – mit Zeit zum Nachdenken – sie zu überwinden.
Also vor allem: ich schäme mich natürlich nicht – im Gegenteil! ich bin stolz darauf, in irgendeinem Zusammenhang mit Ihnen zu stehen, und würden Gedicht und Brief von mir bei Ihnen »gefunden« werden, so könnte das meinen Wert nur steigern, sogar in den Augen der »Welt.« Also schicken Sie mir, bitte, diesen Brief nicht zurück!
Darf ich sagen, daß Sie auch noch in einem anderen persönlichen Punkt irren: Ihr dichterisches Werk ist mir nicht fremd. Ich kenne viele der Gedichte, einige Prosa, auch den großartigen Essai unseres gemeinsamen Freundes Werner Kraft. Ich kenne auch das »Hebräerland«, und hier freilich setzt meine Kritik ein, von der ich nicht weiß, ob ich sie äußern darf oder ob es sinnvoll ist, sie zu äußern. Aber ich will es versuchen:
Als ich 15 Jahre alt war, im Kriege, wurde unser Deutschlehrer eingezogen, und sein Vertreter war der Philosoph Ernst Cassirer, des großen Hermann Cohen bedeutender Schüler. Bei dem wagte ich, eine erste philosophische Arbeit als »Aufsatz« abzugeben, sie hieß »Die Keuschheit des Künstlers.« Mich Halbwüchsigen beschäftigte das einfache, aber tiefe Problem: wie kann Goethe all seine Liebesgeschichten vor aller Welt ausplaudern? Und ich fand die Lösung in dem Satze: »Die Keuschheit des Künstlers ist seine Form.« Sie, die Form, hebt das Einzelerlebnis aus dem Privaten, ohne es zu entpersönlichen – dies sind schon Worte von heute, aber der Satz in Anführungszeichen, der ist von damals – macht es gleichsam notwendig, allgemeingültig, und der Leser fühlt in Goethes Liebe die seine. Der Dichter hat nicht die Keuschheit seines Herzens verletzt, nichts von sich der »schnöden Welt« verraten; denn soweit diese Welt »schnöde« ist, versteht sie ihn nicht, und die, ja immer relative, Schwerverständlichkeit, ist eine der Schutzmauern, die der Dichter um das so verletzliche Heiligtum seiner Seele baut, sondern er hat dem Leser etwas in der eigenen Seele geweckt und beredt gemacht.
Das haben Sie, Else Lasker-Schüler, in vielen großen Gedichten getan, und werden es, so Gott will, weiter tun – doch nicht in jenem Buch. Dort ist, neben manchem Schönen, besonders den Gedichten, die ja z. T. aus früherer Zeit stammen, wirkliche Indiskretion – das heißt Ausplaudern ohne gültige Formgebung. Da Sie so scharf über Menschen sprechen, die meine Freunde sind, wie Buber und Scholem – was ich natürlich nicht albern »übelnehme«, wäre es unernst und unehrlich von mir, Ihnen nicht dies zu sagen. Ich glaube auch, daß ein Teil der Fremdheit, die Sie hier umgibt und über die Sie sich sicher zu Recht beklagen, auf dieses Buch zurückgeht: wer möchte in ungeformtem Rohzustand in einem Buche erscheinen, und noch dazu im Buche einer großen Dichterin, die Kraft und Recht, Gnade und Auftrag hat, alles, was sie an Menschen und Dingen vorfindet, sich anzueignen durch die prägende Gewalt der künstlerischen Form und die also gleichsam ein beleidigendes Urteil über den Abhub von Mensch-Materie spricht, die sie unverwandelt bloßstellt.
Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen und bin Ihr Ihnen in wahrer Verehrung ergebener
Ernst Simon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D
1: Sechzig Jahre gegen den Strom, S. 112 f. D
2: KA, Bd. 10, S. 535 f.
[7] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 19. Dezember 1940
Jerusalem Hôtel Atlantic Ben Jehudastreet.
19. Dz. 40
Adon.
Nun sah ich wieder ein Lichtchen in der Dunkelheit ... Es hat mir immer so gefallen, wenn verirrte Kinder in Geschichtenbüchern endlich zwischen den hohen Stämmen den Weg glitzern sahen.
Ihr Brief an mich ist so lieb und ich wickelte mir, als es Abend wurde, mein Herz darin ein.
Ich bin von zwei Unglücksfällen noch etwas steif in der Hand und ich möchte Ihnen doch einen längeren Brief schreiben, Ihnen, den liebsten Menschen in [Stern] Jerusalem. Darf ich das schreiben?? Ich schreibe Ihnen Sonntag früh und denke an Sie und an Ihren Freund im Himmel oben. und an mich.
Ihr Prinz Jussuf,
der nun froh ist – immerdar.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). KA, Bd. 10, S. 324.
[8] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 23. Dezember 1940
Hôtel Atlantic Ben Jehudastr. Jerusalem.
23. Dz. 40.
Die Nacht auf Sonntag.
Adon. Es ist so kalt, Eisbären und Eisbärinnen kommen immer; und es ist geradezu gefährlich einzuschlafen. Auch hängen sich Eiszapfen um meine Schultern und ich friere. Nun will ich mich erwärmen und schreibe an Sie mitten in der Nacht. [über dem a ein Stern] Als Unterlage für diesen Brief holte ich mir eins meiner Indianerbücher: White Chief bigg horse Igle. Das schrieb ein 148jähriger Indianerhäuptling – so wahr ich der blaue Jaguar bin. Denn ich kenne ihn. Er trug kleine Zöpfe über Ohren und Schläfe und hatte klare Augen, goldbraun wie die kleinen River im Urwald; durch ihr Wasser schimmern die Goldkörner, die man am morgen mit kleinen Schalen fischt. Ich war als Kind 1 ¾ Jahr in Mexico und trage immer bei mir ein grün und schwarz gesprenkeltes kleines Inkasmesser. Ich hab mir mit ihm Astrantkirschen abgeschnitten, ähnlich voll Blut und sehr süß wie unsere [Herz]kirschen. – Ich trage Ihren feinen Brief bei mir, daß ich nicht wieder verunglücke. Oder, daß, wenn ich verunglücke, ich die Wunden mit ihm verbinde. Ich hatte mir innerlich Schaden getan und äußerlich und mein Gesicht war entstellt und zerquetscht; aber auch die Arme und Kniee und ich blutete wie ein Opfer. Aber warum soll es mir besser gehn. – Ich las Ihren Brief noch einmal und es gefällt mir so gut, da Sie schreiben, die Keuschheit ist die Form des Dichters. Ja in diese Mondscheinschale legt er seine Seele, die Blumen seiner Seele. Ich bin weiß angezogen, (doch nicht immer,) gehe ich zum Dichten und Sie tragen ein silbernes Gewand. Das fiel mir auf. Als ich Sie sah, befanden wir uns im anderen Spalt der Welt. Niemand begegnete uns; und der Mond sagt nichts wieder. Wir sind das Geheimniß der Welt [im W ein Stern] und wo ich nun bin, liege ich auf einer Wolke. Und bin ich auch irgend wo in einem Haus, sitze zwischen ahnungslos Plaudernden. Ich frage nicht, ob Sie auch auf einer Wolke über all Geschehen, von der Welt genommen, sind? doch ich bilde es mir ein. – immerzu – Ich glaube Sie sind auch ein Indianer und man raubte Ihnen den Federschmuck, den Gürtel aus Adlerflügeln. Möchte Ihnen so gern Indianerbriefe schreiben!? Sowie ich kann, reise ich ja doch wieder fort und Niemand ist da, der David und Jonathan kannte, Niemand den David und Jonathan liebte. Bitte verwundert Euch nicht, da ich nicht »übliche« Briefe schreiben kann, stylgemäße und wie es Sitte; mein Gemüt schreibt, es besitzt keinen Schreibtisch, kein Tintenfaß. Sie sprechen von Werner Kraft – dem hiesigen? Dichter? Ich kenne nur sein träumerisches Buch Gedichte. Ich empfinde ihn wie er ist: Ein wirklicher dichterischer Mensch. Immer im Trance – ja er guckt, vom Herzen aus, immer in »seine« Welt, die blau ist. Ich weiß das wohl. Liebreicher Adon, so habe ich Euch nun geschrieben; der Indianer sagt: Ich habe gesprochen! In der Synagoge damals lag ich im Gedanken auf Eurer Hand. (ganz fern.) Gott ist kein Spießer, er freute Sich. Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). KA, Bd. 10, S. 324–326.
[9] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Mittwoch, 15. Januar 1941
15/I/41
Sehr verehrte Frau Else Lasker-Schüler!
Verzeihen Sie bitte, daß ich wieder 3 Wochen habe vergehen lassen müssen, ehe ich heute Zeit finde, Ihre beiden so lieben und so schönen Briefe zu beantworten. Wir leiden beide an Zeitkrankheit, aber in umgekehrter Richtung: ich habe zu wenig von diesem kostbaren Gut, und auch das ist nicht in Ordnung, besonders für jemanden mit 2 Kindern, die mir ebensogut wie Ihnen gefallen und für die ich viel zu wenig »da« bin. Uri hat jetzt übrigens Grippe; hoffentlich ist er bald wieder gesund. Ich schreibe es Ihnen, weil Sie ihn so hübsch finden, wie er wirklich ist.
Ihre Briefe sind fast ebenso schön wie Ihre Gedichte. Wie herrlich ist der Satz über die verirrten Kinder in Geschichtenbüchern, wenn sie endlich den Weg zwischen den Stämmen glitzern sehen! Wann werden wir ihn schon sehen! Sie sehen ihn ja schon, in manchem Gedicht, und ihr Klavier ist immer blau, auch in gramschwarzer Zeit und blutroter Nacht. Die beiden Gedichte in »Menorah« sind wunderbar; mir hat das zweite besonders viel gegeben, und ich sage Ihnen Dank. Fanden Sie nicht auch die Beiträge von H. Bergmann und F. Weltsch gut? »Der Paukist« von Ben Chorin ist merkwürdig begabt, aber doch nichts als das glänzende Virtuosenstück eines Musikers ohne Musen – eben Paukist.
In Verehrung der Ihre
ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 479 f.
[10] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 24. Januar 1941
24. Jan. 41
Verzeiht: Blei.
Adon.
Ich habe Ihren Brief bekommen und möchte Ihnen antworten, Adon. Ich bin stolz, da Ihnen die beiden kleinen Gedichte gefallen haben. Ich habe so viele so gedichtet, nachdem ich in der Nacht einsam geflüchtet bin vor Jahren. Ich will Ihnen drei schenken. Sie kommen nach. Ich glaube gerade ich, nicht, (Sie ebenfalls nicht, leiden an der Zeitkrankheit.) Ich finde aber, die vielen vielen vielen vielen vielen vielen vielen leiden daran, die »nicht« mehr schwärmen können. Schwärmerei ist eine blühende Kraft. Meine von mir angebetete Mama sagte, Schwärmen sei eine keusche Kraft. Sie sagte auch: Burschikose Mädchen seien betonte Mädchen. Sie sagte auch, wie Dr. Wilhelm in der Synagoge damals aus [Stern] Franz Rosenzweigs Büchern wiederholte, »man soll Gott nicht mit zu viel Gebeten belästigen«. Zwar drückte sich der Dichter oben im Himmel ähnlich aus, aber im selben Sinn! Ich erzählte das schon vor Monaten Dr. Wilhelm und er hätte auch meine von mir angebetete [Stern] Mama erwähnen müssen, beiden zur Ehre. Sie war mein Kaiser und ich stand hinter ihrem Stuhl.
Mein Großvater kam von Madrid und heiratete meine blauäugige wunderschöne Großmama in Süddeutschland, die eine Dichterin – und Johanna Kopp geheißen als Mädchen. Ich mag aber Dr. Wilhelm gern, er ist so lebensfrisch und wie ein Jungbüffel und ich bin für seine Synagoge immer gelaufen hin und her.
Dear Adon, es ist immer so kalt in meinem Zimmer und bei Färweroff summt immer eine der Gewerett; so wie ich mich dort nur etwas gewärmt, kehr ich lieber in meine Eisbärenhöhle zurück. Eisbären sind auch, wie Sie sehen, nervös.
Nun hab ich mein Theaterstück zu Ende gedichtet. Ich lese es bald vor. Und ich erlaube mir, Sie einzuladen. Es kommt mitten in meinem neuen Buch: Tiberias vor; da ich es auch für Stunden verlasse; mit meinem Leser ins Theater zu gehn. Wenn Sie mich dann – es fertig gespielt – loben, freute mich sehr!!
»Maas und Methode« (wie Sie damals schrieben – für das wie ich dichtete: weise Erdenherz – und ich gedenke Ihres Vaters, daraus sehen Sie, daß ich Sie nie beleidigen wollte. Es war – Wildheit – ich zerreiße auch oft eben fertiggezeichnete Bilder. Das ist so eine Anlage.
Ich habe Mitte Februar unter der Liebe der Amerikaner eine Bilderausstellung.)
Ich finde gerade heute die Wolken so beruhigend am Himmel, so klar weiß in blau.
Ich grüße Sie viele Male! [als Punkt des Ausrufezeichens Mondsichel mit Stern] dear Adon.
Ihr Indianer
der blaue Jaguar.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 13 f.
[11] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz vor dem 7. Februar 1941
Adon.
Ich war so sehr beschäftigt mit dem Abschreiben meiner Dichtung und konnte die drei Gedichte noch nicht abschreiben. Ich habe auch ein neues Gedicht auf Sie gedichtet, aber ich wills nicht schicken. Ich bin schon länger wieder in meine Höhle gekrochen vor Entsetzen vor der Hartherzigkeit und dem bösen Tun der Bevölkerung hier. Das heisst die wirklich Armen schliess ich aus; sie haben das Recht sich auszulassen in der Form und in der Armut in die man sie gestossen. Es geben natürlich auch liebere Menschen, zu denen Sie sicher zählen, Adon. ich vielleicht nicht.
Ich bin wirklich kein Menschenverbesserer, im Gegenteil, mein Empfinden war es schon von jeher, wir alle müssten in den heiteren Urzustand zurück, morgends tanzen zwischen den Bäumen und ein Leben führen wie die wilden Völker. Aber das geht wohl auch nicht? Der Vortrag heute war interessant. Der Vortragende? dichterisch und er sieht Arno Nadel ähnlich, dem lieben guten Dichter in Berlin. Aber man weiss was man vorher wusste. Und mir gefielen manche Stellen, die nichts wissen wollten, die nicht belehrten am besten. Die Stelle von den drei Sachen: Er war ein kleiner Mann, er hatte einen kleinen Wagen und ein kleines Pferd. Er legte aber in allen dreien (Sagte er so?) sein Glück? Oder sein Herz? Ich kann das sehr nachfühlen. Ich habe einen Däumeling eine Negerpuppe, eine Hand gross, darin lege ich grosse Besorgniss. Zum Beispiel, er könnte frieren oder er sucht sein Herzchen, das er um den Hals trägt. Das müssen Sie aber für Sich behalten, wie alles von mir, die Leute verstehen das nicht. Die Däumlingsgeschichte liebte ich als Kind enorm. Und eines Tages sass er auf meinem Teller, da ich von ihr mit Entzücken gesprochen vor Friedrich von Unruh und meinem Vetter Heinz Simon in Frankfurt Main. Ich sprach unten auf dem King George road den Vortragenden, der mich anredete sehr liebreich der sagte ich sei eine wirkliche Dichterin. Dann ging ich nach Atlantik wieder in meine Eishöhle. Ich bin wirklich gespannt, wie Ihnen meine neuste Dichtung gefallen wird. So sonderbar, sie handelt im Grunde auch von dem Rätsel der Welt. Wie soll man es lösen. Das allerletzte sagt der Teufel in meinem Schauspiel, das seinem Freund zu beantworten, müsse er erst sterben denn ein Lebendiger kann es nicht beantworten. Aber man kann ja auch lebend verbluten. Ich habe mich ganz und gar in die Hand höherer Mächte gegeben und so hingegeben gedichtet. Zuerst mir Bescheid zu geben. Ich bin ja tief allein und wenn die Sonne scheint wenn auch spärlich, so ist sie mein einziger Freund.
Ich hätte gern Ihrem reizenden noblen Jungen schalom heute gesagt, aber man reisst sich an den Hecken der Menschen. Trotzdem liebe stille unter ihnen sind und andächtige.
Ich lag wieder auf Ihrer Hand unsichtbar und fühlte doch Ihren Feinen Herzschlag, Adon.
Anmerkungen
T (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 14 f.
[12] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Freitag, 7. Februar 1941
Vor Sabbath, 10 Schwath 5700 [5701]
Verehrte Dichterin!
Ich habe Ihnen wieder für so vieles zu danken: für das duftige Taschentuch nach dem kritisch-herben Vortrag, an dem sich Vater und Tochter freuten, und für die beiden schönen Briefe. Gar zu gern würde ich natürlich das mir bestimmte Gedicht einmal kennen lernen, aber ich ehre auch Ihr Schweigen. Auf alle Fälle rechne ich darauf, zur Vorlesung Ihres neuen Dramas eingeladen zu werden. Es wundert mich nicht zu hören, daß es um den Sinn des Lebens geht. Gibt es denn überhaupt einen anderen Gegenstand des Dichtens und Denkens? Der Gläubige preist diesen Sinn und den, der ihn setzt; der Lyriker findet ihn in sich selbst und singt ihn hinaus, der Epiker malt ihn in die Breite der Welt und der Dramatiker zeigt seinen inneren Kampf, der ihn auf verschiedene Gestalten aufteilt, der Philosoph aber sucht ihn, weil er ihn, anders als der Gläubige und der Dichter, niemals in irgend einer Gewißheit hat, nicht einmal in der der großen Liebe, die sonst sogar dem Alltagsmenschen einen augenblickshaften Hauch jenes Sinnes schenkt.
Aber ich darf nicht lange mit Ihnen plaudern – meine unerbittliche Arbeit ruft.
Einen guten Sabbath wünscht Ihnen
Ihr ErnstSimon
Ich freue mich, daß auch Ihnen Kurtwhl u. s. Vortrag gefallen haben!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 481 f.
[13] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 22. Februar 1941
Hôtel Atlantik. Jerusalem
22. Febr. 41
Gedichte sende ich morgen.
[Blume] Die ich fand –
Dear Adon.
Ich hab ja auch nicht gelernt zu verstehen die Sprache des Weins und trinke ihn und er süßt mein Herz. Und so mancherlei Rede und vielerlei Vorträge hörte ich in deutscher Sprache und mein Herz blieb unverändert. Ich wollte, ich allein hätte den ungeheuren bunten Steinwurf erlebt, aber auch das Rieseln der durchsichtigen dunklen Crystalle. Ich glaube alle alle hebräischen Worte sprachen Sie, die es wohl geben. Und manchmal war es wie ein Jonglieren. Und – Sie Selbst – der einzige hebräische Bischof im Judentume, der ja ein Engel Gabriel sein muß. Ich sitz immer so fremd unter all den Leuten und allein und stehe oft darum nicht auf, meinen stillen Gedanken nicht zu erschrecken. Freue mich aber jedesmal, höre ich den [Davidstern] Namen: Franz Rosenzweig, den Namen [Davidstern] Franz Kafkas. Die Erde beging Selbstmord, da beide so früh sterben mußten. Besser – Selbstmord, als vom Zweiten umgebracht zu werden. Ich glaube ein Mensch bringt den anderen um. oder er schenkt ihm das ewige Leben. Ein Lächeln ist ja schon ein Tropfen Leben, ein Lebenselixier. – Ich war sehr krank gewesen, der Doktor Julius Simon wollte mich am Abend noch in die Hadassah bringen. Mein Zimmer war noch dazu vor paar Tagen eiskalt und nun wärmt es sich mit mir an der Sonne und von meinem Fenster blick ich viel wieder auf die Straße und nachts abenteuert es straßeauf, straßeab. Heute Nacht haben betrunkene Soldaten Atlantik demoliert, die Scheiben zerbrochen und mehr – Gardinen zerrissen des Flurfensters (ich tat im Gedanken mit, da alle Erpresser wo man wohnt.) – man gewöhnt sich an den Lärm, man träumt weiter ohne sich zu erkundigen. Ich träume immer von Ihnen [Blume] wie schön Sie sind. auf meinem Feldlager Ich freue mich so auf meine Vorlesung, da Sie sie hören, Adon. Ich habe bald auch eine Bilderausstellung, ich lasse Ihnen Einladung senden. Für mein zweites Buch, werde ich Sie zeichnen, als »hebr. Bischof«. Ich zeichnete im Hebräerland Dr. Prato, der aus Alexandr[ien] hierher kam nach Tel-Aviv. Ich feierte dort das Osterfest. Ich verehre ihn. Er ist außerdem ein gentleman.
Ich wollte Ihnen, Adon, so viel schreiben denn wenn Sie auch kaum wiederschreiben, so weiß ich, Sie lassen mich nicht beleidigen oder hetzen durch Jerusalem. Ich bin ja so traurig immerzu und nichts kann mich trösten. Manchmal denke ich alle die lieben Indianer denken an mich, werden mich zurückholen. Denn ich glaube nicht mehr, ich bin aus Jerusalem oder unrettbar verdüstert die Menschheit (nicht alle) die Jerusalemerde. Dann beginn ich zu zweifeln, und zu weinen bitterlich – ob sich David und Jonathan um mich gekümmert hätten oder, – gar ebenso hoffärtig wie hier die diletantischen Juden gewesen? Sie glauben nur (nicht alle) was sie mit ihren engen Pupillen sehen, was sie mit ihren Händen erfassen können. Erzählt man ihnen was, so lachen sie innerlich. Unter dem taubenblauen Himmel (wie heute) schlachten sie mich. Ich dachte so viel nach (in der Krankheit) wie wohl alles ist, ob überhaupt wirklich ist und ob überhaupt mehr wie »ein« Mensch ist? Denken Sie gut von mir, Adon, von mir Indianer.
Ich trage den Brief schon 2 Tage bei mir. Endlich Freimarke Post. Ich wollte schon rauben. Morgen die Gedichte. Ich lief heute mit einem Koffer den ganzen Tag und bin müde.
Ich habe heute Glück gehabt. Ich fahre bald einen Tag durch die Berge nach Tel-Aviv und zurück und hin und zurück
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 18–20.
[14] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Donnerstag, 27. Februar 1941
27/II/41
Verehrte Frau!
Soeben empfing ich Ihren herrlichen Brief, für den ich Ihnen wieder nur sehr danken kann. Ich war schon sehr gerührt darüber, daß Sie mir so freundlich und gütig zugehört haben, und bin nun richtig beschämt von Ihren lieben Worten über diesen hebräischen Vortrag. Da sieht man, was das ist: »Verstehen«. Übersetzungsmäßig haben Sie natürlich fast nichts »verstanden«, aber in der Intuition mehr als die meisten anderen, ja: mehr als ich selbst, denn Sie überhöhen mich ja ganz gewaltig, ich bin ein sehr bescheidener Geist, man darf mich nicht mit Rosenzweig vergleichen, der ein Genie war, wie es nur selten mal vorkommt, und nicht einmal mit so großen Talenten wie Buber, der ein Mann der »Bildung« im romantischen Vollsinne des Wortes ist, oder mit Scholem, der ein königlicher Forscher ist. Ich weiß, Sie mögen beide nicht und haben sicher Ihre Gründe; ich sage es auch nicht, um mit Ihnen zu streiten, sondern einfach, weil es wahr ist. Sehen Sie: ich bin ein dichterischer Mensch (was Sie mir mal von Kraft schrieben), aber nicht, wie Sie und er, auch ein Dichter, u. das ist immer eine gefährlich gemischte Erbschaft. Daher gelingt mir das Beste in der Rede, von der man nicht die strenge Wahrheit der Wissenschaft und nicht die strenge Form der Kunst verlangt, sondern die zwischen beiden steht oder die mehr schwebt, von beiden nimmt, mehr als sie zurückgibt übrigens, und keiner ganz zugehört. Daher auch das – wohl meist mir unbewußte »Jonglieren«, das Sie richtig heraus hörten – gerade diesmal, wo Sie kein Inhalt von der Hauptsache ablenkte! – Und das auch meine l. Mutter immer bei mir fand, die mir eine ebenso stolze wie kritische Zuhörerin war, und jetzt sitzt sie in Triest, auf dem mißlungenen Sprunge hierher, und noch viel einsamer als Sie hier. Aber freilich: es ist weniger hart, von »Triest« enttäuscht zu sein als von »Jeruschalajim«.
Lassen Sie die heilige Stadt nicht ihre unheiligen Menschen entgelten! Ich habe jetzt ein wunderschönes Wort von einem Rabbi gelesen, der einer Ihrer Wundermänner ist oder ein Recht hätte, es zu werden: dem Hohen Rabbi Löw von Prag. (Ein anderes seiner Worte habe ich auch neulich zitiert, in jenem Vortrage). Er fragt: wie kommt es, daß Israel, Gottes eigenes Volk, zwar von 2 Todsünden (Mord u. Unzucht) einiger Maßen bewahrt blieb, aber der 3ten sich oft ausliefert: dem Götzendienst? Weil es Anteil an der Ewigkeit hat und doch natürlich nicht die Ewigkeit, die ja nicht Irdischem ganz teilhaft werden kann. So entsteht hier ein schwacher Punkt, eine Art »metaphysisches Defizit«, wenn man das sagen kann, und da kniet sich diese Sünde hinein. – So ists auch mit den Menschen von Jerusalem. Sie sind nicht schlechter als andere, vielleicht gar besser, aber die Stadt ist ihnen zu groß, zu heilig. Der Privatmensch wird natürlich unter ihnen leiden, aber der Gläubige und die Dichterin werden verstehen und vergeben.
Mit den herzlichsten Wünschen für Ihre weitere Genesung bin ich in Verehrung Ihr ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D
1: Sechzig Jahre gegen den Strom, S. 113 f. D
2: KA, Bd. 11, S. 484 f.
[15] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 5. März 1941
5. III. 41
[Glockenblumen] fand ich heut.
Dear Adon
Darf ich Sie fragen, ob auch meine 3 Gedichte ankamen, die einen Tag nach dem Brief auf der Universität angelangt sein mußten.
Meine Bilder stehen bald Salon bei Schlosser-Glasberg. Sie müssen sie sehen, Adon.
Jussuf
Brauchen nur: Ja oder nein schreiben.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 21 f.
[16] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 8. März 1941
8. III. 41
Dear Adon.
Ich war sicher sehr unhöflich? Es schien jedenfalls so? Es war Verlegenheit. Ich dachte, als Sie, aus der Reihe traten, mir sagten, Sie haben die Gedichte bekommen, an Ghandi, der mit den Parias spricht. Ich habe jedoch immer die Parias für die Fürsten Indiens gehalten wie ich ja auch ein Prinz bin und einen Dorn in der Lende habe, von dem man instinktiv weiß. Ich freue mich so, [dieses Wort mit grünem Buntstift] das so wird grün vor Freude daß Ihnen die drei Gedichte gefallen. Ich möchte nun immer nur Gedichte, die ich dichten werde für Sie dichten.
Ich mußte vor dem Synagogentor Dr. Wilhelm [im W ein Davidstern] verlassen zu Ollendorfs gehen, in die Dschungeln. So ist der Garten. Dear Adon, ich kann mir denken, was Sie zu tun haben, Sie sollen mir darum nur kurz ab und zu schreiben, daß ich ein Talisman trage von Ihnen, der so lieb aussieht. Ihr kleiner schöner Junge ist schon ein Gentleman und ein Eigener, der tun wird, von Ihnen geklärt, was er will. Ich finde ihn reizend, weil er außerdem noch spielen kann. Das alles las ich gerade heute aus seinem Gesicht.
Wie ich sagte, ich war gestern in der Universität beim Kanzler. Ich möchte dort ein ganz kleines Rauchkabinet zeichnen, bunt – hebräisch und arabisch. Ich sprach nur von mir. Auch Dr. Wilhelm, der ehrlich ist, weiß aber doch nicht von den Gedichten, die ich Apollon (mit einem p?) sende. Nachher begegnete mir Prof. Buber, den ich stets so gern hatte, (manchmal hat er mich ja was enttäuscht) aber – wie verwandtschaftlich. Ich fand auch Gewereth so ladylike. ebenso die Gewereth von Scholem, eine liebenswürdige natürliche Gewereth – ihn mag ich nicht, kann ihn nit ausstehen. Das merkwürdige ist: Er saß vor mir in der Reihe vor 14? Tagen in der Synagoge als Sie sprachen. Ich erkannte ihn nicht, aber dachte, da ich immer zeichnen muß – ein eingesteintes Gesicht – Profil. später Emfasie. Ein zugefrorenes Gesicht, das Risse bekam. Ich empfand – Mitleid – dachte, der hat es schlecht gehabt als Kind. Adon, ein Forscher, der sich selbst nicht durchforschen kann, nicht weiß wo er weggraben muß oder ausgraben zum Wohl der Welt – Ihnen zu widersprechen, schmerzt mich. Ich liege in der Zeit auf Ihren Händen, wo ich Sie sehe, und schwärme Sie an.
Ihr Indianer.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 22 f.
[17] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 26. März 1941
26. III. 41
[Kopf im Profil] Alle Vögel sind schon da, alle Vögel alle!!
Adon.
Meine Bilderausstellung ist am 7. oder 8. April: Alfred Berger Club. Jerusalem. Mamillah Str.: Adon Dr. med. Walter Hirsch, giebt mir den Saal. Er ist so liebenswürdig zu mir. Sie kriegen noch eine Einladung. Falls Ihnen enorm gefällt, mal ich Ihnen zum Geschenk bald ein Bild. Ich halte auch dort Vortrag so ungefähr 2–3 Tage später. Ich schreibe noch wann.
Mein neu Theaterstück lese ich im Privathaus sehr bald! Sie bekommen Einladung, Adon.
Verzeihen Sie den Bleistift. Mein Armgelenk wieder nicht ganz wohl. – Hatten Sie seit der drei Gedichte geschrieben? Aber Sie sagten mir ja wie schön sie sind.
Mein neu Theaterstück – wie es Ihnen gefallen wird?!
Ich grüße Sie, Adon, viele Male. Nun ist es warm und ich geh mit der Sonne spazieren. Im Wuppertal, wo ich geboren und bis nach der Schule gewesen, blühen die [am Rand eine Blume] Veilchenwiesen, manche bläulichgrün und blau wie Türkisen. Denk ich an sie, wie weh wird mir. Ich muß nun schließen. Der Prinz
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 27 f.
[18] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 8. April 1941
8. April 41.
Verzeiht Blei bitte
Adon. Ich bekam zwar nie Antwort, aber das bedeutet kein Hemmniß, Sie um folgendes zu bitten, Adon. Es giebt doch, namentlich für einen Räuber, schwierigere zu überschreitende Pässe und Felsen zu besteigen. Ich schreibe Ihnen, Adon, darüber, da Adon Rabbiner Weiß gerade von Ihnen so großartige Meinung hat, von Ihrer Reinheit sprach, und ich darum mich für diese arme Familie an Sie wende, Sie müssen sorgen, daß die Familie – also er ein Stipendium kriegt. 5 Pfund bitte versuchen Sie zunächst und gehen auf 3 herunter – Ja? Tun Sie mir den Gefallen, ich kann der lieben [Herz] Frau Weiß, die ich auf der Straße hier, kennen lernte, nit mehr schlafen. Dies arme Geschöpf! Wo sie mich Ekel sieht, immer sagt sie mir Liebes: Ich habe mal in der Tschejoslowakey vorgetragen, alles so liebe feine Menschen in Teplitz, wo mein Gemüt noch nebenbei, an Rheumatismus, Pflaumenmus in der Quelle heilte. Ich besuchte die Familie dann: Abbessinierstr. 138 oder 38 – und ich weinte erst mit allen, nachher lachten wir über lauter Dummheiten, die ich erzählte. Nachher brachten sie mich nach Haus. Wir gingen dann, da ich Cinema liebe, zu Dritt ins Kino. Ich saß in ihrer Mitt’ – das ist mal so. 4. Reihe 35 Mils. Ich bin leider nicht im Stande, auch bei den Billiadären hier was zu tun. Dear Adon, bitte sorgt dafür, daß der 64jähr. Rabbiner nicht mit Chokoladenplätzchen rumlaufen muß. Vielleicht kann er in Beth Hakerem im Gymnasium lehren? Stellung bekommen? Oder wie? Tut das meinen Gedichten bitte zur Ehre. Geht es los – so werde ich, ob versorgt oder nicht, immer mit der kleineren nothleidenden Partei marschieren. Das tut der wirkliche Aristokrat, der Indianer.
Meine Ausstellung und Vorträge erst: nach Ostern, aber sofort! Denn Mr. Swet will sprechen vorher, der geradezu prachtvoll immer zu mir ist. Prinz Jussuf
Bitte sprechen Sie mit ihm!!!
138 Abbessinierstr. 138 wohnen Weiß.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 29 f.
[19] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Freitag, 11. April 1941
Erew Pessach
Verehrte Frau Lasker-Schüler!
Verzeihen Sie bitte, daß ich in letzter Zeit weniger fleissig geschrieben habe. Im ganzen bin ich doch nicht so schlimm: wenn Sie es so halten wie ich, nämlich unsere Briefe aufheben, müssen Sie auch schon einen ganz hübschen Packen zusammen haben, freilich nicht so einen Schatz wie ich ihn von Ihnen habe.
Was Dr. Weiß betrifft, so will ich mit Dr. Kreuzberger sprechen, bin aber sehr pessimistisch. Aus zahlreichen Interventionen zugunsten verschiedener Menschen kenne ich die Lage der HOGOA leider nur zu gut: ihre Kassen sind offenbar wirklich leer. Ich habe in sehr dringenden Fällen – wo nicht einmal der kleinste Transfer vorhanden war – ganz vergeblich interveniert. Nun wird ja jetzt eine neue Aktion gemacht, an der ich mich natürlich auch nach Kräften beteilige: ich will also sehen, ob und was sich tun läßt.
Ihnen danke ich sehr, daß Ihre eigene Lage Ihnen noch Kraft läßt, an andere zu denken und anderen zu dienen. Das läßt einen, in diesen schweren Tagen, wieder an die Menschen glauben.
Mit den schönsten Grüßen zum Fest
Ihr Ihnen in Verehrung ergebener
ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 494.
[20] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 5. Mai 1941
5. Mai 41
Mitten in der Nacht. [Mondsichel mit Stern]
Adon, ich bin den ganzen Tag gelaufen und gefahren, jetzt ist es schon nach 12 Uhr und es offenbaren sich Mond und Sterne
Und überlegen, ob mein Tag sich hat gelohnt.
So selbstbewußt und überschwenglich!, doch so reimten sie früher. Ich möchte antworten:
Und trabe in den Stall und fall ins Heu und schlaf mal wieder eine Nacht aufs Neu.
Und morgen trage ich die selbe Last
Von Ben Jehudastreet hin bis Rehavia fast.
Lieber Adon, ich gebe diesen Brief vielleicht für Sie ab, mit dem erdachten Absender auf dem Couvert. Warum ich ihn nicht senden kann mit der Post, kann ich Ihnen nur mal sagen. Verzeiht! Heute Abend, da ich bei mir vis à vis noch ein kleines [Glas mit Henkel] Wein trank in einer Kaschemme, sagte mir ein lieber englischer Soldat, »sie kommen »nicht« hierher, niemals«. Aber man kann nicht wissen. Mich haßte Göb. und er darf Ihren Namen nicht lesen. Da kann ich Sie event. gefährden. Verwahren Sie mir Ihre Briefe bitte. Man soll nicht Häute zerreißen. Haben Ihnen wirklich meine Briefe Freude gemacht? Gern schreibe ich gerade Ihnen öfters, hebe damit mein Alleinsein auf eine Stufe der Himmelsleiter. In Ihrer Festigkeit und Geschlossenheit liegt so in einem Winkel noch eine Kindlichkeit und ein Erstaunen, als ob Sie plötzlich durch ein glitzerndes Osterei, noch nie vorher gesehene Wiesen oder Bäche sehen. Manchmal geht es mir auch so. Dann weiß man, dies Leben auf der Welt ist doch nicht egale oder nutzlos und das man so reich sein kann in einem Augenblick für einen Augenblick. Ich schreibe liegend halte den Bogen in der Hand. Mitte Mai, (fast Ende) sage ich meine Gedichte in der Ohle Germania und vorher das Theaterstück (privat.)
Wenn meine Eltern lebten, sie würden weinen über mich; Und auf die Steine darüber ich schritt oder wandelte, immer wieder mit dem Blick nach dem Wunder.
[acht Sterne]
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 30 f.
[21] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 13. Juni 1941
13. Juni. 41
Verehrter Adon. Wissen Sie einen Ausweg für mich, so schlecht geht es mir wo ich wohne und weiß mir keinen Rat. Ich habe den ganzen Winter über nur gearbeitet – ein ganzes Theaterstück 7 Akte gedichtet im ungeheizten eiskalten Zimmer und nie dem Wirt geklagt, auch versuchte ich immer wieder seine Beschimpfungen einzustecken bezahle die letzten 4 Monate 6 Pfund für mein sehr einfaches Zimmer ohne irgend auch nur ein Glas Thee. Ich lebte nur für mein II. Buch (Jerusalembuch), darin das Schauspiel vorkommt. Ich lebte so hin wie etwa Gefängniß sein muß und befinde mich in Jerusalem doch. Ich behielt also von den zehn Pfund, die ich bekomme vier Pfund, aber ich war zufrieden, auch hatten die Läden Vertrauen, kam ich nicht aus. Sie waren mir einzige Freude, ein Lichtstrahl, »da Sie da sind.« Es ist alles vorbei in mir, keine Schale mehr, irgend etwas aufzufangen. Ich bin immer traurig und enttäuscht von allen Menschen hier und darum in mir allein. Immer am Scheidewege, zwischen dem Wege des Lebens und des Todes. Hier hat Niemand Zeit, und verlieren wohl darum die paar Augenblicke der Blumen und der bunten Brunnen. Alles rennt und ich finde es doch wichtiger bei einem armen Kind meinetwegen stehen zu bleiben und fünf Minuten zu spät zu kommen. – Niemand hier in der Heiligen Stadt versteht mich, jeder denkt an sich. Diese Bekenntnisse, Adon, mir ist wie eine Beichte vor dem Sterben. Gott hat mich geschlagen, ich wende mich um. Ich war hebräisch für Gott, habe gekämpft mein Leben lang für ein Volk meiner Illusion. Vorgestern sprach in der Synagoge: Dr. Wilhelm und der Pfarrer Kappes gelehrtes Zeug. für literarische Backfische, eine antwortete so komisch und blamierend für jeden Stuhl oder Bank der Synagoge, der Pfarrer pastoral und langweilig. Ist das nun unwissend von Dr. Wilhelm; Religion muß wachsen aber ist nicht literarisch und Eifer. Bitte unter uns denn ich möchte Dr. W. nicht betrüben und Dr. Kappes den Spaß nicht verderben und antisemitisch machen. Aber Sie sind da und noch zwei Menschen, die doch echtes lehren. Ihre letzte herrliche Lesung aus der Bibel in der Synagoge war prachtvoll. Ich bin still geworden, konnte es Ihnen nicht schreiben. Ob David, der die schönsten Gedichte schrieb, ein anderer war wie ich ihn mir vorstellte und Absalom, mit dem mich David vergleicht im Stück? Absalom war ein Königsohn, malte sich einen goldenen Streif über sein Haar. Er war unglücklich wie ich.
Ich habe heute so viele Menschen gebeten, ich möchte paar Nächte auf dem Teppich oder im Sessel liegen 3 Nächte, gerade die, die meine Verse loben. Ich suche bis spät von 7–7 nach einem Raum, hier fortzukommen. Herzlos sind die Juden, kalt und egoistisch. Geld ist ihnen die Hauptsache. Und einer meiner Onkel ist es, der das meiste Geld für hier gegeben, ich habe keine Stube hier. Pfhingsten saß ich ganz allein. Man rät mir nach Tel-Aviv zu ziehen. Ich muß sagen, das empfand ich doch als Verbrechen. Ich glaube Gottes Jerusalem [Davidstern] ist tot. Vielleicht sollte man seine Totenkammer nicht erbrechen. Mich schaudert hier, selbst vor den Blumen herrlichen und Bäumen. Wie soll ich das selbst verstehen? Meine Zunge ist und meine Hand vor lauter Danke sagen und Lügen schwarz geworden.
Verzeiht, Adon, diesen Brief, auch schreibt nicht retour zu unsicher in jeder Beziehung.
Ich bin Ihrem Freund begegnet. Werner Kraft, er war wie immer sehr gut.
Prinz Jussuf
Meine Vorträge sind verlegt, da mein Herz zu schwach noch momentan
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 34 f.
[22] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, zwischen dem 15. und 20. Juli 1941
Adon, ich habe den – zerrissenen – – Brief bekommen. Danke sehr, auch fürs Couvert mit der netten Freimarke.
Ich »mußte« aus dem Hôtel fort, da Besitzer, nicht zufrieden mit sechs Pfund (für das kleine Zimmer ohne auch nur Thee –) und mir erklärte, er bekäme nun das vierfache; außerdem mich monatlich schon erpresste, bedrohte. – Ich aber nur zehn Pfund bekomme (und geliebt habe ich nur das Fenster und die Straße unten) und doch auch leben muß,: Apfelmus, Haferbrei, Fisch mit Salat und Obst mit Gebrat’. und Pfannekuchen und Buch Notiz zum buchen und Strumpf und Schuh, ich und du und immerzu so täglich’ Dinge
Bouquets für Damen und ich singe:
»Freut euch des Lebens, weil noch ein Lämpchen glüht.«
Ich miete mir später mal, dauert es noch lange – leere Wohnung. Nun bin ich bei einem menschlichen Geschwisterpaar, von denen ich gute Worte höre, tröstende, auch unterhalten wir uns schön am Abend. Und schlaf ich auch auf Teppichen: auf dem Mosaik, ich will es so. im kleinen Zimmer er und sie,
Und ich im zahnärztlichen Raum des Herrn Dentisten,
So weiß ich nun, es müßten
Noch mehr Menschen ihresgleichen sein: Juden Christen hier in Jerusalemme!!
Ich denke so beim Waschen und auch wenn ich mich des Morgens kämme.
Ich habe nicht mehr reden können vor Erschöpfung
Und war gelähmt von Kopf bis Fuß
Und – darum? also war die Schöpfung!!
Und sandte von der Bank aus Euch und Welt schon meinen bitteren Gruß.
Und läge ich auch heute wie auf Sammt,
Ich könnt mich selbst im Traume nicht erholen,
Und träumte man auch nur von mir und allesammt,
Ich bin verloren! Nicht alleine Polen ist verloren.
Gebrechlich sitze ich auf einem Polsterstuhl,
Und jede Stunde wird mir sonambul.
Und jeden Augenblick denk ich bei meiner Treu,
Es kommt ein Jemand, der nie kam, vorbei.
– Am frühen Morgen Kerem Abraham,
Kauf ich Bananen und Melonen.
Ich möchte lieber hier wie in Rehavia wohnen,
Und ließ das Zimmer Gazastreet im Stich
Das ich am 15. beziehen wollte,
Mir total schnuppe, ob die Freundschaft grollte,
Auch bleib ich hier bis ersten Tag August,
Selbstbewußt und doch nicht selbstbewußt.
Ihr armer Prinz, lieber schöner Adon Ernest S.
[Frau, auf einem Stuhl in einem Zimmer sitzend] In Pflege. Ich soll gar nicht Last machen.
(Im Halbdunkel)
Ich freue mich auf den 20. Juli, da ich lese und spiele.
Habe eben früh noch mal den Brief geöffnet. Ich war es –
Grüßen Sie Doktor Kraft. Ich käme bald Krafts besuchen, wie versprochen.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 42 f.
[23] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 2. August 1941
2. Aug. 41
Adon
So nett begegnen wir uns stets in der Phantasie und in Wirklichkeit, beinah wie zwei feindliche. Wie zu Stein gewordene Menschen. Sie lächeln und lächeln doch nicht, zu nah sitzt der Schatten der eisige. Und werde ich nun angesteckt oder bin ich schon infiziert von dem Zustand der Zeit.? Sie fragen was, ich gebe die dummste Antwort, die mir später erst auffällt. Sie geben überhaupt keine von Belang und sehr gemessen.
– Ich dachte mal die Welt [im W ein Stern] habe uns vergessen.
Alles so schaal und kalt geworden, die Welt ein Weltmarschall mit Épaulette [über dem au ein Fragezeichen] und Orden.
Aber nun sitz ich ganz allein im Café Vienna (vis à vis vom Cinema Zion) auf dem neugepolsterten Sopha, ganz alleine. Ich aß Eis und ich aß zwei Torten und nun ruhe ich mich aus und schreibe dazu dem Erzengel Gabriel diesen Brief. Das was mich gerade bewegt – unfiltriert und mit bloßer Hand. Hier im Café sind alle freundlich zu mir und aber wissen nicht, daß ich einen Brief schreibe an den Engel Gabriel.
Sind Sie der Engel Gabriel? Und führt eine Brücke zu Ihnen, darüber Niemand von der Erde aus schreiten kann – nur von weitem in der Phantasie? Überraschen Sie? Oder enttäuschen Sie? Enttäuschten Sie mich der ich Prinz bin von Theben? – Warum geizt hier alles mit der Seele? Kann hier Niemand recht viel loben wie der Baum der Gold und Silber wirft über ein Aschenputtel oder Aschenbrödel? – Ich möchte Ihre Augen vergleichen mit braunem Lapis, – die wohl Steine, aber in der Sonne süßen. Streng und weich sind zu gleicher Zeit. Traurig und zu gleicherzeit beglückt sind doch ewig einen Flor tragen über unerforschte Dinge auf Tiefen eines Menschenherzens, das Sie versäumten umzugraben. Doch mir steht nicht zu, Sie zu analysieren. Und das überlasse ich auch gern der Literatur. Auch bin ich so müde, immer liege ich noch auf Steinen und im Nebenzimmer schlafen Menschen, die mir fremd bleiben werden. Sie sind – gebildet, an ihren Wänden, ich meinen Herzwänden hängen Sprüche und Bilder des Hermann und der Dorothea. Und sie lachen nie und ich halte mich an den Provisor. So nenne ich den Spitz, den Hund und belle mit ihm. (Bitte unter uns alles.) Zimmer kriegt man gar nicht mehr, – ich – weine – sehr. –
Ich bin so müde
Wär ich doch zu Haus –
Ich trug Jerusalem auf meinem Augenlide –
Nie begegneten mir hier: David oder Jonathan, auch nie Jakob mit seinen Söhnen, verjagt von den rechnenden Leuten hier. Von den unspielerischen unfreudigen Leuten hier, ob aus Asien oder aus Europe. Immer rufen sie: gottlob und – in Gottes Gehör – –
Und beleidigen Ihn wie ihre Leute im Bureau,
Ganz genau und eben so!
Ich mußte weg, immer wollte der Wirt mehr. Sechs Pfund für mein kleines schmales Zimmer bezahlte ich noch die letzten vier Monate monatlich ohne irgend etwas, ohne Heizung – 1 Licht, ohne Thee ohne etwas. Ich hungerte schon. Und er bedrohte mich, daß ich oft nachts lieber spazierte, zu bang geworden mit der Zeit nach oben zu gehen. Nun glaubt Niemand, daß ich stets vorher bezahle, ich, eine Dichterin, daß sie bezahlt. Solche Leute. Aber Major Ollendorf von der Keillah zu nett – und auch Mr. Swet und auch Leopold Krakauer. Und nun lebt wohl, lieber Ernest Simon. Ihre Kinder [im K ein Stern] golden boy and little doll and ich bringe eine Puppe mit bald: Synagoge.
Uriel sagte mir, Hannâh sei 3 Jahre alt. Und Ihre Gewereth sah ich zum ersten Mal am 20. Juli. Und es war schön in meinem Theater – hoffe ich. (Gewereth den gehorsamsten Gruß von Prinz Jussuf)
Ihr trauriger Prinz Jussuf
Bald kommt mein 2. Abend.
Wollen Sie kommen, Adon? Oben Ohle Germania.
Wissen Sie für mich ein Zimmer bei deutschen taktvollen Menschen. oder leere Wohnung – oder weiß Jemand, den Sie kennen ein Zimmer Rehavia oben?
[Kopf im Profil vor einem Fenster, dahinter ein Kino mit der Aufschrift:] Cinema Zion 7 o cl beginning
So guck ich aus dem Fenster Café Vienna.
Ein schönes Stück sicherlich. heute abend.
Jetzt wird geflittet – die armen Fliegen!
[Kopf im Profil mit Burnus] der kommt gerade ins Café
Wir wollen immer in die Schule gehen –?? Antwort.
[Blume] Die Pilzblume hier in einem Garten.
Hatten Sie mir geschrieben, Adon? Brief von Dr. Wilhelm nicht angekommen. Vielleicht, da er nicht Straßenadresse schrieb.
Wenn Sie mal schreiben wollen in zwei Couverts: (da die Post oft nicht sicher)
℅ Dr. Neustadt
Johnastr. 24 Jerusalem
Kerem Abraham.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 46–48.
[24] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Freitag, 8. August 1941
ע׳ש׳ק׳ נחמו תש״א
Verehrte Frau Lasker-Schüler!
Es fällt mir diesmal sehr schwer, Ihnen auf Ihren Brief zu antworten, für den ich Ihnen sehr danke. Ich stand unter einem starken Eindruck nach Ihrer Vorlesung – natürlich komme ich sehr gern auch zu der zweiten, wenn ich hier sein sollte: ich reise am kommenden Freitag für etwa 10–14 Tage fort – und habe sogar in der gleichen Nacht ein paar Verszeilen geschrieben, die »Gedicht« zu nennen unverschämt wäre und die ich Ihnen nicht zu schicken wagte. Nicht nur wegen ihres poetischen Unwertes, sondern auch wegen ihres unpoetischen Wertes: nämlich der prosaischen Auseinandersetzung, die darin stattfand und die Sie nun in Ihrem Briefe aufnehmen, nur aus dem Gefühl.
Wissen Sie, daß Sie mein Gedicht auf meinen Vater in Ihrem Drama zitieren? »Maß und Methode« – ich habe es nicht überhört. Ob bewußt oder unbewußt – dies ist das Leitmotiv – und: ohne Wortwitz, im heiligsten Worternst: das Leidmotiv unserer so merkwürdigen Beziehung. Ich, ein mittlerer Mensch, kann ohne diesen Doppelpanzer nicht leben und nicht das leisten, was ich zu leisten habe – und Sie machen den so heroischen wie tragischen Versuch, Ihr Dichtertum zu leben wie nur eine der Seherinnen aus mythischen Zeiten. Das ist es: wir leben in verschiedenen Zeiten. Sie in der ihren, eigenen, die sie wie einen glühenden und leuchtenden Panzer des Schmerzes um den Leib geschmiedet tragen und überall hin mitschleppen, triumphierend von ihm erdrückt, und ich – in der unseren (die aber Sie und Ihre Zeit nur am Rande berührt, nicht einschließt.) Nicht daß ich versäumt hätte, mein Herz umzupflügen – das ist ja ein tägliches Vorhaben: man tut es nie oder immer – aber ich lebe nicht – »ein Bürger«, wie Sie dichten – nur im glühenden Zentrum dieses Herzens, sondern auch, und nach außen vor allem, in der kühlen Hautoberfläche der Berührung mit fremdem Leben. Bei Ihnen aber ist Herz und Haut eins – das macht sie so groß und ihr Leben, heute, so schwer.
Daher kommt es auch, daß wir einander nur schreiben, nicht miteinander sprechen können. Die Schrift ist ja die zeitlose oder doch relativ zeitbefreite Form der Rede: sie kennt nie die Gleichzeitigkeit des Gesprächs: der Brief wird in einem andern Augenblick gelesen als geschrieben, und nicht seine Gebundenheit an die Stunde seiner Geburt: sie bleibt. So dient sie als Verbindungsmittel zwischen Menschen verschiedener Zeiten, wie z. B. zwischen dem Prinzen von Theben und dem nicht Erzengel-Gabriel, sondern: dem den Prinzen verehrenden
ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D
1: Sechzig Jahre gegen den Strom, S. 114 f. D
2: KA, Bd. 11, S. 510 f.
[25] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 11. August 1941
11. Aug. 41.
Adon. Gestern nahm ich Ihren Brief selbst aus dem Kasten. Er freute mich sehr. Und das Wort, das ich nicht lesen konnt, ließ ich stehen, aber nahm mir das [Herz] heraus. So also entging mir doch kein einziges. Nun sitze ich wo in der Stadt auf dem Jaffaroad und schreibe Ihnen, Adon, so gut ich kann. Darf ich mir etwas wünschen? in den schlimmen Zeiten,? schenken Sie mir die Gedichtzeilen, die Sie nach meinem Vortrag dichteten. Ob die Verse mich nun angreifen oder mir widersprechen oder mich beleidigen könnten – senden Sie die mir bitte, Adon. Ich weiß, daß Sie mir keine Sterne senden, die mich verzaubern würden. Ich kann es auch nicht mehr, ob Sie nun ein Mensch oder Gabriel sind. [Stern] Jedenfalls liegt zeitlos alles auf dem blauen Tisch der Ewigkeit – und ich weiß, da ich manchmal den Tisch drehen kann, daß mein Leben, ob die Welt Krieg oder Frieden, sich nicht ändern kann. Immer ging es so rund, – warum ich auch die Karossells liebe, – und begann immer wieder und es gelang mir nicht die Fahne zu fassen im Ring und fuhr keine Extratouren – gemütlich auf der Bank sitzend. Auf hölzernen wilden Raubtieren reite ich durch die Welt, die fressen mir die Sanftmut weg im Kreisdrehen. – Sehr schön schrieben Sie vom Briefschreiben und aber so zeitlos das Geschriebene, so höre ich Ihre sofortige Antwort, die also nicht nach noch vorgeht. – – Es waren die letzten Tage sehr schwere traurige Tage. Ich muß immer sehr bedenken was ich sage; die Leute haben nie Freude in der Frage noch in der Antwort. Vielleicht aber ist in vierzehn Tagen der Krieg aus und ich reise wieder übers Meer. [über dem M ein fliegender Vogel] Wohin mich auch das Schiff bringen mag!
Oft denk ich an Wiesenschaumkrautwiesen und an Farren,
Auszuharren länger hier mir ganz unmöglich!
Kläglich vergeht Minute und Stunde,
Die Aster bleicht auf meinem Munde.
– Der trockensten Menschheit begegne ich täglich.
Dearest Ernest, nun sind wir zwei Sterne oben und ich kann doch nicht zum Stern: Adon sagen. Wir sind Sterne, die sich eigentlich nur um sich selbst drehen. Was scheeren uns die anderen Sterne, auch der [Vollmond mit Gesicht und Zylinder] nur so weit und rot, wie er der Oheim der Sterne. (unser Oheim)
Aber damit die Zacken nicht kaput gehen, stumpf werden, drehen wir uns auch um andere Sterne, aber leuchten nicht aus fremden Licht. ob, Adon mich versteht? Ich kaum: mich. Ich hätte Ihnen so gern viel mündlich erklärt, aber ich bin zu bange. Auch giebt es nichts Schöneres auf der Welt wie Schwärmerei. Nun sind wir zwei Falter, die Furcht vor der Hand der Liebe haben – von wegen des Flügelstaubes. –
So bildet sich Prinz von Theben [Mondsichel mit Stern] alles ein – und Sie lächeln – darüber stehend – darüber.
Ihr armer Prinz Jussuf
[Kopf im Profil mit Turban] Im Turban der thebetaner
I love jou!
»Maas und Methode« –
(bewußt gesagt, damit ich Augenblicke nicht allein bin –
Steckt wieder in 2 Couverts, falls Ihr wiederschreibt.
Johnastreet 24
(℅ Dr. Dent. Neustadt.)
(Kerem Abraham)
Jerusalem.
Do think to me, that I am not allone.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 48–50.
[26] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 17. August 1941
17. 8. 41
Ernest Simon.
Als ich Freitag vom Meer in das fremde Haus in der Johnastr. 24 trat, lag Ihr Brief auf dem Tisch. Ich schrieb Ihnen Antwort ausführlich zur gleichen Stunde; zerreiße den Brief jetzt, da er mir zu wertvoll und liebevoll scheint nach dem Überfall und Verletzung meines Herzens. Ich copierte sogar zum Beweis die Seite auf der von »Maas und Methode« die Rede. Vom Feigenblatt? noch Feigheit. schrieb ich nie! Ich schrieb:
Ich finde Ihre Abwehr strategisch vornehm empfunden!
4. Akt 7. Seite in Prosa übersetzt. (prosa ausgedrückt) Mephisto: Was soll der Teufel mit dem brandigen Blatt im Munde im Himmel? (Er meinte mit dem Ölblatt des Friedens und der Liebe. (Man würde ihm nicht glauben)
»Maas und (Maß und Mäßigung schrieb ich zuerst) Methode« aber die drei Worte Maas und Methode schrieb ich dann doch mit vollem Bewußtsein – und zwar nur für 2 Achade, (nicht Lapis Laz die sind ja blau) die vielleicht dann aufblicken würden lächelnd zu mir zum Podium mit Verständniß und – – – Erbarmen. Ich gebrauche im Grunde: Erbarmen!! So war, so ist mein Leben wund.
Ich ließ dann weiter wie stets die unpersönliche Dichtung sprechen, der ich vertraue. Die treibt kein gemeines persönliches Spiel. Nichts lag mir ferner Ihre lieben Eltern zu beleidigen, zu kritisieren, (Ernest’ Eltern ..... (von damals)) Welch ein Wahnsinn!!!!!!! Soll ich Ihnen was erzählen:
Einmal saß ich im Tiergarten auf einer Bank, als sich ein sehr distinguirter Herr sich zu mir setzte und auf ein Haus später zeigte. (Ich konnte es nicht erkennen – aber ich fragte nicht) dort wohne er. Seine Söhne müßten mich kennen lernen, Ernest. – Wir sprachen über eine Stunde, ich mußte ihm sagen wer ich sei. Ich sagte: Tino von Bagdad. Und Ihr Vater lächelte, eigentlich überlegen, aber sehr liebevoll. Und ich mußte ihm meine von mir gebaute Sprache sprechen, die er wundervoll empfand und – seine »Frau« wie er betonte, müsse sie hören. Ich hatte schon als klein Mädchen eine Sprache gedichtet, mit den Ausrufen kanibalischer Vögelgeyer. Karl Kraus war ganz verliebt darin. (Ehrenwort!) Ihr Vater ein Gentleman, irgendwie überlegen der Berliner, fragte mich, ob es mir auch gut gehe, er entdeckte nämlich, da meine Stiefel angegriffen. Ich sagte, ich lebe auf zu großem Fuß und da platzen oft die Leder. Er sagte, ob er mich einladen dürfe zu seiner Frau und ich am kommenden Sonntag bei ihnen »speisen« wolle? Ich sagte, ich speise nie – ich esse – am liebsten Suppe mit Klösen, Ente, aber nicht ohne Schuldbewußtsein, denn Enten sind auch Menschen! Ente mit gebratenen Kartoffeln und Apfelmus und Mirabellen in viel Sauce. Dann Chokoladenspeise (nicht in Milch) mit Himbeersaft (unverdünnt) und Schlagsahne. Ich würde aber nie am fremden Tisch essen. Ich haßte an fremden Tischen zu essen. Genierte mich auch. Dabei gönnte ich keinem auch nur etwas, nur mir! Ich sagte immer ab, ewig!!!!! Ihr Vater gab mir seine Adresse – ich glaube, sie lautete: Sigmundshof? oder im Tiergarten, wo da das mir gezeigte Haus stand. Er schrieb Komerzienrat Simon etc. etc. Ich sagte, das Wort Komerzienrat möge ich nicht. Aber Bürgermeister. Ich sei mal Prinz gewesen früher. Und dann sagte Ihr Vater, er kenne meinen Onkel Sonnemann in Frankfurt (Main) von dem ich ihm erzählt hatte vorher, er kenne ihn, er habe den Adel, da er Demokrat sei, abgelehnt. Und er kenne meinen Onkel den Maler Max Schüler, der ihn mal zeichnen wollte. Sie haben vielleicht ein Bild? Er kenne Prof. Döbler den älteren und jüngeren, der mein Vetter. Er wisse nur nicht genau meinen Namen. (Ich war gehemmt ihn zu sagen) Alles andere habe ich vergessen. Ich trug ein carriertes Kleid und eine schwarze Jockeymütze und blaue Ohrringe. und kaute: Gaugummy. Und ich mußte ihm versprechen, ja so zu kommen. Seine Söhne: Fritz und Ernst müßten mich kennen lernen. Der Fritz? (mehr Weltmann, würde mich besser verstehn und er würde mir sehr gefallen. Er sah mir lange nach, ich drehte mich immer um, ich wohnte Moabit: in einem Atelier: Brückenallee. Ich war in Scheidung, damit ich und Dr. L. von dem ich im Begriff mich zu scheiden, uns besser kennen lernen sollten. Und ich sah ein, wir konnten uns dann gut unterhalten – und er hatte recht!, ich nicht! Er wollte mir immer Geld senden, aber ich nahm nichts an. (Ehrenwort!) Ich lebte vom Sauersüßstoff der Luft.
Das berichtete ich auch Ihrem Vater. Wenn man sich selbst loben darf, schmeicheln, Ernest, da Niemand mir »huldigt« so sagte Ihr Vater zu mir: »Sie sind ein reizendes Kerlchen«. (Ehrenwort!) Wat sagen Sie nun?
Ich aber sage, wie kann ein Mensch, den ich in das Feenreich meines glitzernen Herzens sehen ließ, mich so erschütternd einschätzen! Wie fern sind Sie, wie fern rückten Sie von mir ab. da ist kein Äroplan, der uns wieder nähern könnte! Ich habe auch nie im Leben zur Gewereth gesagt, Sie seien wohl ihr Vater. Ich sagte, ihr Liebes zu sagen, Ich kenne vielleicht in Moskau ihren Gewereths Vater Dr: Rappaport? Wie ich die Welt verachte!! Jussuf.
[Kopf im Profil] J. weint –
Huldigen Sie einem Professor aber nicht mir:
Jussuf.
(lieber Ernest.)
Ihr Scheusäler und Töter meiner Seele!
Ich kann nicht vergessen die Stelle vom »engen Lebensraum«) ich soll ihn nicht gönnen?
Ich beschimpfe auch nicht Israël. Ich bin nur enttäuscht, da ich von Kind an, mich für Jeschurun mit Rapir schlug, es andichtete.: Meine Seele verglüht in den Abendfarben Jerusalems
Dichtete ich in der Wiege schon.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 50–53.
[27] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 13. September 1941
Vis à vis vom Blockhaus der Rechof Hamaalod. (die zur Synagoge unseres Dr. Wilhelms führt)
Mul Baït Meschutaff
Pension Weidenfeld
13. Sept. 41
Adon.
Ich habe erst gestern im Blumenthalpaper gelesen von der Bombe etc. Ich sah Sie auch nicht in der Synagoge heute. Oder Sie saßen in fernerer Reihe – bis dahin kann ich nicht mit meinen von den Naci geschlagenen Augen, Niemand erkennen. Die Versöhnung zwischen Hagars Kindern und Erzvater Gewereths Kindern, daran plante ich schon lange. Gar nicht so aus diplomatischen Gründen sondern aus Gründen der Liebe, Ich machte schöne Vorschläge schon damals ich zum 2. Mal hier in Palestina war. Vorschläge, die annehmbar. Aber – Dichter sind ja – unausführbar. Dabei eine Kleinigkeit auszuführen diese Idee’n und eine Freude für Große und Kleine. Ich kenne einen hebr. Araber, dessen Vater hier sehr betreut mit einer großen Stellung. Er, der Sohn wollte schon meine 5 oder 6 arabischen Bücher ins arabische übersetzen. Wenn ich damals vor 7 Jahren auf der alten Post den Angestellten diese von mir illustrierten Bücher zeigte, waren sie direkt? – Ich mußte sie ihnen schenken. Eines Tages sagte mir eine der Araberinnen, sie habe mit dem Direktor gesprochen, – ich könnte, wenn ich wollte an der Post angestellt werden. Ich glaube, da die Araber Takt besitzen, man könnte ohne Risico sie ein paar zunächst (z. B. »ich« – pardon!) einladen zur Besprechung. (Ich habe ein sehr großes Zimmer.) Die Frauen voll Charme und schön ist ihr Gang auf den Straßen; ich könnt schon mit sprechen, auch ohne arabisch zu können. – »Zeide!« .... Die Hälfte grün, die andere lila unter den Einwohnern der Stadt, noch dazu, Heiligen [über dem H ein Heiligenschein] Stadt geht nicht. Adon Dr. Kalisky (?) lernte ich auf dem [Schiff] Schiff kennen und empfand, er sprach menschlich zu den Kindern, die um ihn saßen. Ich sagte es ihm. Und der herrliche von mir bewunderte Dr. Lehmann, ein Brief an ihn, der ihn verteidigte damals, sandte ich, (da er plötzlich gerade frei gekommen,) ihm nach Ben-Schemen. [über dem Bindestrich ein Stern] Ich muß bald dorthin, das Dorf sehen.
[Blüten] So kann aus trüben Flecken eine Blume werden.
Es wird sich alles verlaufen, Adon, ich werde sonst das Amphitheater nachts rauben vom Scorpus. Wichtiger wie alles was man lernen kann? – Wie gern hätte ich dort mal meine hebr. Balladen gesagt, aber diese höhere Vernunft, die auf den Wolken geschrieben steht, ist für Professoren nicht zu entziffern. – Sie lächeln – – und – hab vielleicht – recht.
Sind Sie mir noch (so ungerecht) böse?
Jussuf
[Blumen] Veilchen.
Die Blumen im Wuppertal.
An diese Wiesen denk ich immerdar. Ich habe Sehnsucht nach meiner Heimat. und weine. Aber ich weiß ich seh sie wieder.
Anmerkungen
H (Brief): Stadtbibliothek Wuppertal, Else Lasker-Schüler-Archiv (A 431). D: KA, Bd. 11, S. 58 f.
[28] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz nach dem 23. September 1941
Meine Adresse: ℅ Weidenfeld Jerusalem Hamaabothstreet (Querstr. der King Georgestreet) mul Baïdt Meschutaff.
Bogen schnell aus dem – Aufgabenbuch
Dearest Adon
Ich hatte Ihnen gar nicht Glück gewünscht Neujahr, [über dem N ein Stern] nachdem Sie mir Glück gewünscht. Und da wünsche ich Ihnen nachträglich alles erdenkliche Glück! I – love jou – und kann darum nicht sprechen so plötzlich. Auch sehe ich so schlecht, da mich die Nacis auf die Augen geschlagen haben und es lange dauern wird bis ich ohne Verschleierung sehen kann. Doch Sie erkenne ich immer sofort, Sie, Cypresse in Jerusalem! – und Sie müßten König werden.
Ich habe wieder ein Gedicht an Sie gedichtet. Weiß nicht, ob Sie das letzte bekommen und den Brief vorher? Ich wohne jetzt so wunderbar. Ganz groß ist mein Zimmer und meine Wirtin so lieb zu mir, ich kanns gar nit sagen wie.
Am 3. oder 4. oder 5 ist mein II. Abend – oben im Flur der Ohle Germania. Ich lese meine Gedichte und auch kleine Dinge aus meinem Buch: Konzert etc. Und den I. Akt meines II. Theaterstücks: Arthur Aronymus und seine Väter, das aufgeführt wurde in Zürich im Pfauentheater.
Wenn Sie kommen, habe ich ein Ziel, mein Blick ein Ziel. Sie sahen wie ein siebzehnjähriger Gymnasiast aus – Neujahr. Und doch stände Ihnen ein schwarzer fraqueartiger Gehrock ganz lang, ganz herrnhaft – (unnahbar) ganz elegant. Das erhöhte noch Ihre Noblesse, ich meine – Ihre Bewegung. Da die eben nicht nur äußerlich. Wie dumm?? so zu schreiben? Aber manchmal lass ich Sie kleiden, hoch unter den Sternen – dann natürlich in einen priesterhaften Sternenmantel. Und Sie wissen gar nicht, daß Jemand so mit Ihnen spielt. Der kleine runde Hut steht Ihnen besser als der heutige. Halb griechische Göttergestalt, halb hebräischer Priester und wieder Gymnasiast und dann im langen schwarzen Gehrock auf einem großen Ball. So verwandele ich Sie, ohne Sie es bemerken.
Darum bin ich schüchtern? oder scheu? Vor Ihnen in Wirklichkeit, vielleicht, da ich Sie raube in mein Leben so oft, ja sehr oft, immerdar.
Lieber Ernest, I love jou. [Blume]
Es darf Sie nicht traurig machen, Sie nicht beunruhigen. Stets mußte ich über Hügel und Klippen; aber es ist schön, da Sie nie einsam sind, ich bin immer wie eine Hecke neben Ihnen. Ich wäre ja so gerne eine Hecke mit Rot und Weißdorn, aber ich bin nur ein Mensch, der von einer Hecke träumen kann. Und Tino nannte mich St. Petron Hille, da ich grün und rot sei. und ein Herz in der Schläfe trage.
[Kopf im Profil mit Herz auf der Schläfe]
Ich sehe in die Luft durch mein Fenster – in nichts; solch’ seelisch verarmen heißt sich ganz ausgegeben; wie kann ich da noch fasten?
Darüber sprachen Sie so wundervoll, so reich; reichten uns Melonen und Pfirsiche, wir feierten in der Stunde das Heilige [über dem zweiten e ein Heiligenschein] Abendmahl. Das Lamm zu sein, sein zu dürfen, eine Auserlesung.
Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 61 f.
[29] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 1. Oktober 1941
Adon
Ich habe mir erlaubt, zuerst Ihrer Gewereth, danach Ihnen zu sagen, daß Ihr Vortrag ein Meistervortrag war und ich dachte so kommt man ähnlich aus dem Wald oder vom Strand des Meers nach Hause und weiß vor Wald nicht jeden Baum zu nennen und nicht jede Welle bespühlte den Schwimmenden. Alle Zuhörer waren tief ergriffen und ich dachte im »Wehen« von dem Sie und Dr. Wilhelm sprachen an St. Petron Hille, der – die Seele Johannes des Täufers beherbergte – wie Sie auch. Das wurde mir heute klar. Der Unterschied in der Strenge war der zwischen St. Petron Hille und Ernst Simon, der ebenfalls geheiligt, daß Sie, (denn jedeiner muß sich betroffen fühlen,) den spielenden Leichtsinn, vielmehr die Wolkenweise verurteilen in – mir, die St. Petron streng verteidigt hätte. Denn jedem Quellfließen geht ein gollendes Zersprengen voraus seiner Schale. Aber ich liebe die Strenge Ihrer Worte genau wie die St. Petrons. Und ich verspreche Ihnen bei meinem [Mondsichel mit Stern] Tron Thebens, ich kehre um, sehe ein wie Sie verurteilen meine schwärmerischen Handlungen und ich verschmähe sogar jeden Verteidiger, (viele würden mich rauschend verteidigen) der mich in Ihren Augen reinigen (?) könnte. Sehen Sie, Sie haben den Frieden des Herzens, ich bin losgelassen und in der Dämmerung wandele, ja irre hilflos umher. Ist das keine Buße für irgend Ding, das ich getan. Gott würde vielleicht nicht so hadern mit mir, wie Sie Sein feinerhaltener Mensch. Ihr Gold erblaßte nicht im Ramen wie das auf dem Bild des Malers. Ihr Gold erblaßte nicht mit dem Ihr Gemüt überzogen.
Ihr Vortrag eine mächtige religiöse Erziehung, hat sie auch nicht ein faules Blatt bei mir gefunden, aber ein Blatt das sich zu sehr in die Sonne drängte, ja rücksichtslos und räuberisch.
Ich möchte Sie um Verzeihung bitten, aber ich habe im Leben so gelitten, daß ich Schulden bezahlte – im Voraus.
An Ernest in der Nacht.
Ich schlafe in der Nacht an fremden Wänden
Und wache in der Frühe auf an fremder Wand.
Und legte mein Geschick in dunklen Händen
Und reihte Thränen auf in kalter Hand.
Ich habe einmal einen blauen Pfad gekannt
Doch weiß ich nicht mehr wo ich mich vor dieser Welt befand.
Und meine Sehnsucht will nicht enden.
Vom Himmel her sind beide wir verwandt –
Und unsere Seelen schweben übers Heilige Land
In »einer« Hülle sternbrokatnem Samt.
Tino.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 63 f.
[30] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Donnerstag, 2. Oktober 1941
Am Tage nach Jom Kippur 5692 [5702]
Liebe und verehrte Else Lasker-Schüler!
Dank, Dank für Ihre beiden wundervollen Briefe und das edle Gedicht. Sie überschütten mich mit Ihrem Reichtum und mit goldener Ehre, die Sie aus der eigenen königlichen Seele holen, auf mich werfen und dann in mir wieder finden, als sei es mein Eigen, aber ist das Ihre.
Ich bin glücklich, daß meine Predigt Ihnen etwas war. Aber wie können Sie denken, ich mißbillige das, was Sie Ihr »Spiel« nennen. Weiß ich doch, daß es für den Dichter nichts Ernsteres gibt als sein »Spiel«. Die Meister der Haggada, von denen ich gestern so viel vortrug, spielten – sogar mit Gott. Die Atmosphäre des talmudischen Midrasch ist die ironischer Nähe: dies ist die Keuschheit der Heiligen. Z. B.: Gott legt Gebetsriemen, wie der Jude. Auf den unseren steht: Schma Jisrael .., auf den seinen: »Wer ist wie Dein Volk Israel, ein einzig Volk auf der Erde.« So spielt Einzigkeit mit Einzigkeit und wird zum ernsten Grundakkord des Bundes von Gott u. Volk.
Und zur Frage der Sünden des andern, also z. B. Ihrer »Schuld«, die ich gemeint haben soll, vor der Sie sich vor mir (!) reinigen müßten, usw. usw, will ich Ihnen ein Wort aus Hermann Cohens »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« abschreiben:
»Das Leiden ist die Strafe, welche der Mensch unabträglich vor sich selbst, für sich selbst fordert.
An dem Mitmenschen darf er freilich das Leiden nicht als eine Strafe sich auslegen, welche diesen für seine Sünden träfe .... Er leidet vielleicht für meine Schuld.«
(S. 264)
Von Herzen
Ihr ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D
1: Sechzig Jahre gegen den Strom, S. 116. D
2: KA, Bd. 11, S. 520 f.
[31] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 7. Oktober 1941
Dienstag 7. Oktober 41
Dear Adon.
Ich habe mich so gefreut mit Ihrer Antwort und habe sie in Staniol gewickelt.
Nur aus Müdigkeit schreibe ich es Ihnen erst heute.
Gestern Abend haben wir uns schön und friedlich in meinem Zimmer unterhalten: Werner Kraft, Andreas Meyer, Mortimer Wassermann Leopold Krakauer. Gerson Stern (aus meiner Heimat) ist krank und konnte nicht kommen. Ich glaube wir haben so etwas wie einen Kraal [über dem r ein Stern] gegründet, – er kann so einer werden. Wir müssen ein ganzes Indianerdorf ausmachen schließlich. nächste Woche treffen wir uns alle mit den Gewereths bei Färberoff, weiter zu überlegen. Ich hätte Sie so gern gestern unter uns gewußt, aber ich fühle Sie mögen nicht. Und wir wollen doch nur – Zusammenhang von lieben Menschen herstellen – unserer Blume Wein – wie ehemals. Sind alle wieder gegangen, ist man wieder allein auf der Welt, oft nur noch wie ein stiller trüber Schatten.
Gestern sahen Sie herrlich aus. Ich zeichnete Sie auf der Leinwand meiner Jacke. Dr. Wilhelm giebt wunderschöne religiöse Feste und im Gleichmaß kommt man zu sich, ich wenigstens zu mir eine Zeitlang. Und doch könnte ich nur Ruhe finden; alle sagten gestern, wundervoll ist mein großes Zimmer und doch kann ich gar nicht begreifen, daß ich nach all der Zeit überhaupt einen Raum haben darf und flattere darin herum. Wie allein man doch werden kann und sich selbst entkommt.
Ich bin traurig und kann mich kaum mehr auch nur etwas freuen. Dearest Ernest, ich möcht immer sagen: I love jou. Aber ich – tu es nicht.
Ihr armer Prinz Jussuf
[Blumen] Die ich eben fand.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 65.
[32] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 27. Oktober 1941
℅ Ries
27. Okt. 41
[Kopf im Profil mit Burnus] (In der Sonne.)
Dear Adon.
Ich habe Ihren Brief bekommen, schon etwa 10 Tage her; ich war so beschäftigt, habe auch eine Reise nach Tel-Aviv gemacht und schöpfte mir das Meer in einen Krug für Jerusalem. Ich werde zu Vorträgen bald eingeladen; auch habe ich Bilder bestellt bekommen. Gerad bring ich eins fort: Jerusalemiter zur Zeit Davids. Hätte ichs Ihnen erst zeigen können!! Ich kann wieder malen, denken Sie, Adon. Viel sicherer zeichnen. Wenn ich wüßte, Sie freuten Sich über ein Bild, würde ich Ihnen ein Bild malen zum Geschenk. Manchmal werden Sie es dann anblicken und atmeten meine farbige Träumerei ein.
– Am Schabbatt ahnte ich nicht, was los war, hätte mich nicht in die erste Reihe gesetzt. Eine private Feier in der Synagoge. War dann am selben Abend so traurig, als ob ich verdunkelte mit der Welt. Ich kann gar nicht mehr glauben, wie Sie wahrscheinlich glauben, Adon, und ich glaube ich bin mir klar geworden oder klarer. Ich glaube alles hat aufgehört mit Eden, mit seiner Verfinsterung. Golden scheint uns der Mond und der Syrius, aber er ist auch verfinstert wie der Mensch und alles in der Welt und – Gott. Er ist nicht mehr da?! Oder tief verfinstert in der Nische der Welt. Und die Thora hat Moses geschrieben und mit der Überzeugung, daß sie Gottes Werk in ihm (in Moses.)
So schön war es in Eden – mit dem Tier spielten die ersten Menschen – und haben es nicht geschlachtet, ob es zweiklauig oder dreiklauig – – und blau war das Laub. Gott ist größer wie alles Geschriebene. Warum sollten Seine Geschöpfe Ihn nicht sehen und zu Ihm gehen können, ist Er der Allvater?? Ich habe mir erlaubt Ihnen meine letzte Arbeit zu widmen. Sie hat nichts persönlich mit Ihnen zu tun, etwa kein Liebesbrief, der so einseitig oder vielseitig und kein Brief aus mir, an mich – – den ich – wie Sie irrig annehmen – aus mir die Smaragden über Sie schütte. Wenn Jemand Ernest sieht, weiß, da steht ein Engel im Lächeln der Sonne
Der Jussuf, dearest Ernest
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 67 f.
[33] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 2. November 1941
℅ Gewereth Weidenfeld Bait Hamaalot Mul Meschutaff Jerusalem
2. Nov. 41
Adon.
Ich habe von den Dingen schon gehört. Stritt vor paar Tagen mit Jemand darüber – sagte unter and. ich hätte überhaupt mit Ihnen kaum zehn Worte gesprochen, aber wer so aussieht wie Sie, der diene der Barmherzigkeit und die sei eine höhere Politik, greift sie auch nicht »sofort« durch. – Meine Ansicht, nach der ich nicht gefragt, geben es hier sehr wenige Diplomaten. Diplomatie ohne Kunstwert und Liebe und Barmherzigkeit geht nicht ins Blut des Volks. Mir erzählte Maximilian Harden so oft von Bismark, daß er die Diplomatie träumte, ja wie ein Dichter plötzlich von ihr besessen wurde; mit geschlossenen Augen, während M. Harden und Frau Bismark sich unterhielten, eine grandiose diplomatische Frage löste etc. Man sich Bismark nicht in Wirklichkeit habe vorstellen können.
Ich sagte dem Doktor im Café Hermon. [»W« dick gestrichen] (nicht aus Feigheit gestrichen), daß die »größte« Diplomatie ohne im diplomatischen Mantel gekleidet oder – verkleidet ist. (Verzeiht die Unordnung.)
Dann ging ich nebenan zum Doktor in Rehavia und wurde operiert etwa 20 Min. da mich vor kurzer Zeit ein giftiges Insekt in die Schulter und unterhalb Knie gestochen hatte. War fast stolz mit den Verbänden Friedrich von Unruh, (der Dichter) und Bruder vom Adjudanten Graf Keßlers,) der mit Brüning in Berlin so oft sprach, mußte ich in Genua versprechen, daß er hier nach Palästina gerufen würde. Ich glaube Sie hätten einen treuen klugen Freund, der richtig mit Ihnen u. Dr. Wilhelm – sozusagen die Stadt betreuen würde und Einigkeit schaffen würde wie Sie, Adon, zwischen Juden und Araber. Ich werde nach Zürich schreiben, die seine Fr. v. U.s Adresse wissen, ihm den Brief nachsenden: Reiffs. Ich stehe indianisch auf Ihrer Seite! Selbstredend und alle Menschen, die [Davidstern] ich kenne lieben Sie, beautiful Ernest.
Ihr Prinz Jussuf. (Verzeiht Schrift und Blei bitte!)
Ich lese am Dienstag in 8 Tagen am Dienstag ½ 9 Uhr in unserer Synagoge: (Dr. Wilhelm) das ganze Schauspiel: Arthur Aronymus u. seine Väter.
Bald kommt ein Bild
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 69 f.
[34] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 5. November 1941
5. Nov. 41
Adon. Ich sprach wegen einer Angelegenheit, die ich Ihnen vielleicht erzählen werde mal, Prof. Bodenheimer im Ussischkinhaus. Sehr vorsichtig kam die Sprache auf Sie, Adon, und ich glaube ich tue gut, ohne mich in Ihre Dinge zu mischen, Ihnen zu sagen, man denkt nicht daran, Ihnen an der Universität Ihr Amt zu nehmen. Aber ohne vorwitzig zu sein, (damit Sie der Universität nicht verloren gehn, der vielen die Sie verehren,) sprechen Sie vorher mal Prof. Bodenheimer, der irgend Gemüt und Einsicht haben könnte, (auch sehr schön sein möchte,) ich glaube er ist falsch unterrichtet worden. Er fragte mich, »glauben Sie mir«? Ich sagte: »Nein.«
Die Leute halten nur etwas von wissenschaftlicher Politik.
Ich bitte Sie alles unter uns! Prof. B. darf nicht wissen in Ihr Interesse, daß ich Ihnen wiedergesagt Adon. Jussuf
(Mann im Monde)?
Sehen Sie ihn vorher irgendwo zu begegnen
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 70.
[35] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 9. November 1941
9. Nov. 41
Adon.
Ich bin unglücklich, daß ich Ihnen das Gedruckte nicht mitsenden kann.
Ich werde jetzt Palestine Post gehen nach meinem Abend: Dienstag also übermorgen 11. Nov. ½ 9 Uhr Synagoge Dr. Wilhelm: Emet W’Emuna.
Ich hab nämlich über die netten armen Esel geschrieben und die Arbeit des Erbarmens – Ernst Simon dem Einen der 36 Gerechten in Palastina gewidmet. – aber hier geht nichts so schnell. Jeder ängstigt sich des zweiten Laune zu kühlen. Wenn die noch Champagner wäre! – Ich les doch wiederum! Kommen Sie, dearest Ernest, daß ich Freude habe.
Ich lade Sie und verehrte Gewereth ein – wenn Sie beide »gern« kommen? Sie können ruhig Kleinuriel mitnehmen. – – Ich bin unruhig, auch war ich krank – es ist nun was lang gewachsen mein Theaterstück, aber habe Pause – und ich hoffe, es geht mir leicht und heiter von den Lippen,
Hat es auch stellenweise ernste Klippen.
– Gekühlt ist endlich alle Hamzinplin.
Mein Publikum wacht auf, schläft es auch manchmal ein.
Wildwestfilm: Unerwiederte Liebe. or: I love jou, Ernest.
[Kopf im Profil]
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 71.
[36] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Freitag, 21. November 1941
Gebet im Jahre 5702
Bin ich denn ein Mörder meinem Volke,
Weil ichs reißen muß aus seiner Wolke,
Drin es irren will?
Wer zum Leben ruft – spricht wie zu Toten,
Und wer Gott bezeugt – den Teufelsboten
Macht man still.
Herr, Propheten will von Dir die Stunde,
Doch ich predige mit leerem Munde
Eigenes, taubes Wort.
Gott, sei gnädig Deinem armen Volke,
Sei ihm Feuer Du, sei Du ihm Wolke,
Wirf nicht fort!
Sieh, wir bluten doch aus tausend Wunden,
Wandern tausend – abertausend Stunden
Ohne Kleid und Schuh!
Sandtest keinen Boten, daß wir büßten:
Heimgekehrte! Nichts bleibt in den Wüsten
Uns als Du.
Für Else Lasker-Schüler
zum Dank – Ernst Simon
21/XI/1941
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 527 f.
[37] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 23. November 1941
23. Nov. 41.
Jerusalem.
Lieber Adon.
Ihr Gedicht ist wunderbar [über dem Wort neun Sterne] schön und Jeschurun müßte es singen. Und Sie Selbst müssen es sagen.
Inl. erlaubte ich mir zu klagen über die hilflosesten Geschöpfe der Straßen der – Heiligen Stadt, aber Niemand mag es drucken, auch Robert Weltsch nicht. Nun werde ich es im 2. Buch zwischen Seite und Seite setzen und erlaube mir, es Ihnen, wie oben steht, zu widmen. Wäre Samuel unter uns heute noch, er würde schreien auf den Straßen überall. Vielleicht Sie zum König salben. Dann käm David, der Ihnen Harfe vorspielte. »Der« hätte mich sicher verstanden, mich und meine Traurigkeit. Meine Traurigkeit und die Dämmerung sind Geschwister, aber mich überkommt noch schwerere Dunkelheit. Nun ist: Morgen und es wird dann silbern in mir.
Unser Doktor Wilhelm sprach heute doch prachtvoll, seine Erzählung leuchtete und zündete ein Licht in mir an und ich glaube bestätigt, was ich mal ahnte seit Jahren – auf einmal.
Wir wollen in meinem weiten Zimmer uns wöchentlich versammeln und einer meiner Eingeladenen spricht was er will. Würde Gewereth erlauben?, daß Sie, Adon, (Sie Selbst daran Freude hätte,) auch einmal erzählen? Und Sie begleiten Ihre Gewereth in mein Schloß? Ich will zuerst Martin Buber bitten, Adon Swet, Werner Kraft, Dr. Meyer, Leopold Krakauer, – Dr. Werber, meinen lieben Doktor: Doktor Julius Simon, der schöne Vorträge hält, Gershon Stern mein Wuppergefährte, und noch viele Menschen, denen ich Feines zutraue zu sagen und zu erzählen.
Ich kann mich nur erkenntlich zeigen, ich und der Kraal noch 3 Menschen – durch »zuhören« – gespannt.
(Hannah [über dem zweiten a ein Stern] bekommt eine Puppe von mir, die ich kleiden werde in lauter Seide; sie hat blaue Augen. Ihr, Adon, gehorsamster
Prinz Jussuf
Werner Kraft ist Ihr und Ihrer Gewereth wahrer Freund.
1. Brief.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 74 f.
[38] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Dienstag, 25. November 1941
25/XI/41
Hochverehrte, liebe Freundin!
Wieder habe ich für soviel zu danken! Zuallererst für die gute Meinung über das Gedicht. Ich schrieb Ihnen wohl einmal: ich bin kein Dichter, nur ein dichterischer Mensch, der manchmal – selten – dichten muß. Der objektive Wert solcher Ausbrüche ist m[ir] selbst immer höchst fraglich. Mein Zentrum liegt nicht dort, es drängt sich nur dort ans Licht der Seele. Aber nicht ans Licht der Welt – deshalb will ich von Veröffentlichung nichts wissen, nicht im Druck und nicht im Vortrag. [Mein] erster kleiner philosophischer Vortrag, den ich als 16jähriger hielt, behandelte das selbstg[ewählte] Thema: »Die Keuschheit des Künstlers.« Ich fragte mich staunend: wie kann der Künstler seine Seele der fremden Menge preisgeben und auf dem Markt verkaufen? Ich fand schon damals die Antwort, die mir noch heute gilt: »Des Künstlers Keuschheit ist seine Form.« Ist die so zwingend, daß das Einzelerlebnis zum allgemein-notwendigen wird, so spricht er nicht nur sich aus, sondern auch Dich und der Akt der Preisgabe verliert seine Schamhaftigkeit. Das gilt aber nur für den großen, den wirklichen Dichter. Für Sie, nicht für mich.
Übrigens habe ich an dem Gedicht noch gearbeitet und noch Einzelnes gebessert, wie ich hoffe. (Das tue ich auch – ist es schon »heraus«, so möglichst vollkommen). Ich sende Ihnen anbei die (vorläufig) »letzte Fassung«. Oder besser: ändern Sie selbst die 2te Zeile so:
»Weil ichs zerren muß aus blutiger Wolke«*
Es ist kein einmaliges »Reißen«, sondern ein dauerndes »Zerren«, und wir kennen Farbe und Art der Wolke.
Ihr Aufschrei für die Tiere hat mich ergriffen, die Widmung gerührt und ich danke aus dem Herzen für beides! Trotzdem verstehe ich, daß man beides nicht druckt. Man kann den Schrei einer Seele schwer veröffentlichen, wenn er in Prosa ruft und zur Prosa ruft (»Tierschutzverein«.) Doch gibt es sicher auch Unedlere Gründe.
Vielen Dank für die [Auf]forderung zu dem Vortrag. Ich werde gerne kommen und werde über »Tolstoys religiöse Entwicklung« reden, – aber ich kann nicht häufig, vielleicht gar nur einmal kommen. Und ist das nicht beleidigend für den ganzen Kreis? Eine neue regelmäßige Belastung darf ich mir unmöglich zumuten; ich erfülle so schon mit Mühe meine Pflichten. Deshalb wäre es vielleicht richtiger, wir lassen es? Aber ich lege die Entscheidung in Ihre Hände.
Ja, Kraft ist ein Mensch, ein Dichter und ein Freund. Ihr Gedicht an ihn ist sehr schön. Sie sehen und zeigen ihn ganz neu, auch uns, seinen Freunden.
Meine Frau grüßt Sie sehr. Von Herzen
Ihr dankbarer
ErnstSimon
* Zeile 5: »Gott bekennt« – statt »bezeugt«, bescheidener und richtiger.
Zeile 8: »Und«, statt: »Doch«.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 528 f.
[39] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 25. November 1941
2. Brief!
25. Nov. 41.
Adon, zwei Tage her, da ich den 1. Brief schrieb. Ich gedachte Ihnen meine kleine Tierfabel, da wahr, maschinenmäßig abzuschreiben, aber mein Handgelenk noch nicht gesund. Und ich bitte Sie, mir etwa durch unseren lieben Freund Doktor Kraft, sie mir wiedersenden zu lassen. Mir fällt ein, wer sie sofort druckt im Interesse der armen Tiere schon
Noch einmal – Ihr Gedicht großartig in jeder Beziehung. Sie müssen es vortragen. Wenn wir uns nicht bewegen, wie soll es werden?! Etwa Babel und Gomorrha?
Ich grüße Sie, Adon, auch Ihre Gewereth, die mich so wenig kennt oder gar nicht. In 4 Tagen entscheidet es sich, ob ich nach England fliege, abgeholt von liebsten friends in the world. Ich wag nicht zu hoffen einmal. Aber der [Kreis] bleibt, den ich zog, darin Sie sprechen müssen sofort ins Herz der Menschen.
Prinz Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 76.
[40] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 28. November 1941
28. Nov. 41
Adon.
Ich danke viele viele Male. Der Kraal beginnt am 20. Dez. Bestimmen Sie den Tag vom 1. Jan. an – Sonntage wären vielleicht am Willkommensten. Ich muß nämlich einigemale nach Tel-Aviv zum Vortrag.
Nun muß ich noch beantworten, ich erschrecke, sehe ich ein Buch von mir in Händen, die mir – oder schauen Augen hinein, die lesen und sich erhebend lächeln oder geschwollene Augen oder dergleichen. Ich sage oft, eigentlich kann man besser auf die Straße gehen, als seine Seele verkaufen. Ich weiß wohl, Adon; wie schön man dichtete für Auserwählte oder einen einzigen Menschen oder nur für sich, das tut man ja eigentlich. Ich sagte ja im »Gebet«, (ähnlich) der Zweifelnde oder sogar, der – böse ist mit Gott –, kniet vor Ihm doch im Gebet an Gott. Ich weiß nicht mehr, ja ich weiß nichts mehr. Man sollte immer nur Perlen aufziehen oder sich Albumbilder kaufen, sie kleben in ein Poesiealbum für eine Freundin wie in der Schule.
Das Täschchen für Kleinhannâh meiner Synagogenfreundin.
Der Prinz.
Many greetings der Gewereth und Uriel.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 77 f.
[41] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 4. Dezember 1941
4. Dez. 41
Adon.
Würden Sie mir meine Klage im Interesse der ärmsten Lasttiere, die ich Ihnen sandte wiedersenden? Ich habe keine Copie. Mach ich eigentlich nie. Und ich will im II. Palästinabuch, die paar Seiten unterbringen. Ich legte den Brief zu dem Täschchen für Hannah, [über dem ersten a ein Stern] der ich eigentlich eine Puppe versprach. Hat sie sich dennoch gefreut?
Ich hörte paar Minuten vorher von Ihrem Vortrag in der Volkshochschule, rannte hin in unsere Synagoge – war dann also auch Ihr Schüler. Ich guckte wie gehemmt immer, an der Seite sitzend, in das Publikum, manchmal fielen meine Lider zu – wie von selbst und säumend, träumend hörte ich, Sie lehren. Ein starker Vortrag und ich hörte von meinem Fenster aus zu Hause angelangt, wie einige Adonis darüber sehr entzückt sprachen. Ich wachte nachts oft auf und das erste Menschenpaar sah ich im Garten Eden spielen mit den Tieren und sah auch Propheten, schon greis wie Herbstblatt am Baum und griechische Jünglinge, die sich Götter nannten winkten mir, ich soll mit ihnen mich im Früchte werfen üben. Früher warfen sie doch in Athen ähnliche lebendige Bälle wie Melonen über Hecke und Zaun. Und es ist der einzige Sport, den ich etwas verstehe. David liebte auch diese athenische Kunst und wenn ich übe, kann ich direkt um Ecken werfen.
Einen Satz sprachen Sie: (dem Sinn nach) Der Tod gehört zum Leben.
– Auch die Auferstehung oder das Wiederfinden ins Blühen? Ich wagte nicht zu fragen. Ich meine das persönliche Auferstehen, wie Jesus von [Stern] Nazareth wirklich sichtlich für alle, noch vierzig Tage auf Erden wandelte, den Jüngern begegnete. Mir ist es kein Zweifel. Ihnen, Adon?? Ich spreche von Jesus von Nazareth und weiß er war ein Edeljude – vielleicht – wie auch Lurja der fleischgewordene Gott herabsteigend. Warum soll das nicht möglich sein, da ja so viel für Menschen Unmögliches, geschieht und geschah. Was mich immer deprimierte, die kaum vernommene Ansicht eines zweiten – ironisch vernommen, ungläubig einer zweiten Erzählung, gutmütig wohlwollend aufgenommen, war sie das Wort noch so stark. Ich möchte mir erlauben zu sagen, man muß Strahlendes von Similikitsch unterscheiden können. Warum sprachen Sie nicht nur für mich? (Eine bescheidene Frage, die aber festlich ist.
Prinz Jussuf, leider: Ernest Apollon
Am 27. Dez. erzählt dearest Martin Buber vom Balchem – Schabbatt.
Wollen Sie im Februar erzählen, Adon. Wann?
[Davidstern]
Ich leite den Kraal alleine.
Werner Kraft nach Martin Buber – so gegen 10. Jan.
Einladungen kommen zeitig vorher.
Verzeiht: Bleistift.
℅ Weidenfeld
Baït Hamaaloth
(Mul Meschutaff)
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 79 f.
[42] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 8. Dezember 1941
8. Dz. 41
am selben gestrigen Abend
[Vollmond mit Gesicht, daneben ein Stern]
Adon.
Ich vergaß noch im vorrigen Brief zu sagen oder von Adam aus dem Paradiesgarten zu schreiben: Er zweiteilig vielleicht? – zunächst gewesen, wie Sie lehrten, Mensch contra Mensch – und sich von der Rippe Mensch befreite, sie abstreifte wie eine Haut wie ich mich vom: Ichundich aber, – mich wieder versammelte mit mir. Wie kommts – und wie soll ichs verstehen, daß sich der Mensch vom Menschtum bricht, sich wieder sammeln muß im höheren Geschehn?? Nachher kam Adam (Calmon (?) und dann die Sage von Metraton (?) Aber das empfand ich damals in Berlin schon für eine Erfindung. Ein Untergott, der Gott Adoneu [Davidstern] die Gebete reicht? schien mir unwahr, und uneinfach. Und die Sünde, (das Böse) (an starken Strängen) (Kabbalah las ich einst.) fast erlaubt. Wie soll man das verstehen? Ich glaube, da sie Halt machen kann, einhalten wie wilde durchgehende Rosse überwältigt werden können? Aber warum? das Alles? Die Schöpfung ist kein Schauspiel oder doch? – Ihr Vortrag gestern überwältigend und feuersprühend und voll vorweltlicher Heiterkeit.
Ich freue mich schon auf Montag wieder. Dem Montag hab ich nun ein silbernes Kleid machen lassen mit Fransen.
Nun sprachen Sie gestern von David, den ich so tief und schwer zu gleicher Zeit verehre. Er ist der größte Dichter der Welt, auch wenn er nie seine Gefühle incarniert hätte. Sein verzogenes Kindgefühl Gott gegenüber, Der allein für ihn da! Auch empfinde ich David nicht als einen bösen Menschen; Dichtung wurde Wahrheit, Wahrheit trug Flügel. Wir können ja nicht nachweisen, ob Bethsebas Adon nicht ein Tyrann gewesen? David ihn darum in die Schlacht geschickt, was auch dennoch unfair gewesen hinterrücks. Er hätte ihn dann Aug in Aug fordern müssen. Wieviel Bethseba schuld, weiß man ja auch nicht. Doch vielleicht ein Wille Gottes, damit mit tausend Quellen holdschäumenden sich ihre Adern füllen; Schläuche, die dazu bestimmt. – Aber ich denk nicht daran, die Handlung zu verteidigung. zu verschönen. Vielleicht sollte Bethseba nicht verschmachten, zu Grunde gehn. David ist herrlich – »ich schrieb nur 1000 Gedichte, er 10000!« Viel größer die Sünde gegen Absalom, den er liebte und aber Salomon zum König erhob. Das bezeugt den Einfluß der Bethseba.
Seid Ihr böse, Apoll, daß ich meine Verteidigung schreibe. Mir erschien einst David – er trug einen Turban, der sein Haar bedeckte und einen schwarzen Talar und vielleicht erzähle ich Ihnen mal genau – vielleicht.
Seine Gedichte, die gewaltigesten Gebäude, die gebaut wurden im Spiel der Dichtung. Die Dichtung überwältigte ihn, im Dichten und im Handeln. Seine letzte Muse: Bethseba.
Ich konnte jüngst das Bogenlied an Saul und Jonathan mir vortragen mit der Musik einer Kinderspieldose – wie ein Riesenspielzeug so gern hört. Verstehen Sie das? Ich noch nicht ganz.
Nun ist es 11 Uhr ich geh noch zum Jakobbrunnen; das heißt zu einer meiner Orangen und trink daraus goldene Lebensfreude, Adon. Jussuf, da er zu traurig.
12 Uhr
Ich habe getrunken aus dem Jakobbrunnen. Es ist kalt ich friere und bin ohne Trost, ohne Hoffnung. Und habe doch vor Jahren die Engel gesehen – lange Zeit auf Erden und in den Höhen.
Und oft bete ich nur: O Gott – – – –
[neun Sterne]
Ich vergaß noch von der – Gunst der Belohnung zu sprechen. Wie Sie sagten, daß oft Menschen erhöht werden und die es verdienten nicht.
Ich glaube, es ist oft eine Prüfung nicht zu glauben an Gott und doch vornehm gesinnt zu sein und gut zu handeln, nicht an etwaige Belohnung denkend. Sie würden sicher immer gleich gut handeln!
Haben Sie die letzte Seite 4. noch von meiner Fabel, Adon, sie fehlt.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 81 f.
[43] Else Lasker-Schüler an Hannah Simon
Jerusalem, Mittwoch, 10. Dezember 1941
10. Dz. 41 Jerusalem
Liebe süße Channa.
Ich hab mich so defreut mit Deinem tleinen Brief und ich las ihn sofort. Und wenn Du die Cidaretten alle geraucht hast, schreibe es mir, ich kaufe dann neue. Zwar weiß ich einen Garten, darin auf einem Beet, Chokoladencigaretten wachsen – und ich pflück Dir dann welche. Spring’ über den Zaun, der genau wie Zucker schmeckt, ganz weiß ist, und brech für Dich auch vom Zaun ein Stückchen ab.
Denk mal – zu mir kommen morgens die Tauben ins Zimmer. Der älteste Taubenbruder, der Flatter heißt, weckt mich und schreit: Krruhh!!! [fliegender Vogel] wenn ich nicht sofort Krumen streue. Oft ißt er meine zwei Brödchen auf mit Corinthen darin; brauch mich nur einen Augenblick umzugucken, ob die Chokolade auf dem Feuer überläuft. Denk nur an! Es kommen denn nach und nach alle Taubengeschwister: Federlei, Braunrock und wie sie alle heißen. Und ich freue mich, wenn Du mich bald besuchen wirst, (ich nicht abreisen mußte) Channa und selbst alles siehst. Deine Freundin Elsi
(Schreibe bitte eine Karte zeitig vorher.)
Grüße Deine Imâh
Für Kleinchanna. [Kind mit einem Schiff auf dem Schoß]
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 83.
[44] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag und Montag, 21. und 22. Dezember 1941
℅ Weidenfeld Baït Hamaaloth (Mul Meschutaff) Jerusalem
21. Dez. 41
Adon Ernest Apollo.
Ich schreibe hier schon voraus für morgen:
Unbemerkt legte ich diesen Brief auf Ihren Vortragstisch.
Hat Channah [über dem zweiten a ein Stern] meinen Brief bekommen, den ich Ihnen einlegte? Maimon Str.? Nun sind die Tauben fort und da Channah [über dem zweiten a ein Stern] sie suchen würde, soll sie nicht kommen, wie sie anmeldete. Ihr niedlich Kindlein mit den braungoldnen Haaren. Lauter Quecksilber im lebendigen Pokal. – Ich habe Sie Ihre Chanâh Sie selbst lange nicht gesehn, nicht gesprochen denn ich hatte keine Phantasie mehr, auch nicht zu zaubern. Sie waren in der späten Einsamkeit meines Raums meine Wiesenschaumkrautwiese. Als ob alles verblühte mit einmal. Ich wieder allein – selbst der Mondschein schwarz behangen. Ich habe so viel wieder durchgemacht an Traurigkeit bis meine Augen bluteten. –
Am 27. Dezember macht mir Martin Buber die große Freude, im Kraal, in der von mir gegründeten Verbindung zu erzählen – vom Baalchem. Inl: die Einladung. Immer 14 Tage Pause. Ich führ’ die Verbindung allein, der Einfachheit wegen, der Schlüssigkeit wegen. Es sprechen sehr sehr feine Menschen und Sie, Apollo – wann Sie wollen,? was Sie wollen? Alle sagten mir bisjetzt gerne zu und ich freu mich. (Ich erkenne nur: Gewissen an.) Pflicht zu eng. Nun eine große Bitte – bitte unter uns für ewig!? es würde W. K. beschämen vielleicht Ich spreche sie aus, da ich doch Werner Kraft nicht so nah stehe, mir zu erlauben, ungefragt sein Vortragen zu kritisieren. Ich möchte aber seinen Erfolg bei den schönen Gedichten, die er schrieb. Sein Vortragen ist zu pastoral, unnatürlich, langweilig – lehrerhaft (von ehemals) bemüht er sich deutlich die Silben auszusprechen. Er muß gelöster sprechen und falls man auch mal ein Wort verschleierter versteht. Das Gedicht schwebt ja sowieso – irgendwie. Nun machen Sie es so (im Interesse Ihres Freundes.) bitte!! Sagen Sie er möchte Ihnen das neuste Gedicht vorlesen. Dann sehr streng raten – das finde ich liebevolle Freundschaft. Unmöglich einen Abend nur »Deklamieren« hören. Do jou understand me and I please jou – please nur unter uns. Und ich bitte Sie diese Seiten zu zerreissen. Ich glaube Ihnen, Apollo, und ich darf mich nicht täuschen.
[Kopf en face, auf eine Hand gestützt] So sitz ich und denk an Ernest
Wüßt ich einen Strom
Wie mein Leben tief,
flösse mit seinen Wassern.
Die Pflicht ist immer meine Henkerin gewesen!
Es ist wieder dunkel
7. Uhr
Heute 22. Dz: Morgens.
Ich bitte Ernest nicht die Bitte für seinen Freund für ein Schleicherei von mir zu empfinden. Es ist nur sein Bestes. Ich wag es nicht – selbst.
Mittags 1 Uhr:
Meine grünen Bohnen mit Kartoffeln kochen hier dazu auf dem kleinen Ofen.
Vaacum senden mir Öl wie Wasser.
Abends 5 Uhr:
Bald Volkshochschule. Ich sehe Ernest lächeln
¼ nach 5 Uhr:
Ich habe ein neues Stück gedichtet: Und schreib es vielleicht auf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 84–86.
[45] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 25. Dezember 1941
25. Dz. 41
Adon
Es hat mal Jemand in Köln am Rheine meine Briefe verkauft. (Hätte er mich wenigstens beteidigt.) – Ich schrieb sie ihm in den Weltkrieg, da mich seine Freunde baten.
All diese Dinge passierten und ich verachte die Menschen heute.
Hamlet sagt: »Geh in ein Kloster Ophelia« – Ich sage: Verkaufe die Briefe, Ernest-Apoll. ich mochte Dich verachten, da kein Safe.
Gestern hab ich mir Schuh und Strümpfe ausgezogen, bin barfuß durch die Bäche draußen und kam zur Besinnung.
Weder Halsweh noch Schnupfen – ein Wattetupfen in ein Schälchen Glycerin getaucht,
In beide Nasen eingesaugt,
Verhindert selbst zur tollsten Regenszeit,
Cartarrhe tief im Rachen weit.
Ich bin müde, doch ich spiele gern Comödie,
Schon, daß ich mich von mir entledige
Und diese Menschheit mit mir selbst in einem Schlag.
Wohl dem, der heute hat ein festes Dach.
Zum dritten Mal hier sitze ich im Kellerraum
Und in der Altstadt: David [über dem D ein Heiligenschein] faßt es kaum.
Darum das Gewitter [Blitz] heute.
Nach Ihrem Vortrag Montag verirrte ich mich in der Finsterniß.
Irrte umher durch seichte Stellen, Schlamm und Teiche,
Verzeiht, daß ich drum heute nicht erweiche
An Euch die Zeilen schreibend, die ich Euch überreiche.
– Der Vortrag gab mir wieder was zu denken.
»Was ist Ewigkeit?«
Stoff? Luft? Oder Fleisch oder Gewebe – oder oder was? Warum? Ist Ewigkeit nicht fähig zu erschaffen? Die Erde? Ist der Heilige Gott – Ewigkeit? Wie Sie »z. B« angaben? Oder verhörte ich mich? Oder die uredelste Eigenschaft. Ich schrieb mal das und es kann ja sein. Kann eine solche Eigenschaft nicht erschaffen? Und giebt es überhaupt nur diese Eigenschaft, die Vorbild geblieben und weiter träumt? Verzeiht ich habe ja fast – nur – gedichtet. Aber zuerst schreibt die Bibel: lag Adam »ein Schein über der Welt –« wie man vielleicht sagt: Der Spießer sagt: Ein Geistesblitz, uredelster Eigenschaft Schöpfung.
Prinz
Seid nicht böse, ich denke – zum ersten Mal – ungeheuerlich. schreckenerregend.
Ihr Vortrag die Art zu sprechen genial!
Mit Galizien verstand ich nicht.
Sahen herrlich schön Apoll-Ernest aus.
Zu schön für alle Leute.
Lebt wohl für heute!
Der Vortrag leider, da ich Raum suchte, meine Stube zu klein – am 10. Januar in Cultur Française, wo Dr Kraft Direktor. Eintritt leider 1. Piaster muß den Saal bezahlen. Sofort wird abgegeben Dr. Kraft, daß man nicht glaubt ich kaufe Bonbons. Also ich sende noch Einladung zeitig.
[Kopf im Profil mit Federschmuck] Asket mein Vetter. Grüßt
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 87 f.
[46] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 26. Dezember 1941
26. Dz. 41
Adon.
Ich war gestern so entmutigt und so enttäuscht von der Umgebung, auch die Spekulation der Mitbewohner der Etage mir direkt contre coeur. Ich zog mich dann auf das weiße Bogenfeld zurück, sandte den Brief an die Universität. Das weiße Bogenfeld auf dem ich mir stets eine Erkältung hole. Ja ich kann es nicht verschweigen, auch heute nicht, ich verachte diese Menschen fast alle hier. Wieso ich aber Hamlet citierte, weiß ich nicht, oder vom Verkauf meiner Briefe sprach, weiß ich noch weniger. Bitte zerreißt den Brief an die Universität adressiert. Sie haben ihn sicher noch nicht bekommen. Eine Entgleisung braucht nicht nur Zügen passieren.
Ihr Vortrag direkt fabelhaft! Ich sprach Adon Swet, der mich kennt, immer mir so freundschaftlich ist, er lobte Ihre Vorträge sehr.
Ich erlaubte mir nur einiges zu fragen von Montag – (ich verirrte mich seitdem 2 × so sehr, daß ich mich gar nicht erholen kann von der Nässe und Finsterniß.
So mache ich durch, die von Kind an für Jerusalem [über dem J ein Heiligenschein] kämpfte. Das heißt hier jüdisches Volk. Nicht einer hier, dessen Herz wirklich lebendig ohne Egoismus. Ich aber, Adon, habe völlig genug gekämpft und gedarbt und man kann auf meine Rippen Violine spielen. Das ist zu arg gesagt, beinahe eine Blasphenie. – Bitte verzeiht mir aber den Brief, sollten Sie ihn gelesen haben. Ich wollte Sie nicht beleidigen, wenn ich auch seltsam finde, daß Sie mir keine Auskunft gaben über die letzte Seite [Grashalme] mit den Grashalm meiner Arbeit, die Sie, – Ihnen gewidmet, – lesen sollten. Weniger Pflicht – aber Gewissen für einen Menschen, der Sie erkannte. Warum ich Ihnen schrieb, nicht wie eine Gefühlskrämerin, aber eine Schenkende, (hoffe ich.)
Ich schreib nicht mehr, aber höre Ihre Vorträge montags wenn man mich, (würde mich nicht wundern –) nicht herauswirft.
Prinz von Theben
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 89.
[47] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 14. Januar 1942
Jerusalem 14. I. 42
(Sie müssen spanische Mütze tragen – nicht Hut.
℅ Weidenfeld Baït Hamaaloth (Mul Meschutaff.
Da wohn ich meist [fliegender Vogel] aber in den Lüften weder bei Juden noch bei Christen noch beim Muselmann; hätt ich nur statt ein Kleid aus Garnen, ein Flügelkleid aus Federn an. [fliegender Vogel]
Adon
Ich hab einen Satz in Ihrer Antwort nicht lesen können, den mit dem Glauben. Doch ich glaube ja an Sie würde sonst nicht schreiben. Ich war sehr krank, schlimmer wie ich klagte, denn ich bin ja fremd und nicht zu Hause. Ich bin ja ausgeschüttet in die Gösse zwischen Schlamm und faules Gras und ich friere überdies und das.
Liege nachts an fremden Wänden,
Lebe schlecht von fremden Spenden
Und am Tage renne ich umher,
Und vom Dankesagen ungefähr
meine Zunge von Minute zur Minute ordinär
Und meiner Hände Spruch veraltete,
Die ich um weiße Astern faltete.
– Ernest Apollo –
Ich weiß noch vieles vom vorrigen Vortrag. Sie sprachen vom hebräischen Franziscus. Ich kannte ihn. Aber ich kenne auch Frauen, die Heilige. Viele Mütter oder »meine«. [über dem m ein Heiligenschein] Alle Mütter, die lieb zu ihren Kindern, sich aufopfern. Sie sind die heiligsten aller Heiligen. Ich bin zu »ich«, zu mein, zu mir, zu eitel und darum zu leiden schuldig. Ich sitze im Kalten, ich schlafe auf Balken, ich verachte mich und spucke mich an und ich liebe den Menschen, der den Spiegel oder den Bach schmückt, darin ich mich verachte. Heute, da ich nun durch den Tag irrte, sagte mir eine Frau, zu der ich sagte beim Verlassen ihrer Arbeitsstube: »Ich, Ekel, störte Sie, verzeiht.« Da rief sie mir nach: (Denken Sie!) »Sie sind ja der entzückenste Mensch, den ich kenne.« Der Herr in ihrem Raum, sah erstaunt uns beide an. Kennen Sie Gewereth Kimmel? Ich ging sehr beschenkt nach Hamaaloth und ich habe wieder Kraft. Ob wahr, ob unwahr – das ist ja egale – aber es war Magie. Wehe dem Menschen, der nicht loben kann oder gar zur rechten Stunde; ich meine nicht: Syrup im Munde oder künstlichen Honigseim. Wie auch – ich gehe gerne auf den Leim.
Ich bin heute [Stern] Abend ein »entzückender« Mensch und schreibe »Ihnen« darum. Auch waren Ihre Vorträge – wieder vorbildlich. Der erste vor 16 Tagen blumenhaft, der letzte ein Mosaikgebäude, ein Mosaikpalast. Sie bauen sicher und herrlich auf: Stein auf Stein und Stein neben Stein mit Innendekoration (Seele, manchmal Marmorgeäder) geradezu aus Damast. Der Prof. Goldmann (?) in Berlin spricht grandiose Gerüste nur – ohne Wohnungen!! Seine Freunde sagten, so sei es richtig, wie ich behauptete. Er ist schwer, ohne Trost für alle Spießbürger. Ich konnt ihn nit ausstehn, aber dachte anders wie ich ihn hörte reden. Er ist immer in Schwu-[streng blickendes Gesicht]lität, immer in Aufregung und die Augen so toll! Nun wissen Sie wen ich meine? »Sie« aber blühen; und viel viel Tannenzapfen, Kastanien, Goldorangen, Melonen wachsen aus Ihren Worten, Ernest Apollo. Und, als ich Ihnen sagte: »Herrlich!« (war es), war ich später sehr ungehalten mit mir. War es aufdringlich?? Aber Sie sagen doch immer was zu mir, nachdem ich meine Dichtungen gesagt.
Meine Verbindung: Der Kraal verlief so nett wie im Urwald am River der Kraal. Martin Buber sprach wie Heiligtum und die Indianer entzückt!! Sie waren nicht da – ein Verbrechen! Aber ich bemäntelte es, denn die Indianer gefährlich!!! Nun erzählt uns am 24. Jan. Schabbatt: Der zu mir unvergleichlich liebe Adon Swet: von den Juden Rußlands. Ihre jugendliche Aunty: Lady Elfrieda war auch zugegen. Tut mir so leid, ich konnte mich gar nicht um sie kümmern. und freute mich doch sehr. Nach Adon Swet spricht: Werner Kraft – ich freue mich!
Alle 14 Tage ist bei mir also [Vollmond mit Stern] Vollmond. So schön alles und alle schreiben: sie erzählen wann ich sie rufe.
Ernest Apollo, ich habe so geträumt von Ihnen und mir – als ich so krank lag – ich weiß nicht wie und einmal hießen Sie Ernst Primaner; das andere Mal: Ernest Apollo; die Blume: Euo umschlängelte Ihr Testament. dann: waren wir feine wilde Tiere und versteckten uns im Rohr und als wir erwachten, bluteten wir aus allen Poren und ich träumte ein Gedicht – wunderschön! [8] Es ist so schön, daß ich Sie von ferne liebe, kein Goldstaub geht uns verloren, aber oft denk ich einen Vers von Heine: – »Und hast mich zu Grunde gerichtet –
Es ist anständig an der Liebe zu Grunde zu gehn. (Ich freue mich darum, Sie mich nicht lieben.)
Soll ich Ihnen noch was zeichnen? Den engeren Kraal?
[Frauengestalt zwischen zwei Indianern]
Jussuf der blaue Jaguar
Gemütlich nicht wahr?
Grüße vom traurigen Prinz Jussuf
es ist gerade 12 Uhr. nur eine Kerze, da zu teuer für meine nette Wirtin zu viel elektrisch Licht.
Anmerkungen
H (Brief): S. 1–7: The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). S. 8: ? Faksimile: J. A. Stargardt. Katalog 682: 175 Autographen und Urkunden. 175 Jahre J. A. Stargardt, Berlin: J. A. Stargardt, 2005, S. 173 (Nr. 154). D: KA, Bd. 11, S. 97–99.
[48] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 18. Januar 1942
18. Jan. 42
Adon. Nach der Synagoge bin ich zuerst in mein Zimmer: Hamaaloth gegangen, dann erst wollte ich zu Ollendorf um was zu fragen. Ich wußte »nicht«, daß ich Sie treffe. Ich erkannte in der Nebelluft Ihre Frau auch nicht. Ich bin Ihnen nicht nachgegangen, zumal ich ja auch erst zu Hause gewesen und keinen Synagogengänger vermutet hätte noch auf dem nahen Wege.
Ich muß Ihnen das vorher schreiben, bevor ich Ihnen noch einmal sage, wie wundervoll Ihr Gedenken an Ihren großen Lehrer. Hätte er mich auch leiden mögen, mich ertragen? Ich sagte nur von St. Petron Hille vor Überraschung. Nicht etwa Ihr Entzücken für Ihren Propheten zu dämpfen.
St. Petron war: Johannes der Täufer und so wie er würde ich ihn wiedergeben. Heinrich Reuß wollte immer, dem das Theater in Gera gehört, ich sollte mit ihm die Passion schreiben und aber ich kann nicht zu zweit dichten. Aber vielleicht jetzt doch, da lasse ich Johannes den Täufer auch sprechen. Damals schrieb mir Max von Baden, der zur Geistlichkeit ging, R’s Freund, einen sehr entzückten Brief. Ich habe treue liebe Freunde in der Christlichkeit, die mich verstehen und mein Haß und meine Verachtung, die ich gequältes Kind in der Schule in den untersten Klassen empfand, bevor ich zu Hause unterrichtet wurde, sehr gedämpft.
Glauben Sie Juden haben bessere Qualitäten. Man muß die besten immer beurteilen. Gemeingesinnte oder primitive Menschen alle gleich – so selten, daß jüdische Frauen lauschen können mit ganzem Herzen und Gemüte dem Erzählenden zu, der Wunder erzählt. Sie horchen oft wohlwollend – das ist schon das höchste ihrer Gefühle. Auch ihre Schwärmerei sehr geordnet meist. Sie stolpern nicht, sie machen keine Dummheit.
Meine Schwestern waren Blumen. Ihre junge Tante Frieda z. B. hat eine vornehme Vernunft, auch die feinen Augen zeitweise zuzudrücken. Sie hat viel versäumt zu lieben, aus – Erziehung, aus Noblesse nicht die Familie zu durchbrechen. So fühle ich. – Gestern rissen Sie die Tore auf der Erziehung – Sie waren voll Mut und ritten auf einem weißen Roß und setzten über die Köpfe.
Ich aber dachte später nach, Ernest Apoll und verarmte schreckenerregend in meinem geflochtenen Korbstuhl in Tücher gehüllt – ich darf Ihnen nicht mehr schreiben mein Theben hat es verboten dieser Brief wirklich der letzte. Ich dachte an Toni – die für Sie sorgt. Ich dachte an Sie, der durch mich in Verlegenheit – was antworten?
Sie sollen nie Zeit versäumen mit diesen Dingen.
Ich kam nie in Verlegenheit, da ich schwebte, die Liebe schwebt. Ich bin gar nicht traurig – (fürchten Sie sicher?) gar nicht. Ich hör Sie sicher öfters noch erzählen und wenn Sie im Kraal erzählen wollen an einem der Schabbatt, bitte nur ein Wort und was? Wegen Plakat 8 Tage vorher im Raum. Ich bin der starke blaue Jaguar.
Aller letzte Seite Nachtrag:
Zerreißen Sie bitte meine Briefe, Adon.
Natürlich geben es auch Juden die Jeschurun sind – die zulauschen können ohne Kritik, »gescheidte« Bemerkungen, die lieber ein »gutes Buch« lesen, als ins Kino gehen. Beides ihnen egal wahrscheinlich.
Alle die ganz großen Religiösen waren keine Spießer – und ich jubelierte geradezu als Sie gestern das auf die Köpfe der Zuhörer so aufgelöst, ein herrlicher Platzregen – prasselten. Ernest Apoll, Sie werden alle wachsen nun.
– Es ist noch früh 5 Uhr am morgen und die Sonne scheint schon und ich wandere nun wieder allein durch mein Gemüt. Gelbe und lila Blumen gehen auf betroffen, aber voll reiner Einsamkeit und Schlüsselblumen solche: [vier Schlüsselblumen] aus ihren Stielen macht man Kinder Ketten im Sommer
Ihr Gedicht auch wie Sie es gesagt: herrlich.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 101 f.
[49] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 7. Februar 1942
℅ Weidenfeld Baït Hamaaloth (Mul Meschutaff Jerusalem
7. Februar 42
Adon.
Ich fürchte Dr. Wilhelm unser lieber Bischof hat dennoch mit Ihnen gesprochen, mit Henrietta Scold zu sprechen wegen Bilder?? Bitte die Wahrheit, Adon!! Ich habe ihn, einmal schriftlich dann mündlich gebeten, nur nicht mit Ihnen zu sprechen darüber. Ich bitte Dr. Wilhelm zu fragen, Adon. Es handelt sich um genauen Verkauf von 2 Bildern und das kann ich, allein. Dr. Wilhelm jedoch bat ich mit H. Sc. zu sprechen, da mir schien, sie mag mich gern und ich sie – teilweise. Spießerinnen im Grunde ihrer Herzen sind sie allesammt und ich habe nie geglaubt, daß es auch jüdische Kleinbürgerinnen geben. Ich kannte diese Leute, diese Spezie nicht. Ich sage Ihnen, der die hingezogenen Leute hier dieser Stadt nicht kennt: Eine Schweinebande. Verzeiht ich kann nicht anders. Ich werd schon so fertig. Ich war nämlich sehr krank, Körper und Seele krank. Mußte viel Medizin nehmen, Eisen etc: Zorri etc und trank Cognac in heimlichen Stunden, mich zu betäuben. Ich bin besser, der Sommer kommt, Narzissen wachsen gelb und weiß, mein Herz wie Eis und niemehr wird es tauen, und an die Menschen denkt es nur mit Grauen. – In den weißen Rosenstrauch Jerusalems sind die Blattläuse gekommen. Ja, Lauheit »speie ich aus meinem Munde.«
Ich bin sicher kein guter Mensch, aber in einem Behälter mit diesen Leuten, denke ich. Lieber Adon, ein paar liebe Menschen geben es hier, für den einen, den auch unser Freund Werner Kraft sehr gern mag, bitte ich Sie jetzt, Adon und Sie müssen mir die Bitte erfüllen. Auch daß Niemand davon erfährt. Der Mortimer, Halbrumäne, Sam Wassermann: Chancellorroad 9 (Dach Zimmer im Hause: Hôtel San Remo Jerusalem. Sie müssen,! müssen!! für ihn sprechen, daß er feine Stellung wo bekommt, etwa als Sekretär eines Professors oder Rektors oder allgemeine der Universität. Der Präsident – hab Namen vergessen (Nur nicht Bergmann.) aus Amerika, er sitzt in seiner Kuppel und tut nix.
Nun weiß ich wieder, Magnes heißt er
Und schreib es fix
vielleicht kann er uns helfen, Adonis
Bis ans Lebensende, glauben Sie mirs – bis
Noch hinterm Paradiese
Vergesse ich nicht diese That der Thaten diese.
Er hat eine ganz gute Stellung, aber zu schwer bei Schotten, nie frei Sonntags halben Tag mit ach und Krach. Er ist nicht stark, er ist abgemagert ungeheuer,
Und alle Waare momentan zu teuer.
Bitte unter uns, Adon!!
Bitte sprechen Sie vorerst mit ihm, ja? Er ist entzückt von Ihnen, wie Dr. Wilhelm und Adon Swet. Ich bitte Sie nichts verraten, auch nur nicht meinen Brief. Er ist stolz, er ist noble und ich darf noch sonst Jemand für ihn schreiben. Er kann so leben, aber, er geht in Brüche und ich bin Indianer – darum: Kraal. Ich denk immer, ob Gott böse darüber ist, daß ich sozusagen, Sie anguck in der Synagoge. Ich – Ekel und Prinz (ade.)
Gestern brachte S. W. mir Wallnüsse mit. Ich saß die ganze Nacht so nett auf dem Nußbaum mit den Eichhörnchen, ich Ekel.
Machen Sie so, Adon, als ob Sie gar nichts wissen, er ist stolz und gentleman. Und Sie müssen für ihn was schönes wissen!!! Laden Sie ihn ein zu sich! bitte!
Ich grüße viele Male! –
Nichts von meinem Brief Jemand sagen! Nur nichts Mortimer.
Wann sprechen Sie bei mir im Kraal? Vielleicht 7. März. Kann mich aber nicht revanchieren
Adon Wassermann ist auch da im Raum am Abend. Sprechen Sie ihn an, ja?
Ich freue mich auf Werner Krafts Vortrag.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 110–112.
[50] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 17. März 1942
17. März 42
Lieber Ernest
Heute gegen Morgen gingen wir beide noch zur Schule und ich sagte du zu dir, du – du zu mir. Und wir kamen vorbei an einem Karren mit Allerlei. Da kaufte ich dir mein Herz aus Filigran, da es gerade so schimmerte.
Aber ganz früh sagte Jemand zu mir: Der Ernest – – und ich erschrak sehr. Ich werde gleich zu Werner Kraft, ihn fragen. Ich habe nun ein klein Tischöfchen, und ich friere nicht mehr am Abend und koche mir wie am Urwaldfeuer und der River bläst dann die Flamme aus. Ewig deine Schulgefährtin.
Ernest .......
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 120.
[51] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 17. März 1942
Dienstag – 17. III. 42
Adon.
Wenn irgend etwas ungezogen im Brief war oder in diesem folgenden, diesem Brief, ich kann eben nicht anders sein wie ich bin. W. K. wollte Ihnen nicht wieder von mir einen Brief geben, also er kann nicht dafür. Ich bin nur eins ganz und gar – verzweifelt hier unter den Menschen, nur wenigen kann ich irgend glauben. Nun kommt noch meine Lage dazu, das Mißtrauen, das ich mir hole etc. Ob ich Gedichte schreibe, heißt noch gar nichts, aber ob man ein Dichter ist, seine Gedichte vorerlebt oder miterlebt. So schrieb ich Ihnen gestern den Brief über eine Vergißmeinnichtwiese gehend. Aber, da mich W. Kr. so steinern ansah, daß ich die letzten Stufen herabfiel im Centre, die Hand verdrehte, muß ich doch annehmen, da Ihnen auch das Verständniß meines großen Schmerzes fehlt und ich bin wieder allein, die ich sonst im Gedanken in Ihrer Nähe gewesen. Solch’ ein Kaiser von Theben bin ich eigentlich und immer traurig, auch im Lachen oder im Lächeln und Fächlen der auferstandenen Sommerwinde. Ich habe nur zwei Bitten noch an Sie. Die erste, daß Sie mir glauben, Adon Wassermann weiß nichts, daß ich für ihn schrieb. Eidlich! Er ist stolz, hat auch nette Stellung bei Engländern. Er hat mir nie was vorgelogen, ich weiß sein Leben, seine Sympathien etc. und ich achte seine Ehrlichkeit hoch. Er ist klug und am Freitagabend essen wir zusammen bei mir am Waldfeuer und freuen uns über den River. meine zweite Bitte, Adon, sehr ernst. Ich bitte Sie mit meinem ganzen Herzen mit meinem ganzen Verstand, den Serben Dr. Ing. Werber zu besuchen. Inl. seine Adresse. Ich weiß, Sie werden den Besuch nicht bereuen. Und ich bitte Sie keinem Menschen davon zu erzählen – Sie beide retten mit Dr. Wilhelm Jerusalem. Ich weiß nun seit eben, darum sollte ich wieder hierher, die ich schon das Bilett etc. für New-Jork in Händen, etc. größte Einladung. Dr. Werber, serbische Jude, ehemaliger Minister oder noch mehr in Serbien, schlug ich vor, daß er mit Ihnen spreche. Ich kannte ihn schon in der Schweiz, hier war er und seine Frau immer meine besten Freunde mit Krakauers. Dr. W. hat große Sympathie für Ihr Handeln etc. und Sie werden sich verstehen. Es passieren unerhörte Dinge, die er mit Ihnen bereden möchte. Überings hat er großartige Erfindung gemacht, von der er Ihnen spricht. Schon alles im Gang – patentiert, finanziert. Sie beide können das Land Davids retten. Bitte ganz unter uns!! Und von ½ 9 Uhr ist er da. abends
Von ½ 9 Uhr ist er da abends.
Schreiben Sie Dr. W. sofort an seine Adresse wann Sie kommen?
Verzeiht (die Bogen aus einem Heft.)
Unerhört wichtig mit Dr. Werber. Ich bin natürlich nicht anwesend. Er kann momentan nicht aus dem Hause
Momentan – sehr gefährlich in der Welt!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 120 f.
[52] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 18. März 1942
Pardon bitte
℅ Weidenfeld Baït Hamaaloth Mull Meschutaff.
falls Sie mir antworten wollen.
Heute früh: Mittwoch 18. März 42.
2. Brief.
Lieber Adon.
Ich muß wiederholen, ich bitte Sie im Namen Palästinas gehen Sie zu Dr. Werber. Er kann, läßt er sagen in aller Ceremonie sagen (er ist ein Gentleman) er kann aus bestimmten Gründen nicht aus dem Haus momentan; die Dinge eilen! 6–7 Uhr Telephon Vege. Sp. Färberoff.
Adon, ich hatte nämlich gestern geträumt ganz laut, Sie hätten Sich ermordet. Darum eilte ich zu Dr. Kraft, ob Sie mater. Sorgen etwa. Ich wär wo eingebrochen so wahr ich Jussuf bin. Aber ich dachte später, ich denk nämlich immer an Pistolen, aber bin zu feige.
Auch trage immer in der linken Hand eine Blume. Darum träumte ich so.
Nun bitte, Adon, ich will auch nicht mehr schreiben, verspreche es Ernest fest!! Gehen Sie heute noch wenn möglich zu Dr. Werber. eh zu spät. Später mit Dr. Wilhelm, er kennt einen arabischen Priester gut.
Jussuf Abigail von Tiba.
Bitte telephoniert
Um 4 Uhr bin ich bei Farberoff Veget. Speisehaus
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 122.
[53] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Mittwoch, 18. März 1942
18/III/42
Sehr verehrte und liebe Frau Lasker-Schüler!
Wie können Sie nur glauben, daß Sie etwas schreiben könnten, was geeignet wäre, mich zu ärgern? Sie geben Ihr Herz – immer in Fleisch und Blut, diesmal noch in zierlichem Silberfiligran: dafür kann ich ja nur dankbar sein. Darf ich das schöne Schmuckstück an mein Hannah weitergeben? Sie wird sich schrecklich freuen und Ihnen noch dankbarer sein, als sie es ohnehin ist.
Am Sonntag Abend habe ich leider wieder eine Sitzung: der Jugendalijah, in der ich nicht fehlen darf. Es tut mir sehr leid, und ich bitte Sie und meinen Freund Turnowsky um Verzeihung.
Leider konnte ich Sie heute nicht bei Ferberow anrufen, da ich kein Telephon im Hause habe und wegen eines leichten Unwohlseins in dem Regenwetter nicht ausgehen will.
Herrn Wassermann schätze ich sehr; er war ja mein Schüler. Nur überschätzen Sie meine praktischen Fähigkeiten u. Verbindungen. Wenn ich etwas Passendes höre, werde ich an ihn denken.
Herrn Dr. Werber werde ich gern gelegentlich kennen lernen u. mich freuen, wenn er mich besucht. Ich kann aber gerade in meiner Lage zu niemanden gehen, der mich nicht direkt aufgefordert hat. Gerade Sie werden das verstehen.
Herzlichst Ihr ESimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 557 f.
[54] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 19. März 1942
19. III. 42.
Adon.
Ich verstehe wohl; ich bat Dr. W. sogar zu Ihnen zu gehen oder Sie einzuladen. Er ist nämlich so viel enttäuscht worden hier, aber auch anerkannt. Ich gehe sofort zu ihm. Der Briefträger gab mir Ihre Antwort heute auf der Straße. Ich war dabei Kraaleinladungen herumzutragen. Ich bin überzeugt, Sie werden die Bekanntschaft nicht bereuen, gegenseitig natürlich nicht. Heute lese ich in der deutschen Blumentalzeitung: über Verständigung zwischen Juden und Araber. – (Natürlich schenke ich Kleinhannah [über dem zweiten a ein Stern] das Herzchen. Sie muß es am schwarzen Sammtbändchen – so um den Hals tragen. [Band mit einem Herz und einer kleinen Schleife] Es wird freudig – pochen.
Ich grüße Sie und Ihre Gewereth
Ihr gehorsamster Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 123.
[55] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 21. März 1942
21. III. 42.
Adon
Sie sehen mich mich beim paarwortesprechen so streng immer an, oder meist an; eben bin ich direkt zur Besinnung gekommen. Und ich sage Ihnen hier bei Theben, bei meiner Stadt, wie der Nuncius P. mal in Berlin zu mir sagte, – daß ich Ihnen niemehr – schreibe. Ich bereue es nicht etwa, Ihnen geschrieben zu haben, ich bin nicht wankelmütig, aber es hat nun ein Ende und ich falle gern über den Weg in den Abgrund. Ich muß mich trauen, einsam mit mir über die Pfade zu gehen. Alle die verlassenen brüderlichen Freunde und Freundinnen, denken an mich. Ich fühl’ es! Und vor paar Tagen sagte eine Stimme, die durch mein Herz pilgerte, »es wird sich alles, alles wenden«! Ein bischen überschwinglich aus einem zur damaligen Zeit sicher poetischen Ausdruck. Es war Mariaquita Moissi, die mir gut ist, mich nie verließ.
Ich bin erstaunt, da Sie fürchten können, »ich« lade Sie zu Jemandem ein, der nicht ein Gentleman. Aber ich verstehe Ihre Besorgniß, und glaube, Sie halten mich eben für leichtgläubig? Für Sie, Adon, bin ich vorsichtiger wie für mich. Ich wäre bei der Unterredung gewesen, wie Dr. W. mich aufforderte. Aber es ist ruhiger, Sie sprechen zu zweit. Nehmen Sie einfach Dr. Wilhelm bitte mit, zu meiner Beruhigung. Ich habe Dr. W. auch von Dr. Wilhelm erzählt. Ich gehe gleich zu ihm und werde mit ihm sprechen. Bringe ihm das Bild, das ich für Sie gestern zeichnete; er soll es Ihnen zeigen, aber ich kann nichts mehr verschenken. Es ist so hingekritzelt, aber ich freue mich im Schauen.
Adon, mir kommts an, zu wissen, ob Sie meine Antwort wegen des Herzchens für Klein Hannah [über dem zweiten a ein Stern] bekommen haben? Und noch mal wegen der Sicherheit Dr. Werbers. Sie fürchten, er würde Sie ausforschen wollen? Niemals!! Er ist so gut, daß er mir, die ich schon zu Eis erfroren, seinen kleinen Ofen im Winter brachte. Er ehrt mich, ich ihn. Ich hab nur noch ein Gemüt, das blüht, ich traue mich nicht es mit der Sichel zu fällen. Ich fürchte mich ja vor fremder Kälte und da sollte ich nicht bange sein vor der eigenen? Ich bin in Jerusalem in die Hölle geraten, nie begegnete ich kälteren Menschen mit starreren Gesichtern. Die Hölle brennt und brannte nie, die Hölle ist der »kalte Mensch«. Aus der Kälte wächst der Cynismus. Kayfass war cynisch; mit dem Cynismus schlägt man das Kind tot, die Kirsche vom Zweig. Ich wünsche Ihnen Schönstes, Adon.
Ich bin Jussuf der Prinz und Hirte von Theben, der Kaiser der drei Städte, Theben, Mareia Ïr und Ïr Sahab. Sie können nur in meiner – verarmten Seele angegriffen werden.
Das ist nicht Dichtung allein, doch mit Wirklichkeit irdischer, durchtränkt.
Gerade, daß der feine Werner Kraft sich sträubte, Ihnen einen Brief von mir zu geben, wie sollte ich das verstehen? – Aber ich bin heute gar nicht traurig über Erkenntniß und Erlebniß, ich bin gefaßt und beglückt fast, daß – ich noch Kraft habe
und Licht.
Wollte mich Dr. Wilhelm (unbewußt) verspotten mit dem Kraal.
Ich gründete ihn, mich zu retten auf der Erde. Zu viel Wolken in sich nämlich drohen zu entschweben. So vereinsamt fühlte ich mich.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 124 f.
[56] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, 2. Märzhälfte 1942
Schreibe 2 Stunden später als 1. Brief
Adon –
eben war Dr. Werber, der kluge ehrlich denkende Adon bei mir. Ich glaub sicher Sie können ihm glauben. Der Anhang (die Kreischende) geht Sie ja nichts an. Oder doch? Ich hoff nicht. Ich bin überzeugt, da er mit wichtigen Menschen immer wieder neu zusammen kommt (gestern ritten er mit sieben Ingenieuren über Land.) er viel erfährt und sicher Wichtiges. Ich bitte Sie, Adon, ich wirklich nur für die Sache interessiert, die uns Alle angeht, Sich mit Dr Wilhelm zu besprechen wann Sie mit Dr Werber zusammen kommen wollen? Er hat Wichtiges zu Erzählen und die Organisation liegt ihm am Herzen. Am besten – bei Ihnen, wenn Gewereth recht so, oder bei Spiegel? Sehr wichtig!!! Ich habe nur, nur den Gedanken, dass ich Gott diene. Glauben Sie das mir, herumtreibenden Menschen? Manchmal hilft Er Gott mir doch ganz merkwürdig. Bin ich auch traurig.
Nur Sie drei allein!!! Ich habe auch Dr. Spitzer einen Vorschlag gemacht, den mir eigentlich in Zürich ein Tübinger Professor vorschlug.) Herrlich kann er wirken, zwischen Arabern und Hebräern. Auch Dr. Werber eben sehr entzückt, wenigstens etwas.
Im Grunde Juden, Araber Etc etc mir Ganz egale, Ich tu alles nur für Gott, Vielleicht ist Er da!? Glauben Sie es? Unsichtbar – Er wäre längst vergriffen. Wenn Möglich. Ich geh nun jetzt zum Hebräischen Bischof nach oben. Sprechen Sie bitte sofort mit ihm, Adon. Morgen Abend bin ich bei Werbers. Möchte antworten. Der Dr. Werber war stets ein bester Freund von mir und nie falsch
Ihr gehorsamster, Adon, Prinz Jussuf,
Denken Sie nichts Falsches von mir! Ich trink’ dort nur manchmal [Weinglas] Wein
Ich nehme nie sonst was! Die Ehre tue ich Niemandem an.
Dr. Wilhelm eben ½ 3 Uhr gesprochen. Dr. Werber soll morgen Schabbatt 10 Uhr Synagoge kommen. Dr. Wilhelm will später mit Ihnen, Adon, und Dr. Werber – die Zeit ausmachen!
Nun Vegetarisch Speiseh. Farberoff.
Anmerkungen
T (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 126.
[57] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, 2. Märzhälfte 1942
Adon. Dr. Werber läßt Sie bitten, (da Sie kein Telephon) durch mich, – Sie bitte kein Wort über seine Reise sprechen, die Dr. W. macht. Ich versprach sofort Sie zu benachrichtigen. Doch ich saß noch bei Ollendorfs auf der Wiese, mich vom Husten zu erholen in der Nacht.
Mir tuts leid, Sie kommen heute Abend nicht. Vielleicht erzählen Ihnen Ihre Gewereth und lady Frieda wie es gewesen. Ja, die Notizbücher soll der Teufel holen. Früher kauften wir uns die primitiven Notizbücher mit Gummiband und Blei auf der Messe in Buden. Schrieben »wichtigere« Dinge hinein wie heut zu Tage die »erwachsenen« Menschen. Werden Sie nur kein Professor, dann gehen Sie Palästina verloren! Denken Sie in Jahren daran auf dem Lehrstuhl. Ich verachte die Menschheit und die Welt hat mich – verloren!!! Bäume, Büsche, Wolken, Stürme sind auch Kinder Gottes – jedenfalls gewesen. Hätte – der Sturm auch in sein – Notizbuch geschrieben, Gott versprochen, nicht mehr zu stürmen, Wurzel der Pflanzen auszureißen, so warf er einfach die eingetragene Seite ins Wasser und stürmte! (Gott freute Sich!) Ernest, Apollo, Sie sind auch verloren!
[eingerahmt:] Versuchte zu radieren, (mein einziger Bogen) verzeiht!
Gestern Abend dacht ich so:
»Mir ist so bang – –
Wie soll das Rätsel ich der Welten lösen?
Im Worte nicht, nicht im Gesang.
Die Welt ist »tot«, sie war einmal gewesen.
Ich sterbe an den düsteren Echoklang.
Und dann dachte ich, wie Sie sagten, daß anzunehmen – Rabbiner selbst, (aus Egoismus oder?)? manches gefälscht in der Thora. Das tröstet mich im vielen Zweifel.
Wo ist meine Ehrlichkeit, meine Schwärmerei, Wahrheit, Liebe, Freundschaft.? – »Aber den Lauen speie ich aus meinem Munde!« sagte ein Edeljude.
I loved jou, Ernest, and now? Allone again in my [Herz]
Ihr armer Prinz Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 127.
[58] Else Lasker-Schüler an Samuel Joseph Agnon
Jerusalem, Montag, 6. April 1942
Adon
Dr. Agnon
(Dichter)
(Villa)
Talpioth bei
Jerusalem
Der Kraal (Else Lasker-Schüler)
Sonnabend 11. April 8 ¼ beglückt uns:
Ernst Simon
mit einem Vortrag über unseren Propheten: Jeremias.
Dr. Wilhelmsynagoge
Gan Rehavia
Eingang 5
(Pünktlich erscheinen bitte!)
Anmerkungen
H (Postkarte): The National Library of Israel, Jerusalem, Samuel Joseph Agnon Archive (Arc. 4* 1270 05 2207.1). Poststempel: Jerusalem, 6. 4. 42. D: KA, Bd. 11, S. 128.
[59] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz vor dem 10. April 1942
Der Kraal
dankt, Ihnen, Adon, und freut sich sehr auf die Botschaft des Propheten Jeremias. am 10. IV.
[Blumen]
Tolstoys: pädagogisches Vermächtniß – Wenn nicht anspruchsvoll – im Mai oder Juni.?
Prinz Jussuf dankt u. grüßt.
Anmerkungen
H (Briefkarte): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 130.
[60] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 12. April 1942
Lieber schöner Apostel,
Lieber Adon,
Ernest Apollo!
Das Innen geschriebene sagte ich und sende es Ihnen mit tausendundeinen Dank für den unaussprechlich feierlichen wie gewaltigen Abend. Alle waren entzückt! Ich hatte Ihnen gestern Abend einen langen Brief geschrieben, aber so ist es viel besser und einfacher. Ich lege für Sie und verehrten Gewereth die neue Einladung ein und für Ihre liebe lady Frieda. Bitte sagen Sie Dr. Werber, daß der Synagogenraum die Kathakombe wundervoll ist.
Ihr Prinz Jussuf
Dank!!
Die Einladungen werden, was Papier betrifft – immer dürftiger. Sie gehen mit der Zeit.
Maimonstr. 32 oder 37
Adon Swet noch nicht total geheilt, er läßt Sie grüßen, Adon. Er verehrt Sie.
noch sehr schwach
Zum 11. April: Schabbatt
Ich danke Adon Doktor Ernst Simon, auch im Namen der Gäste meines Kraals – im Voraus für den uns beglückenden Vortrag über unseren Propheten: Jeremias. [Davidstern]
Schon in den Religionsstunden der Schule liebten wir Kinder den Heiligen Bibeloheim; Sein liebreiches und doch gewaltiges Angesicht auf dem Holzschnittbild zwischen Blatt und goldgerandetem Blatt.
Heute aber sitzt er neben uns auf dem blauen Mahle der ewigen seltenen Gabe, die Sie, Ernst Simon – einer der sechsunddreizig Gerechten – Jeschuruns uns reichen werden.
[Blumen] Dank! vom Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 130 f.
[61] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 2. Mai 1942
2. Mai 42
Lieber Ernest Apollo.
Sie fragten mich, wie es mir geht? Ich sagte,: nicht gut. Aber ich wollte sagen: sehr gut! Da ich Sie wiedergesehen. So viel ich noch aufnehmen kann, freute ich mich sehr. Aber man wird hier bang – sichs selbst sogar zu gestehn. Ich mache ein trübseliges Leben durch, nie fühlte ich mich so fremd und unnötig. Die Spatzen haben mich morgens nötig; Menschen hier nicht.
Lieber Ernest, ich war heute innen und außen zerzaust, das empfanden Sie und indem Sie mir die Hand gaben vorsichtig beim – »Abschied« – (so empfind ich) verabscheuten Sie mich ärmsten Bettler der Bettler, der noch die Krumen Ihrer Worte heimlich sammelte
Ich konnte nicht eintreten kürzlich, Ihre Bücher sehen, ich kann nicht Gelegenheiten benutzen noch wissend, daß ich ohne Wollen von Gewereth komme, die mich nicht mag mit Recht, denn ich liebe Ernest Apoll und es ist – (ich sage: tugendhaft) an einer Liebe zu Grunde zu gehen. Aber ich gehe nicht zu Grunde und will es nicht. Ich muß zurück, es gilt noch zu vergessen was mir hier geschah. Lieber Ernest Apoll, ich möcht Ihnen so gern was erzählen und Sie müssen so lange auf einer feinen Gräserwiese stehen aus Rosenholz geschnitten und ich staune Sie an. Aber heute mag ich Ihnen diese Wundergeschichte nicht erzählen. Aber wir wollen wieder klein sein. Wir können wieder klein sein. Das ist unsere Magie. Und ich sage Ernest und wie ich heiße, weiß ich nicht mehr. 9 Jahre hörte ich meinen ersten Namen nicht. Ich habe Angst vor Menschen, sie haben mich übel zugerichtet und mich enttäuscht. Ihre Werke wohl erkennend, berühren sie doch nicht mein Herz. Auch die Landschaft wird sie nicht im Gemüt gepflanzt, wie soll man die äußere erkennen und lieben? Die Lauheit vergiftete mich und der Egoismus. Ich aber bin selbst nichts mehr wert. Nur wenn der Abend kommt, füllt mein Herz sich oft mit Sternen, da ich an Ernest denke. Ich weiß wohl und wollte es nicht damit sagen, daß Ernest Apoll auch an mich denkt. Würde er an mich liebreich denken, würde ich nicht so verloren sein. Und doch liebe ich nur ein Bettler im Hermelin zu sein, Theben auf der Fläche meiner Hand tragend.
Sie wollten mir ein Buch von sich schenken. Ich habe noch keins bekommen. Ich lese so wenig, aber ich würde Ihr Buch lesen.
Ich lese nur von der Ungeheuerlichkeit der Geschehnisse in der Welt und möchte helfen können. Ich möchte fort, wieder übers Meer wieder; vielleicht bin ich nicht gut genug für die einstens Heilige Stadt. Mein Leben kämpfte ich für sie und nie noch war ich fremder irgendwo.
Lieber Ernest, ich möcht Ihnen doch heute schon erzählen. Als ich vorgestern beim Lichtschein saß, spaltete sich der Docht. Ich war so niedergeschlagen, da ich so vereinsamt, daß auf einmal – Gott kam und mich fragte: Bist Du alleine heute Schabbatt abend? Ich sagte: »Ja, lieber Gott.«
Da sagte Gott:
Da lade ich dich ein zu mir. – auf einmal saß ich an einem kleineren runden Tisch – ich glaube aus Mondstein – mir gegenüber der Erzengel Uriel der Liebliche, neben mir links: Michael, den ich seiner tiefen ewigen Schönheit wegen bewunderte. und neben mir rechts: Gabriel. der Holde. Er legte mir von der Speise auf den Teller, von der Feuerspeise, (die ich schon als Kind bewunderte) – mit den Händen meiner von mir angebeteten [über dem a ein Stern] Mama. Also war ich gestern beim König der Welt zu Tische – und eingerahmt von Fittichen. der Sorgfalt. Erzählen Sie es nicht, Ernest Apoll, bitte nicht. Ich habe mir schon dafür Cynismus geholt.
Ja es ist vornehm hier unter diesen Menschen zu schweigen Es geben nur etwa zehn wahre Menschen
Lieber lieber lieber lieber lieber lieber lieber lieber lieber lieber Ernest. So spreche spreche ich in der Stille der Stadt zu Ernest Apoll. Golden boy.
Jussuf
[Blumentopf, daneben Kopf im Profil]
12 Uhr Mitternacht dunkel
Nun ist es 7 ¼
nun ½ 10 –
Ich habe eben meine – Löhnung aus der Fabrik geholt und kaufe mir gleich Bonbons für 10 Piaster.
Ich habe 2 oder 1 ½ Gedicht gedichtet. An Sie und mich.
Verzeiht Notizbuchbogen!
[Kuvert:]
An
Ernest
Simon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 132–134.
[62] Widmung Ernst Simons für Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Montag, 1. Juni 1942
Der verehrten Dichterin
in Freundschaft und Dank!
Ernst Simon
1/VI/1942
Anmerkungen
H (Widmung): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 11 A 2). Auf: Ernst Simon, Chajjim Nachman Bialik. Eine Einführung in sein Leben und Werk. Mit einigen Übersetzungsproben und Gedichtanalysen (Bücherei des Schocken Verlags 37/38), Berlin: Schocken, 1935. D: KA, Bd. 11, S. 564.
[63] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz vor dem 6. Juni 1942
Lieber Ernest Apoll.
Ich danke Ihnen für das schöne Buch! Ich möchte nicht nur darin blättern, ich möchte es von erster Seite an lesen. Ich habe mal von Chajjim Bialik – einer sehr gute Büste gesehen – und ich dachte: wie ein Indianer. Nase, Mund und der Schnitt der Augen und die breite Stirn.
Ich habe immer den Egoismus zu fragen: wie hätten wir uns gefallen? Ich glaube: gut. Lieber Ernst Apollo, ich bin ganz erschüttert; noch vor kurzer Zeit hat mich immer wieder der Gedanke an Ernst Apollo getröstet; ja erhalten. Nun waren Sie plötzlich gebrochen wie eine herrliche Sculptur nach einem langen Ohnmachtsfall, den ich erlitt in meinem Zimmer und mich auch kaum an mein eigen Dasein erinnern konnte, auch nicht wo ich eigentlich war. Ich habe keine Hoffnung mehr und mein ganzer Gedanke, diese Zeit ist bald aus und ich kehre zurück. Nicht, daß ich nicht weiß wie wir bis jetzt geschützt hier im Heiligen Lande mit den – Einwohnern oder trotz der Menschen, die so wenige vorhanden. Oft schäme ich mich, lese ich von den viel gepeinigten Menschen in Deutschland, England etc, daß ich geschützt bis jetzt. Und wahrscheinlich – unwert. Ich bin ja so unglücklich und im Hause selbst oft so schlecht behandelt wovon wir nicht sprechen wollen. Ich erledige stets am 1. j. Monats genau verlangtes mit tausend Dank. Aber Fäuste drohen dafür und Erpressungen. Ich bin betrübt, daß ich solche Juden kennen lerne für die ich mich stets einsetzte überall schon in den ersten Jahren der Schule.
Ihr Vortrag über Tut Moses war wunderbar und stark und reich. Gott machte ihm den Vorschlag, wenn er (Moses) es wünsche, ein anderes Volk zu geleiten? Ich las in Berlin so oft in der Bibel. Auch diese Stelle, da Gott Aaron und Myriam anrief, ihnen betonte: »Nicht so mein Freund Moses, er sah mich nicht in Rätsel, aber von Angesicht zu Angesicht«. Ich glaube fast, daß Abraham mit Gott gesprochen, Ihn gehört. Er war noch ungetrübt, noch vom ungebleichten Gold wie dies Bild eben gemalt vom alten Meister unvergriffen. Darum sicher soll die Seele sich halten. Aber ist nicht alles vielleicht anders wie wir glauben, lehren und hoffen?? Ist denn die Welt eine Bühne, Gott Regisseur? Spricht man vom Baum von der Schuld, von eigener Schuld, sind seine Blätter faul? Bemitleidet man nicht den faulen Baum viel eher und ist er doch auch lebendiges Geschöpf. Ich bekam einen Brief eines Naturforschers, der das Herz des Baums gefunden, der mir schrieb, da er von mir las: »Was ein Dichter in einem Augenblick weiß, daran arbeitet der Forscher oft 21 Jahre.« Ja, ich glaube nur an Offenbarung. Und die Offenbarung ist einfältig und eine Blume des Gemüts. Lieber Ernest Apollo, Sie sind so lieb und so wunderschön, ich will nichts lehren, ich will nur beichten aus meinem armen Herzen, ein trockener Brunnen; früher war er bunt. Ich bin ja so unglücklich. Ich hab mir die Welt doch anders gedacht. und das Liebreichtum der Menschheit. Ich, verstehn Sie den Schmerz, hasse Jerusalem, ja seine Straßen fast alle, seine Häuser, ja alles. Ich würge, gehe ich durch die Straßen, ich eckele mich fast. Wo ist Gott und Seine Engel? Wo ist die Liebe, die kühne Wahrheit und das Spiel. Alles alles mir fremd!
Lieber Ernest Apollo, ich spreche wie ich fühle. Und bin ja so unglücklich. Und kann nicht erwarten, dort heimzukehren wo Menschen sind, die mir Freund. Es wird ein neues Meer entstehen, so werden wir weinen.
Und auch wir werden uns nie wiedersehen, Ernst Apollo, und Sie werden denken, wie – – freundschaftslos sie ist, aber ich muß geschlafen haben einen Albtraum. Ich zerreiße meine letzten Bücher, ich sende Ihnen meine Bilder, die in den Büchern vervielfältigt. Verbrennen Sie sie im Winter, ich weiß dann, daß sie doch wenigstens nütze gewesen. Aber ob ich noch fühlen werden die frischen Winde und Stürme, die mich umarmen werden? Ich bin hin und gab doch alles hin für Jerusalem.
Lieber Ernst, ich liebe dich, lieber Apoll ich bewundere dich, fremd hier im fremden mir fremden Garten Jerusalems. Es singt keine Nachtigall im Menschen, keine Schwalbe kommt geflogen; ich kann mich nicht freuen mit euch und euch, leiden mit euch und euch. Aber mit dem geschlagenen Esel, mit dem ausgenutzten Kind. Ich bin so unglücklich, Ernst Apoll, Krähen werden kommen meinen Schmerz aufpicken. Lebe wohl, Ernst Apoll, ich bin lieblos, wunschlos und voll dennoch vor Verzweiflung.
Wohin blicke ich aus? Über welche Nacht und was malt mir das Morgenrot: glühend? Ich weiß nichts mehr zu werten und schreibe dir das alles, der du voll Liebe bist wie ein Narzissenbusch, an den man sich nicht heranwagt.
Lieber Ernest Apoll,
lieber
lieber
lieber
dein armer Jussuf
(St. Petron Hilles [Stern] Tino aus dem Buch.
[über zum Teil ausradiertem Kopf im Profil] Ernest –
Ich kann es nicht durchlesen – verzeiht wenn Fehler.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 138–140.
[64] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 6. Juni 1942
Bitte verzeiht den Bogen, habe alles eingepackt, will auch nicht mehr spielen mit Steinen etc. schimmerden Dingen.
6. Juni 42.
Verehrter Ernst Simon.
Ich bin so unanständig gewesen oder noch so gering, – mich wieder zu beruhigen. Wieso – wäre zu lange zu erklären. Jedenfalls ist wieder Ruhe um mich und darum in mir. Selbst ist man ja im Stande Sich zu säen und zu ernten und auszurasten und bringt sich eher Opfer als Verbrecherinnen und Verbrechern; hier Verbrecherinnen an mein Leben und Pulsschlag. Bald ist der Krieg aus: flieg, Käfer flieg – etc. Auch erzählte Dr. Kraft, Ihre Gewereth und Kinder seien krank. Ich hätte Sie ja darum nicht mit Klagen und Ansicht belästigt, Adon, zumal wir uns ja im Grunde nicht kennen, nie gesprochen, ich meine mehr als paar Worte nach dem Vortrag. Ich hatte Ihr Buch auf einem Regal mit noch paar Dingen gestellt, es zu lesen, da ich alles schon wieder eingepackt, – denn nun muß Frieden kommen. Nicht ausgestellt,!! es zu zeigen etwa Kunz und Schultz. – Wer zu mir mal kommt, betrachtet schon aus Neugierde und belauert den Malik [Mondsichel mit Stern] von Theben. Jetzt lächelt Ihr! Damit soll man nicht vor die Hunde werfen. Bitte, ich meine vor die nüchterne leere Menge, die Sie sicher wie ich kennen. Bitte richtig verstehen, Adon! Adon Dr. Wilhelm kennt mich, da er durchsichtig klar und sein Gegenüber sich vielemale wiederspiegelt in ihm. So liebevoll und gütig beurteilt er mich. Es beschämt mich fast.
Adon, ich hoffe Ihre Gewereth, die alle hier so gut leiden mögen und Ihre Kinder sind viel besser wieder? Und ich darf sagen? Ich wurde immer in ein nasses ausgewringeltes Betttuch gehüllt und damit in eine warme Decke geschlagen, daß kein Zug eindringt, nicht der kleinste. Dreiviertel Stunde und das Fieber gesunken. Und es wirken Himbeersaft und Camillenthee so sehr für alle Erkältungen. Ich will keinen Ratschlag geben, aber mir gab immer Lexion Dr. Hirschfeld. (der ein großer Herzarzt war.) Er sagte immer, wenn Camillen teurer wären, würden alle es nehmen. So grotesk! – In den Urwäldern namentlich bei Brasilien, wachsen ganze Strecken Camillensträucher, die Indianer heilen sich damit. Ich hoffe es ist aber gar nicht mehr nötig! Und Sie werden bald wieder ganz froh sein! – Ich sehe schon den Dampfer – und gucke in die Ferne, – nicht zurück! In mein Herz möchte ich Jerusalem pflanzen. Ich habe einen Albtraum träumen – sollen? Vielleicht!? Kein Mensch, außer paar Menschen hier, ahnten meinen Schmerz, meine Enttäuschung. Ich war stets für Indianerjudenentgegenkommen! Aber, verehrter Adon, ich bin wieder freier, wie aus der Haft plötzlich. Warum schrieb ich Ihnen eigentlich unaufgefordert – so denken Sie; und ich antworte, da ich zu Ihrem Gesicht: Vertrauen, Adon.
Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 140 f.
[65] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 12. Juni 1942
12. Juni 42.
Adon.
Es ist wieder Windstille endlich, ich bin den 3 Tagen Ruhe dankbar. –
Ich las bis jetzt namentlich die Gedichte im Buch; sie sind geradezu erschütternd und herrlich schön übersetzt. Ich freue mich, daß es einen solchen Dichter hier gab und Sie, Adon, sein Übersetzer. in Jerusalem. Einmal sah ich seine Büste ich fand sie indianisch und sehr sehr stark. Vielleicht hätte er auch mich als Inkas erkannt, und wir wären treue liebe Freunde geworden. – Diesem Menschen konnte man alles sagen.
Adon, ich habe ein ganzes Leben durchgemacht in den letzten vierzehn Tagen, dann auferstanden! – Alles Entsetzliche vorbei seit drei Tagen und ich atme ruhig. und bin voll Dank. – (Wissen Sie was das ist: verächtlich gemacht zu werden?)
Sie haben den [Blüten] wunderbar tiefen Dichter [über dem D ein Heiligenschein] aus dem Grabe geholt; »könnte« er das Buch sehen!!
Wer weiß – mein Leben weinte eben beim lesen. Unsere Gedanken gingen Hand in Hand.
Der Prinz.
2. Bogen
Ich kann nicht mehr dichten. – Ich begreif nicht, daß man einen Menschen, der noch dazu verhungert war, nicht mal einladet zum ordentlichen Mahle, Das taten ja die Leute schon um Baale zur Heidenzeit. Einen »Menschen«, der 2 Bilder (à 350 Mk (zur Zeit Berlin) schenkte, 8–10 Gedichte auf »Jemand« dichtete verliebt in Jemand war, aus jeder seiner Poren trank – »ungeloren«! auf »ihn« eingeschworen, nicht aus Revancherei zum Mittag oder lunch geladet ein den Mensch, der in Betracht, – der Tag und Nacht dachte an »ihn« und keine Ruhe mehr in hiesiger Athmosphär’!
Nun zu spät, Adon Pädagoge, ich käme nimmer, ich ess und trink seit einer Woche immer nach meinem Hunger und Geschmack. Lebt wohl, ich bin so müde, lebet wohl und lacht ein wenig über diesen Wirsingkohl mit braungebratenen Pommes frites
»So« nimmt, Adon, das Lieben und Vertrieben werden – einen Dichter mit.
[Kopf im Profil mit einer Kette um den Hals, als Anhänger ein Herz, auf dem die Buchstaben E und S stehen]
Stets auf den Lippen
Und um den Hals –
Doch nicht mehr,: E. S.
unter den Rippen.
Mit dem Essen – darf – Ihnen nicht leid tun – ich darf vorher keinen Küchengeruch riechen und die Serviererin muß wie Lunch freundlich sein. etc. zu viele Form[alitäten]
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 143 f.
[66] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 14. Juni 1942
(Auf einer Papyroshaut)
eh der Tag wird laut
Auch hier krähen die Hähne
Und es plätschert die Thräne
Und es heult die Hyäne
[Schnur mit Anhänger in Form einer Blüte]
Gestern in der Volkshochschule sprach II. Vortrag: Fortsetzung Adon Goldmann. Ich sah aus nach Ihnen, was Sie dazu meinten – Ein bedeutender Wirrwarr und wir saßen und gaben uns Mühe zu hören und zu lernen – ich glaub, ich allein flog zu den Sternen – hinter den Wolken noch verborgen. Ich hatte ein unangenehm Empfinden, holte er die gleiche Ansicht, (unseres? Rosenzweigs herbei, der immer blühte. Oder Bubers Ansicht, die mit seiner paralell. Zeugen herbei holen, ist Unsicherheit oder unklug. Aber er selbst voll Begeisterung und Besessenheit des Vortrags. Er ist auch zu unruhig, nicht befeuert und manchmal sind die Vergleiche ganz kleinbürgerlich. Ich glaub ich will es nicht behaupten daß Dr. Wilhelm über den verschraubten Vortrag seines Goldmanns sich das Lachen
Sehr verbiß in seines tiefsten Kleidungs Sachen.
Beim 1. Vortrag sprach er ungebührend über Nietzsche [über dem nachträglich eingefügten z ein Fragezeichen]
Und gestern über Kant (unerkannt.)
Doch ich selber las nie Kant weiß nur wie wundervoll er sich mit Swedenborg verband.
Nietzsche sei ein geisteskranker Mensch gewesen!!
(Nie ist ein Mensch je mitleidiger gewesen.)
Und wie Herr Goldmann sagte, die Nacizeit,
Hab er »schuld« an heut –
Ich answer him, »gesund ist jeder Ochse«.
Herr Goldmann kam dann mich besuchen
In der Westentasche Kuchen –
Und nicht mit mir zu boxe.
Ich war nicht da in meinem Raum der Räume
Und so erstickte dieser Akt im Keime.
Gestern waren alle meine liebsten Menschen da
(Nicht allerliebsten) und später dann bei Färwerow trara!
Ich fragte Sporowitz bei Rüb’ und Appel,
Im Kopfe schon beinah ein Rappel:
Was heißt: transzendental?
Was transzendent??
Ich bin ja dumm als Element.
Bis dahin glaubte ich es heiße:
Ich und mir.
Wir lachten alle so wie nie
Seit Jahren nie, wie Sie vielleicht,
Sehr rügen das Geschmier.
Nur einmal rief ich: »Stimmt«!!
Als Dr. Goldmann sehr betonte:
Nur »besessen!« von einer Idee –
Ist sie zu erreichen – er sprach von hier.
Nur besessen, da spielt selbst Geld keine Rolle
Keine Goldminen sogar.
Bitte verzeiht meinen Brief, wissend selbstredend, ein gewiß großer Geleerter sprach, aber ohne Methode, ohne ruhendem Umriß, in dem das Gebäude sich entfalten kann.
Denk ich an Ernest Goldapoll,
An unseren Apostel.
Ja, da weiß man,
daß ein Künstler schwebt über Forschungen, eine Reise über Stadt und Städte,
Die der Bücherwurm nur blutlos auf der Landkarte (glaubt) kennen zu lernen.
Gelehrte sind meist Wortsadisten.
Nur für Ernest – wir wollen ihm nicht schaden.
So saß ich gestern. [Kopf im Profil mit Fes]
Wir gehen heute ins Cinema Zion. 3 Uhr. Herrlich Stück mit der schönen Marlene. Sehe 4. Mal!
[Blumen] Ich geb einen Abend bald dann 2 Monate Kraalferien.
Sprechen Sie dann wieder?
[auf gezeichneter Urkunde:] Ernest Apoll, im Gedanke[n] (in mir) antwort[en] Sie imm[er.]
Genügt.
Lieber Ernest Apoll, glauben Sie mir!! bitte.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 144–146.
[67] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 3. Juli 1942
3. Juli 42
Adon, lieber Ernest Apoll.
Ich bin für ganz kurz aufgestanden, was zu holen sehne mich auch heute nach draußen da kühler Wind. und schreibe Ihnen,: ich hätte gern sofort gedankt für den wunderbaren Vortrag über Jeremias, [über dem ersten e ein Stern] aber ich wurde krank, ich träumte oder es träumte immer so schleichend in mir, da ich fiebere, aber nun besser. Ihr Vortrag geradezu hinreißend und vielleicht kann ich Montag wieder kommen. Meine einzige Freude jede Woche.
Ich grüße Sie viele viele viele Male Ihr
Prinz
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 146 f.
[68] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz vor dem 5. Juli 1942
Am 5. Juli mein Schlußvortrag im Kraal: (der 1. Sept wieder aus dem Urlaub kommt.) Centre de Cultur Française Jehudastreet 3 Sonntag ½ 9 Uhr
Darf ich, wenn es auch Ihrer Gewereth und jugendlichen Tante recht – macht es Ihnen große Freude? wenn ich inl. Gedicht, Ihnen gewidmet vortrage? Ich lese auch ein Gedicht von David, von Mosche, von St. Petron Hille. Widme eine kl. Erzählung unserm Dr. Wilhelm. Doch wie Sie wollen? Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 147.
[69] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 6. Juli 1942
Adon, bitte verzeiht Papier.
Ernest Apollo,
ich danke Ihnen so herzlich wieder für den unvergleichlichen Vortrag. Sie sprachen so warm und liebreich, man nimmt mit sich das schönste Geschenk. Und wie Sie so sprachen, dachte ich wie eine Inspiration: Vielleicht sind wir da, Gott über die Erde zu tragen, wir – Sein Wagen. Aber mir wird alles täglich mehr ein Rätsel. Wie schrecklich die Weltgeschehnisse, auch auf dem Lande, ich meine der Heiligen Stadt. Die großen Armute, die Kinder die so früh handeln müssen, statt spielen zu können. Kinder, die so viele unwahr werden »müssen« und noch von Vorübergehenden beschimpft werden. Ja man selbst oft ungerecht wird. Ist denn Gott Besitzer einer Bühne, sind es Rollen, die Er aufgiebt: Kann man sich unterstehen, zu danken für dies oder jenes –? angesichts der Leiden des Zweiten? Sie sprechen von Gut und Böse. Erhebt sich nicht aus Gutgehandeltem – böse Folgen und umgekehrt. Oder giebt es doch eine Norm? Ich war oder bin noch sehr krank, die ich dasaß und Ernest Apol zuhören durfte. Ich war stundenlang ohne Besinnung vor etwa fünf Tagen und kann nicht ganz wach werden. Ich habe so schnell und ungeheuer viel abgenommen und kann kaum ohne Lehne sitzen. Zappele hin und her. Nun aber kann ich wieder mehr essen, koche mir selbst wie bei uns früher so schön, was ich gern esse und mich nicht eckele. Aber, daß ich davon auch nur rede. Was kommt es drauf an, ob ich bin oder nicht. Ich habe das Buch von Dr. Baeck über Jesus von Nazareth. Ich habe ihn mal gesehen im Felsen vor Jahren in Jerusalem. Wußte nicht, daß es so Wege gebe hier. Neben ihm saßen zur Rechten und Linken ganz schwarze Menschen, wie Kohle Gesicht u. Körper, der eine hatte nur einen Arm, der andere nur ein Bein. Er selbst aber – nie sah ich so weißes Licht, wie er sich auflöste. Und ich armer Mensch trank vom Licht und fühlte dann eine Kraft sondergleichen und war Licht noch nach dem Wachen so etwa einige Stunden lang. Aber ich probierte das Licht aus – nicht wie ein guter Mensch. Es dauert zu lange wollte ich ganz erzählen.
Ich freue mich unendlich Sie sprechen im Sept. oder Okt. wieder in meinem Kraal. Was Sie wollen, Ernest Apoll. Ich kannte persönlich nur Gorky und seine Frau. Ich las ja immer wenig. Ich liebe eigentlich nur einen Russen – den Puschkinübersetzer Er ist mein lieber guter Freund, weinten wie ich flüchten mußte. Sigismund von Radecki in Berlin Auch war Herr von Walter mein Freund, ein Russe in Berlin, der Freund von Radecki. Wir kannten keine Religionsfremdheit. Auch war Marianne von Wereffkin die herrliche Malerin meine Freundin in Ascona. Eigentlich kann man sich mit Christen tiefer unterhalten über Religion, auch glauben sie dem Erzähler. »Sie«, Ernest Apollo sind ein Wunder und ich küsse Ihre Hände, Ihren Mund, die Silberrande Ihrer Finger. – Ich kann nicht mehr gesund werden in der furchtbaren Unheimlichkeit und Dunkelheit in mir.
Ihr Prinz.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 147 f.
[70] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 7. Juli 1942
7. Juli 42
Adon, lieber Ernest Apoll.
Als ich gestern in mein fremd Zimmer kam, schrieb ich noch den Brief, den ich heut morgen in den Kasten warf. Ich schrieb darin, ich küsse Sie auf den Mund – natürlich im Gedanken. – Ich warf den Brief doch in den Kasten. [die letzten vier Wörter gestrichen] dachte ich. – Ich kann ja nicht antworten, wenn Sie, wie gestern, mich so lieb begrüßten. Doch ich bin dann sehr stolz, wenn mich unser herrlicher Apostel begrüßt; ich glaube ähnlich und doch noch edler stolz – als mich damals in Berlin die Tibetaner mit auf der Straße umarmten, die Zeitung in den Händen, in der ich über sie und den ¾ Meter hohen Hüten geschrieben hatte. Nur ich, (wünschte der Besitzer Dr. Münch vom Sachsenhof Hôtel –) durfte auf der Etage wohnen bleiben, als sie kamen von der Ausstellung in London. Ich wohne so lange dort, daß mich der Dr. Münch extra besuchte in Zürich um zu sehen, ob ich gut wohne, traf mich im Matrosengasthaus; zerriß all die unbezahlten Rechnungen lachend. da ich ja letztes Halbjahr ohne Geld. Mir gehöre sein groß Hôtel mit. Das goldene Herz hier hab ich kennen gelernt – Lieber Adon, lieber Ernest Apoll, ich würde es hier nicht besser haben wollen, könnte ich noch Hunger erleiden, gern würde ich hungern – vielleicht gern – heute nicht der Juden, aber Gottes wegen. aber ich bekomme genug. Ist Gott? Dr. Baeck hat mirs versichert – so, daß ich empfand, sein Glaube ist größer als alle Weisheit. Gott würde mir helfen, wenn – Er es nicht so gut mit mir meinte – schrieb oder sagte mir Franz Werfel. Ich möchte Ihnen zum Lesen seinen Brief senden??? Er hat viel durchgemacht und nun erst fanden wir uns im Tessin und waren beide so gute Freunde geworden. Auch seine Frau, die wir uns beide trafen wo, nicht ahnten wer wir beide – wollte mich mit nach Wien nehmen. Auf einmal kam Franz Werfel in den Saal. Ich glaube Ascona erschuf Gott mit Jerusalem zuerst; so ein paar Erdsamen fielen aus Seiner Hand durch den Raum gerad dorthin. Paradies ist Ascona, die italien. Menschen so lieb und Gesang ihre Sprache! Lieber Ernest Apoll, so prachtvoll sprechen Sie!! Immortellen sind Ihre Augen, in der Tiefe voll Trauer und schauen lächelnd. Prof. Buber liebt Sie wohl sehr, und ist stolz auf Ihre Worte, wenn Sie in Ihrer reinen Noblesse und keuschesten Ehrlichkeit, ihn oft erwähnen.
Es dürfte Sie überhaupt niemand ansehen, Ernest Apoll; wenn wir zur Schule gehen (im Gedanken) wage ich kaum Ihre Hand anzufassen, so verächtlich machte man mich. – Ich war heute früh wieder so bewußtlos lange – denk dann beim Erwachen – an das Gedicht: »Deinen Namen will ich wissen, deine Sippschaft, deine Herkunft?« –
Ich bin dann der Muselknabe.
Denkt nicht, ich bin überspannt oder überschwänglich. Ich mag ja die überliterarischen Frauen nicht, wie Betty Stern Eugenia Schwarzwald etc. nicht in Berlin z. Z.
Ich liebe dich, Ernest Apoll, und immer nur von Ferne.
Dem schönsten Falter seh ich zu hinter der Hecke eines fremden Gartens.
Ihr Prinz
[Gartenzaun mit einem Menschen dahinter, darüber Vollmond mit Stern]
Ich war eben eingeschlafen, träumte von Ihnen. Sie machten mir Vorwürfe, da ich so oft schreibe –
Spept. – bin ich noch?
I. Dr. Bein über den Kaiser Theodor Herzl.
II Spinoza.
III. Der größte Kinderdichter: Seev (Rachelas husband)
IV. Wenn Ihr mir wirklich die Freude machen wollt?
V.
VI
VII Dr. Sporovitz
VIII Dr. Mayer.
VIIII
X.
mein Herz
mein Blut
meine Arme
mein Gesicht
so heiß
Ich muß mich immer hinlegen, da ich nicht anders kann.
Kommt auch Ihre junge Tante zu meinem Vortrag?
Es geht aber viel viel besser. Ich bin ganz wieder gesund. [Blumen]
1. Brief vom 7. J.
Wann soll ich vortragen so in 10–14 Tagen? Bitte sagt es Dr. Kraft unserm Dichter?
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 149–151.
[71] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 8. Juli 1942
2. Brief.
Heute ist der 8. Juli, ich konnte gestern nicht so weit gehen, mir eine Marke zu holen, den ersten Brief fortzusenden.
Nun ist wieder früh und ich werde gleich den Brief in den Kasten werfen.
Aber nun ist schon 4 ½ Uhr und werf jetzt den Brief in den Kasten.
Nun dacht ich eben, wieso schreib ich Ihnen eigentlich und noch unaufgefordert? Lieber Ernst Apoll, ich weiß es nicht. Und bald reis ich ja wieder fort, bald wird der Krieg zu Ende sein. Ich bin hier fremd gewesen, ich soll gewiß so fühlen. Ich werde Jerusalem vergessen und Jerusalem mich. [einige Wörter gestr.] Verzeiht. Jerusalem gehört dem russischen und polnischen Volk; vielleicht sind gute unter ihnen.
Rahel, [über dem a ein Stern] die so viel gelitten, die ein so schönes Gedicht geschrieben, das einzige, das ich kenne, muß Jerusalem krönen. Und – Ihr unvergleiches Schenken, Ernest Apoll, und der Liebe unseres Dr. Wilhelms und Martin Bubers und – und – Franz Rosenzweigs Liebe, aber ich liebe diese Menschheit hier nicht. Tausend Füße wachsen mir im Traum, die fort wollen. Alle Quellen möcht ich austrinken. Konnte man mir »so« Jerusalem vergiften! Lieber Ernest Apoll, bitte bleibt mir gut, glaubt den Mündern nicht, die mich nicht kennen. Ich will und wollte ja nicht einen Tropfen, der mir nicht gehört. Ich will Ihr Glück, dass es ewig daure!!
Der Glaube an Gott ist eine Gnade,!
Die Liebe zum Menschen, ein königliches Geschenk.
(Auch ohne Gegenliebe.)
Ich möchte fort, habe so Sehnsucht – fort.
Ihr Prinz Jussuf
2. Brief
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 151.
[72] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 28. Juli 1942
28. Juli 42
Adon.
Die Einladungen etc. (Zeitungen ankündigen) schon alles erledigt. Auch würde ich den Tag, bin ich auch mehr ein Gewissensmensch, als ein Pflichtmensch, nicht ändern, da mirs Theben übel nehmen würde. [Mondsichel mit Stern] Ich führe kein Notizbuch, denn für mich, geben es nur wichtigere Dinge, die ich auswendig behalte.
Ich trage Ihren Mißmut noch in meinem Herzen, als ich, alle Hemmniß überwunden, Ihren Vornamen sagte. Ich liebte Sie unsäglich! Nun alles kalt in mir. Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 156.
[73] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Juli (?) 1942
Lieber Ernest, ich beabsichtige nichts wie so viele Gewereths sicher. Ich bin doch eine Dichterin und wirkliche Liebe darf nur im Traum wohnen. Sie sind im Traum meine Wiesenschaumkrautwiese und mir nicht zu nehmen aus meinem Herzen. Sie wären mir zu »schade« (in Wirklichkeit Sie je zu küssen) ich meine, eine der lila Blumen, die ich so liebte, zu pflücken. Lachen Sie nur, da Sie mich darum nie fragten? Aber zu meiner Ehre muß ich das sagen einmal; Theben wäre auch entsetzt. In dem Sinne sagte ich: »Ernest:« Ich »mußte« ein mir schönes Wort sagen, mir ein Gedicht sagen.
Die Menschen sind hier schlecht, mein Leben entzwei. Der Prinz meiner stolzen Städte drei, weiß nicht mehr recht, was man sagen soll oder nicht –
Ich schlug mir eben selbst ins Angesicht.
Käm ein Geyer hier übers Haus – und nehm [fliegender Vogel] mich mit!!!!
Mein Bruder Maximilian hat mich zum Soldaten erzogen, ich lernte bei ihm exerzieren und fechten und ich durfte nie Angst zeigen. Und mußte sehr stolz sein. Aber er trug später immer meine Gedichte auf seinen Herzen. Er sagte immer, ich bin sein Junge. Meinen Sie, er hätte mich eben geohrfeigt? Oder er hätte geweint?
Wenn Sie Eintritt bezahlen, bezahl ich auch in Ihren Vorträgen!! (beschämen mich) Werde extra am Eingang dem Adon sagen.
Für Ernest S.
Hebräisch Volkslied
(zu singen auf der Zimbel)
Er hat mein Herz verschmäht –
– In die Himmel wärs geschwebt
Und traurig nimmer.
Wenn der Mond spazieren geht,
Hör ichs pochen immer –
Oft bis spät.
Aus Silberfäden zart gedreht
Mein fromm Geräth –
Trüb nun sein Schimmer.
Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 158 f.
[74] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 7. September 1942
Sehr geehrter Herr Doktor Simon.
In keiner Weise ist der Prinz von Theben gefangen, auch im Wort nicht, auch im Notizbuch nicht im Buchstaben oder in der Zahl.
Daß, gestern zur Feier des toten [über dem Wort ein Davidstern] Melechs Theodor Herzl so ungefähr nur 14 Menschen gekommen, Sie auch nicht, Sie der ein Vorbild hier sein sollte, auch sein will! ja das ist ein religiöses Verbrechen!! Ich kann Sie nun nicht mehr in Schutz nehmen! Theodor Herzl war zwischen uns, neben uns? oder über [über dem r ein Stern] uns? Die Undankbarkeit liegt im jüdischen Volke! Ich wollt mirs nie eingestehn! Ebenso die Phantasielosigkeit, die Lauheit vor allen Dingen. Adon Dr. Alexander Bein, der mutige feine große Archivar sprach mit einer Klarheit und Größe und Ehrlichkeit. Ja und ich ahnte das ja nur so sicher. hab ich ihn auch nie sprechen hören! Indem er über den toten letzten Melech sprach – war mir im Namen des Melechs – im Namen Gottes, den das jüdische Volk, die Deutschen hier aus Berlin etc. zu lieben glauben; Seine Gebote »peinlich« halten, koscher und milchisch, und aber auch: selig u. körperlich blutig; lächerlich! Sie schlachten die unschuldigen Kälber und aber halten in »entschuldiger heuchlerischer« – Moral? – die Milch der Kuh von ihnen sorgfältig! Heuchler von Juden dieser Art! Alle Kinder haben Eltern, Tiere sind auch – Kinder! Und weinen in »ihrer« Art. Hörten Sie mich je weinen in der Dämmerung? Und schlugen mir auf den Mund, da ich einen Namen sanft sagte. Ihr Heuchler!! »Die Lauen aber speie ich aus meinem Munde!« Verzeihen Sie nicht oder ja diesen ehrlichen Brief; ich kann nicht anders!!! Ich habe den Kraal aus reinstem lautersten Gefühl gereiht, wie liebe bunte Perlen aus Glas auf einer Schnur; vorerst legte ich sie die Kette um meine abgemagerten Schultern. Ich trug daran!! Jede Einladung brachte ich selbst ins Haus bei größter Hitze. Ich nahm nichts ein, Herr Dr. Simon, im Gegenteil, ich zahlte fast jedesmal 30 Piaster drauf: Papier, 10 bis 12 Postkarten, etc., etc. Ich bin kein Bussiness, Herr Dr. Simon. [zwei hochgestreckte Hände] Auch nicht koscher noch Peiess fromm – ich bin – weiß ich jetzt erst – – nur –? ein Mensch. Gott gab andere Worte seinen Geschöpfen, Herr Dr. Simon, – Gott ist schlicht, uneitel, gewaltig, vom Ursprung und vom Ende. »Seine« Gerechtigkeit heißt: Gleichgewicht halten, die Urtugend. Alles das, was aus dem Gleichgewicht kommt wird dunkel – vieles böse. Alle Ihre Notizbücher zerreißen Sie nur! Denken Sie auch an Kinder der Eltern in anderen Häusern und auf den Straßen. Auch wir sind alle Kinder und noch – dumm. Die jüdische Klugheit ein Ekel für mich! Ja klug nennen die Juden hier die, – auch, Frauen, die gute Ratschläge liefern. den Männern der Ehe. »Urwüchsig« – Verwilderung aber alles noch Ungastlichkeit. Ich fliehe – sie –? Ja, nachdem ich Geschenke spendete, haben sie nie den Takt gehabt mich einzuladen. Etwa zu Mohrrüben oder Reis. Heuchlergesellschaft!! – Mein Kameel, mein Filigranherz wieder her!!!! Schnell!! Kauft Euch selber!
Nicht einmal seit 3 Jahren konnt ich mir die Schuh flicken lassen, vor Kraalliebe und Opfer – für Israel. Heuchlergesellschaft! Ich sage Euch, Ihr seid Heuchler!! Ich möchte auch zu den Arabern gehen, mit einem sprechen in Ruhe und Liebe. Könnt ich nur arabisch. Ich werde Dir. Magnes abholen! Milchig, koscher, trefe, Mamitzbah! Ich kann schon die Bezeichnungen nicht hören. Seid gut! Seid einsichtig, seid gnädiglich und voll inniger Liebe in Jerusalem!! Ich wurde getäuscht durch Ihr Aussehn! Herr Dr. Simon. Werdet dumm »wie die Kinder«. Eßt Bonbons!!! Mintbonbons schmecken gut!!!
Der Kaiser von Theben.
Ich bin aus diesem jüdischen Volk geschieden! Ich werde mal Schofa blasen, daß es noch Jahre lang in die Ohren, den Spießergehören Israels hier posaunt. Die Weiber sie hören und zwar die Cafémaschinen brodeln und die Bouillons überlaufen; ihre Augen sehen die Not »ihrer« Kinder nur oder fürchten sie, und andere verrecken in den Straßenecken!! Ich hab mich vom guter Weinsorte Ihres Bluts berauschen lassen, aber ich trink ihn nun aus Weißbierglass. Auf Wohlsein!!
Verzeiht! Der Kaiser von Theben mag im Grunde keine Witzchen. Aber gehen Sie mal ins Cinema: Orion dort wird ein Film gespielt – unerhört an Fröhlichkeit. So erfrischt man sich mal! Dürfen ruhig gehen, Herr Professor der Ameisen.
Bitte, glauben Sie nicht, daß ich je von Ihnen was will. Danke!! Da sind (im Fall) Andere da!! Aber Sie haben meine reinen Empfindungen, (wenn auch blinden, dummen, verschmutzt in der Beurteilung.
Auch: Bild zurück!!! Keiner Sie noch die Geschenke Herr Oberlehrer!
Kinder dankten!!!
2 Bücher kommen raus. Sie dürfen nicht lesen!! Ich verachte Sie!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 166–168.
[75] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Freitag, 11. September 1942
Erew R. H. 5703
Verehrte Frau L.-Sch.
Ihr Brief hat s. Zweck erfüllt u. m. tief verletzt. Daß Sie mir unrecht tun, im Ganzen u. i. fast allen Einzelheiten, die Sie anführen, wissen Sie so gut wie ich, u. daher verzichte ich darauf, es Ihnen vorzurechnen.
Wenn Sie darauf bestehen, bin ich natürlich, voll Schmerzen, bereit, Ihnen Ihre lieben Geschenke zurückzugeben; ich weiß aber nicht, wie ich es m. Kindern erklären soll, ohne ihre Seelen zu vergiften: Ihr schönes Bild hängt an einem Ehrenplatz des Kinderzimmers und die Kinder freuen s. täglich daran. Ich erwarte in diesem Punkte also n. e. [noch einmal] Ihre Nachricht.
Ich hatte vor, am Kol-Nidre-Abd über Abr. zu sprechen u. »Gott aber liebte s. Knecht« zu zitieren. Wenn Sie mir das auch jetzt erlauben, werden unsere Bzhgen wiederhergestellt s. – auf jener einzigen Ebene, auf der sie bestehen können u. auf der sie allerdings auch nicht zu vernichten sind, nicht einmal durch uns selbst.
Mit d. herrl. Wünschen für ein gutes, neues Jahr
bin ich Ihr
Ihnen unwandelbar erg.
ES
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 584 f.
[76] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 12. September 1942
Neujahr 42
Liegend, da ich so schwach
Verehrtester Adon.
Ich möchte den Brief, den ich Ihnen auf Ihren lieben Brief antwortete, nicht absenden, er könnte aufs Neue zum Irrtum werden und das will ich nicht. Werner Kraft wollte sich nicht in die Dinge mischen – er hätte mich vielleicht erklären können in dem Wirrwarr. Werner Kraft ist Ihr Freund, und ein Gentleman! seine Frau, die ich wenig kenne, die wahre Freundin Ihrer Frau und glaubt mich hassen zu müssen. Ich erkenne das an! Ich bin nun durch die – Leidensjahre hier unter dem auserwählten Volke so vernichtet!, Adon, bitte glaubt mir, daß ich mich sehne immerzu fortzureisen. Und das erste Schiff nimmt mich mit nach dem Krieg. Ich weiß nur, wenn David lebte, es wäre für mich ein anderes Leben gewesen, er hätte das nicht erlaubt. Adon, ich danke Ihnen für Ihren lieben Brief, der Ihnen sicher zum Opfer wurde zu schreiben. Ist auch vieles in ihm ganz falsch gesehen, so nehme ich ihn gerne in den Kauf, lieber wie Ansichten, die richtiger einiger Einwohner hier.
Sie, der eine sichere starke Marmorsäule Ihren Kindern; ich dachte nie daran, war auch nicht möglich, Sie für mich zu gewinnen. Ich habe schon als Kind gelernt, entzückte mich z. B. ein blauer Glasfederhalter oder ein blaues Glaslineal im Schaufenster, es nicht zu kaufen, »es gehört Dir doch alles was Dir gefällt. So sagte meine Gouvernante, die sehr klug war. Ich bin nämlich die Erbin eines enormen Verschwenders.
Nun gab ich sogar schon lange zurück was mir gefiel! Meine Phantasie, mag sie nur verdursten! So dachte ich. Ihre kleine Michal liebe ich direkt. Puppenkleider nähen aus eitel Seide meine Schwäche. Ich saß schon mit ihr auf dem Boden auf einer schönen warmen Decke, und nähte ihr ein herrliches Kleid für ihre Puppe. Nachher aßen wir jeder 2 Mohrenköpfe und tranken Chokolade. Mehr und wahrer kann ich Sie nicht überzeugen, daß ich zunächst das Glück Ihrer Kinder im Auge hatte und habe! Ich werde schon mit dem Prinzen von Tiba fertig. Ich schäme mich gar nicht zu sagen, ich habe Sie geliebt. Ein Wunder. Wie oft erlebt man die Liebe und wirft sie noch dazu fort. Das tat ich nicht. Ich grub sie neben einer wunderschönen Blume im Gras; ich meine, ich pflanzte sie ein zum Andenken. Sie ist rein und krönt die Welt der Liebe einmal. Ich selbst ziehe weiter. Die Liebe ist ja auch eine Gefangenschaft – im Himmel. Darum – trotzdem, Adon, freut Euch mit mir – ich bin wieder frei. [fliegender Vogel]
Hört bitte nur, ich habe nie Jemand beauftragt hier, Sie um Gegenliebe zu bitten! Ich würde vor Scham versinken. Liebe ist da oder ist nicht da und kein Mensch kann sie locken. So sprach ich doch an meinem Abend 2. August »Freundschaft und Liebe und vom Gutsein unseres liebreichen frischen Dr. Kurt Wilhelms. dem hebräischen Bischofs. – Sie wollten doch im Kraal über Tolstoy sprechen? Noch? Sie wollen ein Gedicht von mir sprechen beim Kol Nidre.
Wenn es schön genug, wenn es nur aus diesem Grunde? Dann freue ich mich! Aber aus keinem Entschädigungsgrunde etwa – ich bin nicht zu entschädigen, ich bin kein Bussiness. Sie werden es sicher wundervoll sagen. Ist es auch Ihrer Gewereth und den Kindern lieb? Adon, ich grüße Sie! Gestern erkannte ich Sie, so sorgsam und verliebt mit Ihren Kindern, ein Oberprimaner mit seinen kleinen Geschwistern. Sie, fast noch zu unschuldig und weiß für die Geheimnisse, mir immer widerlich gewesenen Dinge der Ehe. Darum bin ich ja so gern ein Junge, sagte Dr. Lasker stets, den Hinweis, »auf Mann, und Frau« zu verdecken.
Ihr fremder Prinz Jussuf, Adon.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 169 f.
[77] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 13. September 1942
Heute 2. Neujahrstag
Adon, ich kann nicht dafür – wenn die inneren Zeilen leichtsinnig klingen mögen. Ich hab Angst. – Aber ich stehe oft am Rand aller Trübniß und es kommt eine tanzende Welle oder eine sehr weltliche.
Es war schön heute Morgen. Ich weiß, daß gerade in München solche Sekten mittelalterlich oder vielmehr frühchristliche sind, aber auch, daß die armen Juden in Deutschland unbewußt eine Gemeinde, ein Volk bildeten in der Qual. Auch verehre ich unseren Dr. Baeck sehr. Ich bat eben Dr. Wilhelm unseren hebräischen Bischof mich morgen anzuhören. Ich bitte ihn, Ihnen, Adon, über unser Gespräch zu sprechen – ob Sie auch der Meinung denn ich kann zum Papst gelangen schriftlich natürlich. Er glaubt mir – trotzdem.
Ich gehe nun Ihnen heute noch die Antwort zu übermitteln, meinen Brief im Vorbeimarschieren.
Gestern war der liebe feine Werner Kraft bei mir, aber nur kurz beide mußten wir essen gehn. Ich war in Kerem Abraham eingeladen.
Nun wünsche ich Ihnen nochmals alles Liebe und Schöne. Verzeiht das Papier, es waren Chokoladencigarren drin eingewickelt. – Ich war Ihnen nie böse; kann ich Apollo auf meinem Wiesenplatz böse sein? Ich war dem Geschick böse. Ihr armer Prinz Jussuf
Namentlich Channah-Michal [über dem ersten und zweiten a ein Stern] Puppengrüße.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 171.
[78] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 14. September 1942
Letzte Seiten.
Heute: Montag
Lieber Adon Doktor.
Ich muß nochmal sagen, ich muß – nur wenn Sie ganz aus Sich und nur, weil meine Ballade Abraham und Isaak Ihnen gefällt, Sie sagen wollen in Ihrem Vortrag, dann – Ja! Ken! Und ich bitte Sie, Sich keine Gedanken zu machen, die irgend unnötig.
Ich fahr jetzt zur Hauptpost, den Brief zu besorgen, denn ich kann heut nicht nach Rehavia. Ich grüße und danke Ihnen, Adon.
Trotzalledem müssen Sie doch ahnen, ich bin stolz. Das weiß mein Theben und vergiebt mir oft. Und ein Indianer.
Wenn Sie fest glauben, das Gedicht ist an – Niemanden (Ehrenwort!!) sende ich die zwei anderen vorangegangenen.
Es kommen 2 oder 3 Bücher von mir heraus – auch IchundIch. Das Schauspiel
Ein Lied.
So sag mir doch –
Ich liebe dich –
Bevor der Tag ganz dunkel wird.
Mein Lebenlang
Und immer noch
Bin müde ich umhergeirrt.
Ich liebe dich.
Ich liebe dich.
Ich liebe dich .......
Es färben deine Lippen sich –
Die Welt ist taub,
Die Welt ist blind;
Und ihre Wolke
Und das Laub.
Nur wir und noch –
Der Anfang sind.
Ich liebe dich ......
Prinz Jussuf
Ich habe drei neue Gedichte gedichtet.
Adon, ich dachte darum oft, (nicht etwa an mich denkend) Sie hätten oder wären andernfalls Mönch geworden.
Oder Ein Schmugglerleben zu zweit am Bernstein Strand hätte zu Ihnen gepaßt.
In aller Reinheit.
Aber ich kann mich irren!
[Kuvert:]
Adon
Dr. Ernst
Simon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 171–173.
[79] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, wahrscheinlich Sonntag, 20. September 1942
[Vollmond mit Gesicht und Stern] So schaut der Mond.
Adon!
An Feiertagen sagt unsere Religion, man darf nicht schreiben, nichts arbeiten, aber man darf tun, was beseeligt – und mich beseeligt es heute Abend [über dem n ein Stern] an Sie zu schreiben und da schreibe ich nun. Und ich vermute, Sie haben mich falsch verstanden? Ich meinte: Sie – sonnenscheinen oft im Gesicht und das wärmte meine trübe Seele vorrigen Schabbatt-Neujahr; und schon vor vielen Wochen. und ich dachte, gern würde ich das einem Menschen in der Synagoge sagen, aber der Mensch hätte es nicht verstanden. Es ist vielleicht mutig, daß ich wage, Ihnen das zu sagen, aber ich denke so oft an Sie und Ihren Indianerfreund, Adon Rosenzweig, [nach dem n ein Stern als Trennungsstrich] ich mochte ihn so gerne, als ich kaum ein paar Worte von ihm gelesen. Und wenn ich abends nun allein durch die Asienstraßen wandelte, oder am Abend aus dem Fenster sah, dachte ich an Sie beide und phantasierte, ich hätte Sie gekannt und Sie oft besucht oder nur »vor« Ihrer Thüre gestanden, ein Bündel Wegerich, ein ganz armer einsamlicher Herumtreiber, aber auch ein Indianer, den das Meer zerriß, die vielen Wellen und die vielen Spalten der Erde verschlang. Ich sah Ihnen beiden im Gedanken zu voll Wehmut, nicht voll Eifersucht. So träumte ich immerzu viele viele Tage. Das wage ich Ihnen, der sicher ein vollkommener engelhafter Mensch ist, zu sagen. Ich bin aber zerfetzt und ein Spielball mir selbst und allen. Was soll ich hebritt lernen! Ich möchte die Sprache des Himmels können, die hätten Sie beide mich gelehrt.
Ihr trauriger Prinz Jussuf.
Else L-Sch
Wenn Sie nicht ungehalten über meinen Brief? So lächeln Sie mir etwas zu, Adon, das würde mich froh machen ja mich froh aufheben ganz hoch glitzernd. Mir ist ich kannte Ihren Freund Franz, den Sie lieben immerdar – und Sie immer und gestern und heute eine Schicht über dieser Welt.
Ich liege neben fremden Wänden unter fremden Leuten der Corridore, wie blau zwischen Farblosigkeit, wie Herzblut neben Tran. Und schreibe im Dunkeln.
Ich werde diesen Brief nicht noch mal lesen in der Frühe.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Von Ernst Simon (vermutlich nicht unmittelbar nach Empfang notiert): »Hotel Atlantik«. Auf einem beiliegenden Zettel (Zuordnung unsicher) von Ernst Simon: »Ich las den Brief. Sein Inhalt ist mir klar, / Doch eins nur bereitet mir Verdruß: / Daß was nie eine gute Liebe war / Wie eine schlechte Ehe enden muß«. D: KA, Bd. 11, S. 173 f.
[80] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 21. September 1942
Abends 11 Uhr
Lieber Adon Dr. Ernst Simon.
Sie haben mein Gedicht stark gesprochen. Ich weiß seit gestern, ich war Isaak. Immer geopfert. – Es war mutig von Ihnen, Adon. Ich wollte Ihnen gestern Abend sagen,: Sie haben mich bescheert, aber ich sah Sie nicht mehr. Auch den anderen lieben Bischof Kurt Wilhelm nicht. Auch war und bin ich noch krank. an Leib und Seele. Wie ein »alleiniger« Mensch ich doch, empfand ich erst heute Abend. Ihre Rede war reich und dichterisch und stark gesprochen. Auch unseres lieben Doktor Bischofs Rede eine himmlische. Schweigen ist die Liebe selbst und die Liebe wächst im Himmel im Treibhaus der Wolke. –
Lächeln Sie aber – dann süßt mein Blut und Ihr Lächeln streut Sterne auf meine Hände.
Wie ich Ihnen den – Hof mache – aber das schadet doch nichts? Oder doch? Nur verraten Sie es nicht den Bürgern.
Die inl. 2 Gedichte nicht – leider an Sie. Das dritte: Über glitzernd. Kies kommt gedruckt. Es kommt ein neu Heft Gedichte von mir heraus: »Ich liebte dich« So heißt es! Nicht nur Liebesgedichte.
Ihr Prinz Jussuf.
1. Brief
Verzeiht die halben Bogen, Sir.
Ich habe schöne Bilder bunt gezeichnet. Eins kommt ins neue Buch: Tanzender Kibuz.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 174.
[81] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 22. September 1942
Dienstag 22. Sept 42
2. Brief
Sir.
Ich habe in der Eile und Überraschung und – Hunger, den ich hatte und Durst und Schwäche, Ihnen nicht gesagt, daß ich das Aschenputtel hier in Jerusalem bin – gewiß nun meine Rolle sich irgend gebessert hat seit 6 Mon. ungefähr – ich morgenfrüh wieder gerettet werde. Selbst die Sache mit dem Hans Samuel, der einfach meine Adresse angab, wahrscheinlich im sicheren Glauben, ich send keinen Verwundeten fort, hat hier böse Nachrede. Menschlich ist er mir immer egal gewesen, musikalisch achte ich ihn wie jeden guten Musiker, auch versteht er von Politik zu sprechen. So sind die Leute hier! Gestern Abend kam gute Bekannte; nach der Synagoge mußte ich was essen. Ich hatte nur Durst; trank 2 Flaschen Syphon. Wie man gegen mich war – geht nicht gut ab mal. Wie man gegen die ärmsten Kinder, geht bös ab. Ich bin schon froh, Sie bekommen in Schulen was! Auch müssen sie ja lesen und schreiben lernen. Nicht wahr? Das sag ich! Sie lachen. Manchmal geht mir ein Licht auf – immer aber ein Mondlicht, auch bei Tage.
Von morgen an – ohne Sorge, nun immer! Der Indianer hat gesprochen!!! Ich bin nur gebrochen für immer. Bin ich wieder auf dem Schiff, habe alles vergessen. So bin ich. Also ohne Sorge, falls Jemand Sorge verspüren möchte. [fliegender Vogel] So flieg ich. Schön? Nich wahr?
Ihr Vortrag: Herrlich schön. Die Gedichte? dichtete ich schon lange, bevor ich Sie kannte.
Jussuf
Beichte.
Ach bitter und karg war mein Brod –
Verblichen das Gold
Meiner Wangen Bernstein.
In die Höhlen schleiche ich
Mit den Pantern in der Nacht
So bange mir schon in der Dämmerungweh ...
Legen sich auch schlafen
Die Sterne auf meine Hand.
Du staunst über ihr Leuchten –
Doch fremd dir die Not
Meiner Einsamkeit.
Es erbarmen sich auf den Gassen
Die wilden Tiere meiner.
Ihr Heulen endet in Liebesklängen.
Du aber wandelst entkommen dem Irdischen
Um den Sinaï lächelnd verklärt –
– Erdfern vorüber meiner Welt.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 175 f.
[82] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Ende September 1942
Sir.
Ich »brachte« den letzten Brief, da ich in Ihrer Nebenstraße zu tun hatte. Ich stand gerade vor Ihrem Haus und da ich es nicht sofort erkenne, fragte ich Ihren lieben Uri wo Ernst Simon wohne. Auch Uri erkannte ich nicht sofort und ich mußte ihm – die Einladung geben. Ich sagte es wäre lieb von ihm, Ihnen die Einladung zu geben. Der Uri war ganz reizend. – Er lud mich ein doch ins Haus zu kommen; aber ich erklärte ihn, ich hätte noch viel (wie es auch der Fall,) zu tun. Das ist wirklich so, ich bin schon ganz verwirrt. Auch geht es mir so schlecht mit dem Herzen und mit der Seele. Ich bin so traurig immer und so unglücklich meist. – Einen Tag trug mich, nachdem – Jemand – ins Zimmer kam, eine Silberwolke immerzu, überall hin. – Es ist auch so dunkel abends und noch die schwarzen Gardinen alle. – Heute war es besonders schwer zu sein. Ich träum immer so traurig. Am Nachmittag hab ich die Gedichte geordnet. Auch: Gedicht: Werner Kraft – kommt ins Buch und noch viele Gedichte.
II. Buch: Schauspiel:
»IchundIch«
– – – Mir gewidmet hätt ich beinah geschrieben.
Nun kommt wieder Bureauarbeit – die Kraaleinladungen und ich muß Packpapier schneiden. Darum mach ich doch den Kraal – im Grunde. Wenn Sie noch mal sprechen, Sir, ich mal dann wieder ein Bild. Einen Kinderball. Ich habe nun viele Tanzbilder gemalt und ich bin so im Schwung. Nicht aus Leichtsinn, aber aus? Ich weiß nicht. Es wird immer dunkler, ich hab furchtbare Angst. Wie unbegreiflich doch die Welt. Und jeder Mensch eine Welt mit Mond und Sternen. Wenige tragen Gott in sich. Sie und Bischof Dr. Wilhelm und Dr. Julius Simon in ihnen sicher Odem von Gott. Zu Ihnen kam plötzlich Gott und heiligte Sie. Und mich jagt er von Minute zur Minute. Am Versöhnungstag sagte Gott zu mir: »Wir [unter dem Anführungszeichen ein Stern] wollen wieder gut sein. Ich habe eine innere furchtbare Angst immerwährend. Und weiß nicht warum eigentlich, auch meine Traurigkeit am Abend; ich verlier sicher das Gleichgewicht mit dem Leben und dem Erdgang. Sagen Sie es Niemandem wieder. Könnt ich doch am Abend z. B. Theater spielen, ein anderer Mensch sein eine Weile. Man incarniert sich selbst. Früher wollte ich immer Clown werden.
Seien Sie nur recht böse, daß ich so bin. Das ist so liebevoll ausgedrückt in Ihrem Brief. Wenn Sie ahnten, wie traurig ich bin.
Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 177 f.
[83] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz vor dem 4. Oktober 1942
Adon Dr. Ernst
Simon
35 Maimonstreet 35.
Rehavia
Gültig
Kraaleinladung:
4. Okt. Dr. George Landauer
Bergerclub Ohle Germania ½ 9 Uhr.
Adon Dr. Ernst Simon und Gewere[th]
Anmerkungen
H (Brief [zu einem Kuvert gefaltetes Blatt]): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 180.
[84] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz vor dem 19. November 1942
Ich habe Ihren Brief nicht bekommen!
Ich bin ja auch ein fahrender Mensch. nicht wie die anderen Schreiben Sie mir drum nicht.
Ich wohne bei Banditten – (macht mir Freude)
Ich bat lieben Gerson Stern, er solle Ihnen, da ich Sie (wie auch wahr) nicht kenne das Gedicht geben.
[Kuvert:]
Adon Dr.
Ernst Simon
Inl. ein Gedicht
(zu übergeben, da ich ihm fremd unbekannt.)
Ihm eine Hymne
Ich lausche seiner Lehre,
Als ob ich vom Jenseits höre,
Sprechen die Abendröte.
Es kommen Dichter mit Gaben
Zu ihm aus ihren Sternen
Vom »alleinigen Gott« zu lernen.
Aus ihren Marmorbrüchen,
Schenkten ihm die Griechen
Das Lächeln des Apolls.
Die Körper, die ihrer Seele
Die Pforte geöffnet haben,
Werden »Engel aus Rosenholz«.
Ich erinnere mich näher –
In der heiligen Stimme Schwang –
Und es hört der holde Seher,
Mich schluchzen in seinem Gesang.
Im ewigen Jerusalem-Eden –
Tröstet sein Wort Jedweden
Ohn’ überhebenden Stolz.
Im Tempelschall seiner Gebete,
Zwischen leuchtenden Kerzengeräte
Schlürft meine Seele seinen Gesang.
Doch hoch im Dämmermoose
Welkt ergeben die Himmelsrose –
– Da er ihr Herz verschmähte.
Prinz Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). H (Gedicht): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 02 175). D (Brief): KA, Bd. 11, S. 184.
[85] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 20. November 1942
Baïth Hamaaloth. Querstr. der King Georgestr. ℅ Weidenfeld.
20. Nov. 42
Lieber Ernest Simon.
Wie ich vor einiger Zeit frech war, es so schien wenigstens, machten Sie mir doch auch Vorwürfe. Nun hat mirs gestern so weh getan – wieder! – immer sagen Sie: »Ich hab Angst vor Ihnen.« Vor mir? – Die Sie besingt immerzu! Die wir im Gedanken noch zur Schule gehen über Wiesenschaumkrautwiesen, an einem Bach vorbei auf den ein kleiner Wald guckt. So ging ich mal zur Schule und kam immer zu spät. Wie traurig für mich, da Sie Angst haben und ich will doch nur Schönes für Ernest Simon, der ein Schuljunge ist, ewig sein wird. Ich wollte gestern Abend nach dem Vortrag sagen,: es war wieder so schön und ich danke Ihnen. Aber manchmal kann ich nichts sagen vor – Die Gedichte sagten Sie prachtvoll. Das letzte schien mir das bestgedichtete: Ende: »Er stellte sich, zu beten«?? Und an die Frau – Aber das ist nicht so eigenartig gedichtet und das mit den Eisenfesseln? – Ich glaube Adon Bialik und ich hätten uns befreundet?? – Wenn Sie die Kinder mit Henrietta Szold holen müssen, verstehe ich wohl! Ich denk ja auch mehr – wegen Adon Kappes und Gerson Stern. Sie freuten sich sicher, Sie zu sehen. Ich selbst kann Sie mir zaubern. Oft gehen Sie mit mir an Gemäuer und Hecken vorbei. Manchmal bleib ich, ohne wirklich realen Grund – wo mitten auf einem Weg stehen, träume eigenartig von Immortellen, ähnlich – den Ihren. Heute kommt die Hymne die ich Ihnen durch Gerson [Stern] sandte, nach Jerusalem gedruckt steht im Journal: Orient. Wie fanden Sie sie? Und doch wie fremd bin ich Ihnen. Aber das schadet nichts, machen Sie Sich keine Gedanken darüber. Wenn wir noch in die Schule gingen – wären Sie meine Marzipanchokolade oder eine Düte Anisplätzchen – wahrscheinlich noch in der untersten Klasse sitzend, eben erst hingesetzt um nicht – aufzupassen.
Am 22. Ohle Germania: K. und St.
10 Tage später: Bischof Wilhelm Friedrich Ollendorf
10 Tage später: Unser Werner Kraft
10 Tage später: Ernest Simon????
Freue mich sehr!
Honorar: Bonbons.
Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 185 f.
[86] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 25. November 1942
25. Nov. 42
Lieber Adon
Wie fern ich Ihnen, weiß ich nun, da Sie es nicht einmal für Mühe wert, mir ein Wort für das schöne Gedicht zu schreiben, daß ich Ihnen sandte, daß man mir nahm mit Freuden für das Orient-Journal. Reue habe ich nicht, Ihnen je geschrieben zu haben, Adon, einer Skulptur, der man anbetend schreiben würde, giebt auch keine Antwort. Ich bin nicht betrübt, machen Sie Sich keinerlei falsche Vorstellungen. Ich kannte – trotzdem die Welt noch nicht. – Ich bin ein toternster Ulkmacher und man muß schon tiefer sehen können, hören können wie es aus mir schluchzt. Ich weiß, Sie sind ein Gentleman, lernten nur Ihre Umgebung kennen, die sicher meist auch gentle. Aber ich bin wieder bei mir, ich lese mit Entsetzen die Tragödien in der Zeitung. Ich müßte ein Opfer bringen, aber ich bin ausgetrunken.
Ich kauft die kleine silberne Tafel mit I love Jou. Ich fand sie so lieblich. Ich bitte Sie, falls Sie sie verschenken möchten, bitte mir zurück! Ich hänge sie an mein Armband. Ich werde Sie nicht mehr angehn, ansehn, etc. belästigen (?) mit Briefen u. Gedichten. Auch im Manuscript streiche ich aus: An E. S. Ja ich hatte voraus die Welt nicht zu kennen.
Nur Gutes Ihnen!!
Jussuf
Soll ich Ihnen irgendwas zurücksenden??
Geben Sie eingewickelt Dr. Kraft bitte die kleine Tafel.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 186 f.
[87] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Dienstag, 1. Dezember 1942
1/XII/42
Sehr verehrte Frau Lasker-Schüler!
Verzeihen Sie, daß ich einige Zeit brauchte, um mich zu einer Antwort auf Ihren letzten Brief zu sammeln. Er kam mir wieder einmal wie der Blitz aus heiterm Himmel, denn für das wirklich sehr schöne Gedicht – das ich unter so märchenhaften Umständen bei Herrn Gerson Stern abholen durfte – habe ich Ihnen sofort mündlich in der Synagoge (nach meinem ersten Bialikvortrag) aufs herzlichste und aufrichtigste gedankt. Gerade Sie haben mir doch einmal in einem Ihrer Briefe klar gemacht, daß ein Schreiben den mündlichen Austausch nur unvollkommen ersetzen kann, – sollte ich also noch einmal schreiben, nachdem ich gesprochen habe? Dann erhielt ich einen weiteren Brief von Ihnen, schon nach jenem Gespräch: als Antwort darauf kam ich zu dem »Kraal«-Abend Stern-Kappes (der mich übrigens etwas enttäuscht hat), obwohl es mir sehr schwer fiel und Sie, wie ich glaube, sich überhaupt keine richtige Vorstellung von dem Maße meiner Beanspruchung machen können. Es mag sein, daß all diese Dinge Ihnen unwichtig erscheinen, aber ich verlange ja auch von Ihnen nicht, daß Sie sich mit ihnen befassen; aber mir sind sie wichtig, und ich erbitte mir nichts als das Menschenrecht der Freiheit, mich unter anderem auch damit befassen zu dürfen, was mir – vielleicht irrigerweise – nun einmal wichtig erscheint.
Und nun soll ich Ihnen also das Herz, Ihr Herz, zurückgeben, und durch Werner Kraft, den scheuen und feinen, der es haßt postillon d’amour zu sein. Erlassen Sie uns allen dreien diesen kindischen Akt! Geschenke gibt man und nimmt man, aber man fordert sie nicht zurück. Ich habe Sie nicht zu belehren, aber das ist nicht Ihr wahrer Stil.
Das Gedicht war im »Orient« wie eine sehr reine Perle in recht schlimmer Umgebung. Ich danke Ihnen sehr, daß Sie auf das »An E. S.« verzichtet haben. Ihre Beziehung zu mir soll mein heimlicher Stolz sein; sie taugt nicht für die Augen der Welt, und am wenigsten für die der falschen »Weltbühne.«
Wissen Sie, warum wir es so schwer miteinander haben? Weil ich Sie so ernst nehme, wie man Sie nehmen muß.
In Herzlichkeit der Ihre
ErnstSimon
Über Tolstoy spreche ich gern bei Ihnen, obwohl ich den Vortrag schon 3 mal in Jerusalem gehalten habe: 2 × hebräisch (vor Arbeitern und im »Berger-Club«) und 1 × deutsch: in der Synagoge, zugunsten des Elternheims der H. O. G. Wenn Sie glauben, daß trotzdem noch Publikum dafür da ist, machen Sie mir bitte Datenvorschläge.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 598 f.
[88] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 5. Dezember 1942
Verehrtester Apoll.
Da ich nicht extra sagte, Ihr Uri möcht Ihnen die kleine Schachtel »nach« Schluß Ihnen geben für Channah, [über dem zweiten a ein Stern] glaubte er, sicher anzunehmen, sofort. Ich hab also die Schuld. Sie zu stören im Gebet würde mir nie einfallen.
Ich danke Ihnen für Ihren Brief. Sie haben darin so schön vom Stolz gesprochen. Aber ich glaube eher aus diplomatischen Takt, mir doch was Liebes zu sagen, beinahe höflich, in feiner Übersetzung. Ich ging eben sofort nach Hause, da ich in der Nacht zu krank war, morgen wieder Kraal (vorstehen (?)) muß. Auch gern heut Abend weiter Martin Buber hören möchte hier in der Synagoge-Katakomben.
Der Krieg ist bald zu Ende. Ich fahr dann wieder in die Schweiz. Ascona ist zu schön und Zürich und Bern.
Eben dacht ich so daran.
Liebe Grüße!
Ich sage vorher was zum Lachen so drollig.
Schade, daß Sie nit kommen!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 188.
[89] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 5. Dezember 1942
Verehrtester Ernst Simon.
Ich wollte Sie nicht beleidigen, keine Spur! Ich hätte überhaupt die Antwort nicht erwähnen sollen.
Ich freue mich, daß klein Michal Channah das kleine Schächtelchen gefallen hat. Ein süß Kind! [als Punkt des Ausrufezeichens ein Stern] Am 6. Dez. morgen: spoken Paper – am 20. Friedrich Ollendorf – ungefähr
3 1. – das heißt: 3. Jan. unser Dr. Kraft und freute mich königlich wenn Ernst Simon am 17. oder eher? oder in diesen Tagen spricht. Was Sie für gut halten, Apollo! Überlegen Sie bitte.
Ich sage morgen; muß Ihnen Dr. Kraft erzählen, über Spoken Paper.
Die soll: Wieso? W. S. heißen. Denn ich weiß nicht wieso ich dazu komm? Schon wieso – Kraal mir ein Rätsel. Ich bin gar nicht für diese wissenschaftliche Dinge. Das heißt: nur für die, die mich interessieren oder die ich dichte. Da ich, ohne zu wollen noch zu – »wissen« – (wahrscheinlich!) die Menschheit kenne und keine Hoffnung habe, keinen Hafen; Der Hafen ist jedesmal die Hoffnung der Welt.
Ich irre immer weiter, lande nie!
Euer Prinz Jussuf
Dr. Tobias spricht öfters mit mir. Ich will ihn fragen.
Nachtrag 3 ½ Uhr
Adon Ollendorf: der Major aus dem Bettelstudenten: (Ich hab sie ja nur auf die Schulter geküßt) hat mir mein Zimmer besorgt, nachdem ich 3 Monate auf den Steinen geschlafen in Kerem Abraham (Ge-Ulla;) dann hat er mit dieser Wirtin dringend gesprochen, daß sie gut zu mir gerad sein müsse. Sie war wie eine Hyäne. Ich wußte nicht mehr – was tun! Nun sehr gut; ich muß mit ihr sogar überlegen oft – aber ich fühl mich fremd immerdar. Aber, da ich endlich vor 1 ¾ Jahren ein Zimmer hatte, kann es dem Major nicht vergessen. Aber ich würde ihn doch nicht auffordern, wenn er nicht kraalwert. (Neues Wort.) Ich bin ja gar nicht wehleidig oder sentimental in diesen Dingen.
Ich meine nur meinem Blut nach, Burgunder. Verzeiht meinem Weintraubenhochmut. Ich kann nicht dafür, Adon.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 189.
[90] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 23. Dezember 1942
Mittwoch 23. Dezember 42
Lieber verehrter Adoni Doktor Ernst Simon.
Ich würde nicht den Mut haben, da ich es ja nicht wie sonst üblich, es gut zu machen mit einem Honorar, Sie aufzufordern im Kraal zu sprechen, wenn Sie mir nicht vor längerer Zeit selbst angeboten über Tolstoy – eben zu sprechen. Ich habe nun einen großen Wunsch, da ich zunächst für mich habe und Indianer (wo sind die? außer ein paar?) den Kraal in die Welt gepflanzt, den Sie gerade mir erfüllen können, falls auch Ihre mir noch unbekannte Gewereth einverstanden, Adon. Ich möchte so gerne, daß Sie über den Balchem, über Jesus den Nazarer und über Martin Buber sprechen und auch einige Rosen Dr. Baeck streuen, der noch in größter Liebe und Lebensgefahr in Berlin ist und verblieb für uns Juden.
Auch unserem hebräischen Bischof, Kurt Wilhelm weihen Sie einen frischen Rittersporn zwischen den Heiligen unseres Volkes. Lieber verehrter Dr. Ernst Simon, so bittet Sie ein Vagabund, ich, die Fremde im Volke inständig: Alle mögen Sie so gern und glauben Ihnen. Wollen Sie? Etwa in 2 bis 2 ½ Wochen? – Ich bin so zerrissen, Kleidung kann man flicken und ich kann nicht länger zerstückelt herumlaufen, zumal längst mein [Herz] und meine Häute zerrissen und nicht mehr zu stopfen, auch mit Blutfäden nicht. Lieber verehrter Adon Dr. Ich bitte Sie um baldigste Antwort! Wenn Sie mir nicht schreiben wollen:
Baïth Hamaaloth
(Mul Meschutaff)
(Querstreet der King Georgestreet) Jerusalem.
Oder geben Sie Dr Wilhelm bitte für mich, Adon.
– Ich glaube, ich habe kleine Michal-Hannah weh getan, da ich ihr den Däumling Jimmy die kleine Negerpuppe nicht schenkte zu der großen? Ich kann Jimmyneger nicht lassen. Mein Vetter Heinz S. und sein Freund Friedrich v. Unruh setzten sie mal auf meinen Teller zur Einladung zum Essen in Zürich früher, wissend ich bin entzückt. Lächerlich von mir?? Bin kein – Weibchen, aber ein Junge. Frauen sind im Grunde fast alle unspielerisch.?
Ihr Prinz Jussuf, Adoni.
Finden Sie, Adon, nicht auch richtig, daß die kommende Welt erkennt, daß wir die Größe Jesus wohl erkennen? wenn auch kein Frieden kam durch ihn. Alle Propheten wurden ja mit Steinen geworfen.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 192 f.
[91] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 30. Dezember 1942
30. Dez. 42.
Sir.
Wie soll ich die Überschrift schreiben. Sir ist fein anzureden, anzufangen einen Brief? –
Ist mein »linker« Arm auch so schwer verunglückt, so ist der rechte – verstaucht.
Auch über dem Herzen gerade blutunterlaufen, da ich aufs Herz fiel – vielleicht mich zu besinnen. Ich dachte ich sterbe, aber zwei arabische Menschen hoben mich auf. Doch was macht das, angesichts der blutigsten Undinge überall.
Aber ich danke Ihnen, noch mehr im Brief für Ihre liebe Zusage. Martin Bubers Vortrag vor paar Abenden war wirklich großartig. Ja »großartig« zu wenig gesagt. Auch dachte ich stets wie der Professor über Jesus von Nazareth und Paulus. Schon Dr. Sonnenschein der Armenapostel, der intimste Freund des jetzigen Papstes rief einmal, als ich ihm sprach von Paulus Saulus: »Sie mag doch den Paulus nicht leiden.« Und doch rief Dr. S. mich zuletzt nach Lugano. Er starb dort. Er wollte noch mehr von St. Petron Hille hören, (der Johannes der Täufer war,) unerhört merkwürdig. Und gar nicht gegen die Freude des Lebens.
Oft rief er von der Straße zu mir herauf: »Tino toller Kerl komm herunter, Wein trinken«! Ich war ihm wert, ja am wertesten von Allen, gerad ich, Null, wenn auch vielleicht [Kreis, mit blauem Buntstift gezeichnet] blaue Null. Ich sollte sein Buch schreiben, wünschte er. Ich hab mich nicht aufgedrängt. Sir, Petron [über dem P ein Heiligenschein] hätte sicher gesagt, – Jemand ist Apoll – oder gesagt bildlich: Er ist Johannes, die Säule in Israel, wie er genannt wurde. Jesus hat ihn sehr geliebt. Am mutigsten der Rede Martin Bubers war: »Er (Jesus von Nazareth) gehört hierher!!« Er meinte zu unserm Volk, hier in der Synagoge. Das sagte ich stets. Aber wie sollen das Christen verstehen, kaum die feingesinnten. Aber wir müßten ihn vom Kreuz blutgenagelt nehmen, ihn den Völkern begreiflich machen. Immer geben es Kaiphas hier und überall. »Diesen« J. v. N. Satz: Aber den »Lauen« speie ich ins Gesicht.« Daran erkannte ich seine Einsamkeit und Trauer – Wie Balchems, Lurjas’ Traurigkeit. Sir. Ich bitte Sie mich nicht mißzuverstehen, aber ich Straßenjunge stehe den Genannten näher wie die meisten.
Ihre Schrift hat sich verändert. Sie ist schärfer, jeder Buchstabe aus Dolchähnlichen Nadeln. Auch Trübniß liegt in der Schrift, Kampf. Ich bin traurig darum. Bitte, wenn Sie mich hassen, machen Sie Sich keine Vorwürfe. Nein? Ich bin ja nur schwärmerisch wie alle Dichter. Apollo ist ja auch nicht böse wenn man ihn anblickt.
Ich freu mich auf Ihren Vortrag! Ich denk stets in Liebe an Apollo und bewundere ihn immerdar!
Inl. die kleine Taubenfeder, die die Taube verlor in meinem Zimmer beim Brotessen.
Euer Prinz Jussuf.
2 Wünsche!
Es ist dem Kraal sehr schmerzlich, da er kein Honorar geben kann. Aber den Kostenbeitrag (2 Piaster) will er allein tragen, Ihnen die Einnahme senden für Bonbons. zum Dank!
Bitte bitte bitte, Sir, erwähnt Dr. Kurt Wilhelm? Er hat Sie gerade insHerz geschlossen.
Ich bringe den Brief heute aus Gründen
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 194 f.
[92] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 2. Januar 1943
2. I. 43
Wenn ich fort bin, [aufgeklebtes Glanzbild einer Blume] abgereist bin
Lieber Ernst Simon
Wollen Sie nicht vergessen, mir sofort, wenn auch nur auf Karte oder Zettel genau Datum Ihres Vortrags zu schreiben, da zeitig Einladung und Zeitungen ergehen müssen. Sie verstehen? Montag 11. I. mir sehr recht oder wann? – Mir sehr recht, nur baldigst muß ich wissen, Sir. Sie sahen gerade heute aus wie Sir oder Grandsir oder wie ein guter König, Pharao in Egypten. – Ich habe eben in Bialik [über dem B ein Heiligenschein] gelesen; herrlich schön! Ich bin doch so auf meine Augen geschlagen worden im Coupé und aufs Herz und die Magenwand haben sie mir zerrissen – ich kann kaum ohne Schmerz die nötigsten Nachrichten lesen im Press Echo oder B. N. N. Dazu am Tage gehetzt; wie soll ich sonst weiter. Am Abend die elektr. Birne sehr matt. Will nichts sagen, damit die Frau gut gestimmt bleibt. Habe mir auch selbst Primuskopf gekauft etc. Nur freundlich soll es bleiben.
Ich freue mich sehr auf Ihren Vortrag, schon Sie anzusehen eine Stunde – immerdar.
Ich habe doch einen Kinderball gezeichnet und lieb ihn so und konnt mich nicht von ihm trennen. Nun werden Sie – 15 Jahre – im ersten Grunde, die anderen Jahre kommen so dazu, stehlen sich an. Ich möcht es Ihnen schenken, wenn Sie Freude große daran haben. Ich werde unsern Bischof fragen, wann Ihr Geburtstag ist? Leihen Sie mir das Bild nur zu meiner Ausstellung? So 14 Tage? Mein Arm wohl besser, aber ich kann namentlich nachts vor Schmerz nicht schlafen, reiß Umschlag ab, da er zu ersticken droht in allen Zellen und Blutquellen.
Ich grüße Sie sehr dankend und sage was ich noch sagen möcht mit dem Mund des Herzens – schüchtern – oder leise. Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 195 f.
[93] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 3. Januar 1943
3. I. 43
Adon! Bitte diese Zettel unter uns für ewig! Hier unter den Leuten der Juden muß man Theater spielen. Ich wollte es nicht!!! Jedoch einigen bin ich gut gesinnt. Auch Jourgraus, aber dennoch möchte ich, Sie, Adon, leiten die Dinge der wahren Heiligung der Stadt, einst vielleicht: der Stadt der Städte« – allein. Nur in der Einheit kann man alles ungestört plazieren. Oder nicht? Doch ohne Überlegen lassen Sie Sich von Sam Wassermann und Advokat: Fürsprech Dr. Emil Raas helfen! Ich bürge für beide. Ich liebe die Menschen nicht! Große noch Kleine! Aber eine schiefe Weltordnung heranwachsendes Leben ob Mensch oder Blume etc. dürsten zu lassen, verkommen zu lassen. Ich glaube, mein Herz leidet, litt darunter, sah ich jeden Tag hier das Elend. Ich bitte Sie, herrlicher hebräischer Mönch, überlegen Sie nicht erst, auch nicht mit sogenannten gescheidten Leuten hier, Männer, Frauen etc, tun Sie nach der Liebe des Höchsten, vielleicht will Er das und ich durfte es Ihnen schreiben, da ich gewiß viel Unrecht getan und gebüßt wie ein getretener Hund, hier namentlich. Ich sehne mich nach Zürich, Ascona oder Bern. Ich werde die Hand und meinem Auge zum Bach weinen, ja ja schluchzen oder zum Meer. Ich sehe Sie oft allein in einem Zimmer, oft traurig. Tut das wunderbare, hebräischer Mönch! [als Punkt des Ausrufezeichens ein Stern] Selbst wenn kein Gott mehr über uns. Aber so zaubert Ihr wieder Gott in die Welt. Ich wandte ihr den Blick weit fort, allein bin ich, verekelt, ohne Liebe, ohne Hoffnung, das zerrissene Segel selbst. Jussuf [am
Rand drei kleine Skizzen von Köpfen]
[Kopf im Profil]
Gute Nacht
[nächtliche Stadt]
David und Prinz Jussuf wacht
So lange ist es her – – –
Ich träume so fern dieser Erde,
Als ob ich gestorben wär
Und niemehr verkörpert werde.
[I]m Marmor deiner Gebärde
Erinnert mein Leben sich näher.
Doch ich weiß die Wege nicht mehr.
Nun hüllt die glitzernde Sphäre
In Demantkleide mich schwer.
– Ich aber greife ins Leere.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 196 f.
[94] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, vielleicht Anfang Januar 1943
An Ernest –
Mein Angesicht liegt nachts auf deinen Händen
Es leuchten stille Kerzen von den Wänden
Und werfen um mich einen weißen Schein.
Ich will dein heiliger Widder sein!
Führ mich zur Opfergabe in den Hain.
Die Welt bricht auf an allen Enden –
Und an den Stöcken glüht in zarten Ampeln süßer Wein.
Und Mond und Sonne gehen auf beglückt mit meinem Herzen im Verein.
Um meine Lenden feierlich verzückt –
Sprießen goldene Legenden.
[Blume]
E. L-Sch.
Genau wie ichs hinschrieb, lieber hebräischer Mönch. Aber mir gehts, seh ich auch im Wiederschein der Leopardenmütze besser aus, sehr schlecht. Aber, angesichts der blutigen Geschehnissen,
Kommt mein Dasein nicht in Betracht.
Ich möcht nur weg!!
Will heute Jourgraus fragen wie jetzt möglich nach Zürich. Ich bin traurig
Ihr Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 198.
[95] Else Lasker-Schüler an Olga Alexander
Jerusalem, Donnerstag, 7. Januar 1943
Gewerett Dr.
Olga Alexander-
Dr Neustadt
Kerem Abraham
Johnastreet 24.
7. Jan. 43
Der Kraal
Montag 11. Jan. ½ 9 Uhr spricht Dr. Ernst Simon über
Martin Buber,
der Mann und sein Werk.
In der ohle Germania.
Sind Sie noch krank, dann nur nicht bei der Kälte kommen. Ich war überaus beschäftigt.
Anmerkungen
H (Postkarte): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 04 45). Poststempel: Jerusalem, 8. 1. 43. D: KA, Bd. 11, S. 199.
[96] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 13. Januar 1943
Adon Dr.
Ernst Simon
Rehavia-Jerusalem.
35. Maimonstr. 35
13. I. 43
Sir. Ich hätte am liebsten sofort am Abend 11. I. geschrieben, wie großartig Sie lieb u. gewaltig zugleich, gesprochen haben in meinem Kraal. Alle waren begeistert geradezu. Ich schreibe noch morgen länger wie schön es war! Mußte heute so rennen! Gestern konnte ich seit den 4 Jahren hier nicht aufstehen.
Jussuf.
Anmerkungen
H (Postkarte): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Poststempel: Jerusalem, 13. 1. 43. D: KA, Bd. 11, S. 199.
[97] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 14. Januar 1943
14. I. 43
Sir.
Es ist nur schade, da Martin Buber nicht zwischen Ihren andächtigen Zuhörern saß und zuhörte. Es waren nicht viele Menschen da, aber andächtige.
Bei den furchbarsten Opfern, die draußen im Felde gebracht werden, scheuen Menschen hier, nur die, sozusagen »Gebildeten«, welche ihr Interesse zeigen wollen, – ein bischen Schlamm und Regen. Auch die, welche Regenschirme stehen haben.
Ich bitte Sie nun, nicht mißzuverstehen, daß Gewereth Marx statt übliche 2 Piaster Kostenbeitrag, 3 Piaster nahm, mich, gut meinend, überredete, denn, mein Kraal ist kein Bussiness. Aber wie lange ich ihn noch halten kann ohne mich, nicht materiell etwa gemeint, zu ruinieren, weiß ich noch nicht. Ich kann, da ich alles noch tun muß, gar nicht mehr zeichnen etc. und überall fehlen Knöpfe an den Sachen und habe ungestopfte Löcher in den Strümpfen; – Ventelationen, – die namentlich die großen Zehe lieben. Aber ich friere überall am Körper und aber, (vielleicht gehts doch weiter!) Nun erzählt unser Bischof aus unseren Heiligen [über dem H ein Heiligenschein, im H ein Davidstern] Büchern. Da müssen Sie kommen. Ich glaube Sonntag oder Montag in 8 Tagen. Ich gebe noch übermorgen Bescheid. Dann spricht Dr. Nothmann über Talmud und Psychoanalyse – dann unser Werner Kraft. Er saß so traurig da und ich weiß nicht warum? Habe ihn auch noch nicht gesprochen seit 11. I.
Lieber, schöner Apoll, Sie sahen wundervoll aus. Ich könnt es Ihnen nur sagen, erklären – wenn wir zusammen aus der wupperthaler Schule gingen, am Bach vorbei und einen Ranzen auf den Rücken trügen. Ich einen grünen Plüschranzen mit einen schwarzen Tadel darin. Ich konnt ja nie aufpassen. Geh ich durch die Straßen und Gassen hier, träum ich so seltsam von allerallerallerallerfrühster Zeit. Nicht die Thatsachen, aber wie und was ich fühlte bei den Geschehnissen. Manchmal, Apollon, wird mir bange und ich falle fast hin. Ist gerade eine Mauer hinter mir, lehne ich mich an den Stein. Einmal kam ein schwarzer, großer Hund und unterschied mich nicht von der Mauer. Ich war sehr traurig, war gewiß nicht mehr wert.? Früher mal erzählte ich so ein Begebniß meiner zweiten Schwester, die eine herrliche Blume war, (auch meine älteste Schwester) und sie war sehr erschrocken, daß ich mich so schmäte durch den zufälligen Vorfall. Sie auch, Sir? Wenn Sie mich sehr tadeln, mir süßer als das Lob der Menschen hier um uns.
Ich bin sehr traurig, Sir, und weine im Innern. Denk ich plötzlich an Sie, scheint was über mein Empfinden. Möchte es haschen, aber ich bin zu entzückt dann und meine Hand legt sich zur Seite.
– Wie Sie erzählten der »kleine« damalige Martin Buber ging heimlich (?) zu den Chassidim ins enge Stübchen – sicher mit ihnen zu tanzen, das sind immer wieder Beweise, daß es Engel geben, die Kinder führen. Und wie hold und stark in der Blume, Sie das schilderten. Wirklich Alle waren entzückt. – Sir, Sie dürfen nicht murren, da ich bin.
Nun ist es mittags 3 Uhr – heute ist es ruhiger wie gestern. Auch koche ich mir wie im Urwald am River was Wunderschönes und dann setze ich mich in ein wollenes Tuch und erwärme.
Das Bild bekommen Sie zu Ihrem 15. Geburtstag. Ich werde den Bischof fragen, wann er ist. Ein Kinderball, darauf Uriel und Chanah-Michal [über dem ersten a ein Stern] tanzen. –
Ich habe mir heute auch Bonbons gekauft. Am liebsten esse ich ja Zucker, aber der reicht bei mir nur 7 Tage.
»Ihr« Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 199–201.
[98] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, wahrscheinlich 2. Januarhälfte 1943
[…] Ich habe heute Mittag Chokoladencacao getrunken und Caces von der lieben Gewerett Bronnstein, der Gewerett des Malers, die mir zwei Schachteln vor die Türe stellte. Ich denk immer an essen – nicht an die Stadt Essen. Ich denk immer sündhaft an Fleisch mit Kartoffeln und Apfelmus. Ich denk immer an Bouillon mit Klösen. Ich bin voll Sünde. Wie fast alle Menschen. Ich war voll Liebe wie keiner nun heute. Auch nun von Liebe verlassen, arm geworden der ungeheuerste – Bankerott. – Ich bin kehl wie eine Rennbahn, über die ich hin und her renne.
Ich bin froh, daß Sie behütet und gepflegt werden und die paar Worte stehen immer über all mein Denken an Sie. Ich bin ja eine Kneipe nun selbst ohne Rast und meine Liebe wie ein Delirium. Manchmal werd ich wach und denke, ich umarme alle in Ihrer Nähe, die Sie so sorgsam umhecken.
Jetzt kommt wieder die Dämmerung, ich zittere vor ihr. Ich bin traurig, Ernest Apoll, Adon in Jerusalem, – bin fern Allen hier, Schnee liegt auf meinen Glockenblumen.
[Kopf im Profil] Schon dunkel im Zimmer
Ich wollte Ihnen das Kindertanzbild malen. Es wurde gestern so gelobt, konnte es verkaufen.
Mir schien, Sie waren enttäuscht? Lobten mich nicht! Ich gehorche Ihnen doch ganz allein Ihnen.
Ich l[es]e nicht noch mal Aurel!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Die Seiten 1–3 fehlen. D: KA, Bd. 11, S. 202 f.
[99] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 11. Februar 1943
11. II. 43
Verehrte Else Lasker-Schüler
Ich danke Ihnen für die Einladung, aber ich mußte in Tiberias den Fischen eine Rede halten, laut Notizbuch. Den Schellfischen hat sie imponiert in aller Eile hingeschmiert der Marx der Marxen schnell diktiert. Verzeiht bitte, verehrte Dichterin. Es waren ja 9 Zuhörer anwesend: 15 Piaster. Wünsche weiter Glück zum bussiness. Ich meinerseits schnitt es gerne mit meinem Taschenmesser für Sie in alle Brotrinden [abstrakte Zeichnung] ein .. Liebe verehrte Dichterin, Sie wissen doch wie Sie mich kränkten mit dem Hosenwunsch,! wenn ich mir solche Worte kommend vorstelle, die über Ihre dichtende Lippe kommen, so glaubte ich zu erkranken. Ich besitze selbst nur fünf Hosen, alle getragen und es geht über meine Kraft, Ihnen Getragenes zu schenken, noch von mir, da ich vor einiger Zeit Masern hatte. Überings kriegt alles, was ich entbehren kann, Werner, der wie Sie friert und momentan Bibliothekar, früher Bankdirektor war und sparen muß nun allerorten und nun sich nur an Ostertagen heimlich regaliert an schwarzen Torten; Sie können ihn ja selber fragen. So Verzeiht!! – Ich weiß Sie verzeihen, mit Ihrem 14 carrätischen goldenen Herzen. Und darum begreife ich ja nie nimmer, wie grausam (gerade gegen mich) Sie sein können wo ich Sie so liebe. [am zweiten e ein Herz] Ja, Tag und Nacht mach ich mir Sorgen sehr und schwer um Sie, die wie im Stall das ärmste Vieh zittert vor der Kälte!
»Warte nur bälde«, ... wärmen Sie
Daunen der Kikerikih!
Ja, außerdem meine Not, Sie weinen Sich die Augen rot und rot
Wegen [Tränen] meiner – – – – Ich würde vergehen, aber das ist ja gerade mein Geschick, die Frauen alle allesammt, verlieben sich in mich.
Pause – (am Buffet Foyer)
Ob feminin ob homosechsuell
Die Liebe fragt ja nicht
und wechselt so den Menschen schnell.
: »Das Weibliche zog mich hinan« hinab!!
Ich weiß: seitab, haßt Ihr ich: Mollière.
Er kann ja nichts für seinen Spruch,
Ein klein Mamsellchen kam daher
Bald hatte er von ihr genug. (Bialik.)
Verzeiht mir diesen Brief, verehrte Dichterin
Ich bin für ewige Zeit
in Ergebenheit
Dr. E. Simon.
Ich halte Vortrag über Göthe. in der Tasche Käsebröte. E. S.
[männlicher Kopf en face] Stirne zu hoch die beiden Haare glatt nach hinten kämmen
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 204 f.
[100] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 14. Februar 1943
14. II. 43
Inl. Einladung.
Adon. Ich war die letzte Zeit immer besoffen, da ich mein Geschick nicht mehr sonst aushalten konnte. Ich bitte Sie mir meine letzten, am besten alle Briefe etc. wiederzusenden. Nicht aus Mißtrauen oder dergleichen, aber aus Noblesse, die doch nicht von mir weichen kann. Ich bin mal so wie ich wurde, da ich so viel enttäuscht wurde im Leben. Jede Ehe wehe wehe wurde eine Schlacht. Immer ließ ich mich hauen, teils zu leiden für Unrecht, das ich tat; Enttäuschung, die ich für Vertrauen gab Menschen, die gelitten und an mein Wort glaubten. Ich bin brutal geworden, rauh in Wirklichkeit. Was an meinen Zweigen wächst, Gedichte, die wachsen eben ohne mein Wissen. Jede Ehe für mich war der erste Schritt zur Scheidung. Und so denk ich auch noch heute: Eine Beute, die man lieber sofort aufessen sollte. Wie dumm, nicht wahr? daß man mir glaubte. Ich frier’ nur immer, hatte Hautbluten und schreib damit Verse wie mit roter Tinte. Sie kommen scheints nicht mehr in die Synagoge. Stör ich? Dann komm ich bei meiner Ehre nicht mehr. Sie schaden mir nicht! Ich bin über viel hinaus, auch über alle Liebe zu Ihnen, und das ist gut. Bin frei! Ist auch die Liebe, wie ich sicher schon schrieb doch auch eine Gefangenschaft, wenn auch im Himmel. Ich habe bald eine Jungeshose und paar dicke Strümpfe und eine Jacke aus meinem Kragen geschneidert. Ich besprach es mit dem lieben klugen Mortimer Wassermann. Und ein paar neue Stiefel. – »Paar Leuten ins Gesicht zu treten!« So fürchten Sie, Adon.
Aber nie hab ich Sie wirklich ärgern wollen, zumal Sie Sich ja nicht ärgern über eine Fremde können. Auch sind Sie mir zu schön. Ich bin mal so und mein Leben ein Schmerz – mir und Jedweden. Nachts ess ich oft Bonbons mit Freuden. Ich kenn jetzt einige Menschen, die mögen mich leiden, die kann ich auch leiden. So freut Euch mit mir. Gebt Werner Kraft die Briefe im Couvert, wenn Ihr wollt. Er öffnet das Couvert nicht.
Ich liebte Euch inständig. und nun Niemanden hier mehr.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 206.
[101] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Sonntag, 21. Februar 1943
21/II/43
Liebe Else Lasker-Schüler!
Wie herrlich ist das Gedicht! Wie arm bin ich überreich Beschenkter! Ich kann nur Dank stammeln, und als winzige Gegengabe Ihnen eine Ehrenkarte zu meinen Vorlesungen in der Volkshochschule der H. O. G. senden, die heute an Sie abgeht. Das bedeutet aber nicht, daß Sie kommen müssen. Nur, wenn und wann Sie wollen, und ich werde vollkommen verstehen, wenn Sie nicht kommen, genau so, wie ich um Ihr Verständnis und Ihre Verzeihung bitte, wenn ich nicht zu allen Kraalveranstaltungen kommen kann, so gerne ich möchte. Ich bin eben leider wirklich überlastet – mit eigenen Vorträgen, mit Sitzungen, mit Universitätsseminaren, wie z. B. Dienstag abend. Sehr gerne würde ich zu Werner Kraft kommen; läßt es sich vielleicht an einem Montag abend einrichten? Das ist der einzige Abend in der Woche, an dem ich mich manchmal freimachen kann, d. h. wenn keine unvorhergesehene Sitzung kommt. Ich habe Werner heute meine Bitte schon selbst vorgetragen und er versprach mir, sie mit der Rektorin der Kraal-Universität zu besprechen. Vielleicht geht es?
Herzlichen Gruß und noch mal innigen Dank
Ihr getreuer ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 614.
[102] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 1. März 1943
1. März 43
Lieber Apollon [Stern]
Ich danke Ihnen für Ihre Eintrittskarte sehr. Ihr Vortrag war gestern entzückend schön. Mich begleitete der Junge von Bronsteins, der liebe feine Junge. Wir sprachen noch den Weg darüber und vergaßen die Kälte. Sie sind ja so reich und mannigfaltig, schon an der Art wie Sie erzählen geradezu bezaubernd. Manchmal versteh ich ein Fremdwort nicht, schon als Kind nie, aber ich renk’ mich doch immer wieder ein. So ungelehrt sprechen Sie und doch geben Sie uns tiefstes Wissen und Süßigkeit. Ich glaube aber wenn ich säen und ernten müßte, ich würde entgültig verhungern, – nicht eine Kartoffel könnte ich essen, sehe ich sie blühen. Sie hat so herrliche Blüte wie fast alle Frucht. Warum Menschen nicht vorher so schön blühen, bevor sie Kinder kriegen. Gerad das Gegenteil. Ich muß mich umdrehen, begegne ich – eine Aufkeimende schon. Warum verzaubert sich der Ausdruck aber, eines Künstlers oder einer Künstlerin, bevor sie kaum ein Bild beginnt zu malen, ein Gedicht niederzuschreiben. Ich kannte eine Malerin, die bekam bunte Augen beim Malen des Bildes. Nun sprachen Sie so viele Dinge, die ich schnell auffing, ich meine, die ich mir raubte! Die beiden ersten Baumeister Palästinas, gefallen mir so sehr. Beide! Und beide doch verschieden. Borris (Berl) und ? Gordon. Zwei Wunder beide wuchsen sie auf in Gottes Hand.? Jerusalem kann auch in einer Hand, die ungemein ist, liegen zwischen Erhöhungen – Sinaï und Meereslinien. In Ihrer sicher!! – Beinahe hätte ich wieder (so blöde?) gesagt, ich liebe Sie! – Als Sie kamen gestern, leuchtete es in mir, mein Herz wurde eine Ampel. Die Sünden, die hier an meinem Leben getan wurden, vergeb ich nur Appollon.
Ich hab wieder ein Gedicht gedichtet wirklich schon vor etwa fünf Tagen, aber es war so kalt in meinem Zimmer, Eiszapfen wurden meine Finger und ich konnt es nicht aufschreiben. Aber ich schreibe es morgen auf. »Mich« nennen Sie reich? Ich weiß ja nicht einmal ob eine Melone oder eine Beere an meinem Zweig wächst. Ist sie abgepflückt?, was weiß ich davon, als die Liebe, die vorher spielte: glitzern oder oft Räuber und Gendarms in meinem Gemüte. Ich bin arm und schäbig sonst. Und habe alle Hoffnung zum Menschen verloren, die mich so erniedrigten und verkommen ließen und kein Verständniß besizen. – Nun – Fröhliches wieder, goldener Apoll: Selbst Werner Kraft hat keine Idee von mir. (Bitte nur unter uns!) er ißt meine Bonbons auf und raucht meine Cigaretten. Nie laden sie mich ein zur Cafémischung. Nie! Ich komm so gern und trink und ess dann nix. Oder irgend Jemand hier zu Kartoffelsalat (bitte ohne Knoblauch und Petersilie) mit Spiegelei, (eins genug.) Oder wie sie auch so viele Zuckermienen schneiden, sie leiden nicht wie ich an Zucker und etc – Sie reden viel, doch Kuchen wenn auch schwarzgebackener für mich verarmten Prinzen rare. Und – wer mich ladet mal zum dinner oder zum souper, Der weiß, ich nehme äußerst sparsam und – bescheiden. Und manche Hausfrau kann mich späterhin gut leiden, – – Seit gestern hab ich wieder Geld, Die Löhnung holt’ ich mir und aß 3 × Ehrenwort gestern zu Mittag im Restaurant der Wiener und am Abend noch einmal. Ich konnt dann wach bleiben comme il faut – »Das ist einmal im Kriege so« – sagen die Weisen hier im »Heiligen« Lande: Und nicken zutulich und decken ihre Schande mit Daunen. Da ich noch dichten kann so voll Humor (Hummer) und Fische – Bezeuge ich, es geht mir gut seit gestern wieder, was anbetrifft zu Tische. So ists einmal nun hier zu Lande, es fehlt der Karl (von Moor) und seine Räuberbande.
Lebt wohl, ich schauere vor Glück wenn ich Euch seh, und träume, Holdester von Euch in Eurer Näh und wenn ich Euch auch nur in meinem Traume seh. –
Durch den Körper blickt die Seele sich, wenn sie noch eitel – (»Seele läßt sich nicht vom Körper trennen« (E. S.)) auf Erden. Ich erblicke Apollon.
Prinz.
Verzeiht Papier!
8. März: Montag spricht Werner – Näheres kommt.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 207–209.
[103] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 8. März 1943
8. März 43
Adon Apoll.
Gestern gerade war der erste Tag an dem ich nicht so traurig war, hatte Glück. Da kam ich dann in Eurem Vortrag – was zu lernen und komm in mein Zimmer und bin so sehr einsam innerlich, ja zu Eis zugefroren; denn – ich liebte Sie nicht mehr und so allein empfand ich mich, daß ich die ganze Nacht auf dem (verschneiten) Rand meiner Couch saß und beinahe weinte. Ich fragte auf dem Weg Gerson Stern (aus meiner Heimat) ob ich aufdringlich gewesen, da ich nach dem Vortrag Ihnen sagte wie schön Sie gesprochen, bunt wieder und mannigfaltig und voll Süße. Er sagte: Im Gegenteil! Aber er ahnt ja nicht, daß ich Ihnen Verse und unaufgeforderte Liebe sandte. Er sagte: »Er ist voll Charme und so was giebt es kaum noch wie Sie.« Dann sprachen wir vom Krieg etc. Ich habe Gerson Stern und seine liebe Frau so gern.
Als wir auf dem Weg zur Ohle Germania gestern marschierten, lachten wir so über Dinge von früher in Elberfeld, ganz früher und auch über Dinge, die ich toll erzählte von heute. Ich konnt zuerst nicht ohne Lachen sitzen. So war es! Sie sagten etwas zu mir, wie wir eintraten, aber ich erstarre zunächst, sehe ich Sie. offen gesagt. Ich hab auch nicht Eintritt bezahlt, möchte einlegen hier. Ich glaubte die Ehrenkarte gilt für alle Ihre Abende. Aber das nehm ich nicht an. Aber die Bonbons kosteten ebenso viel und ich hörte Sie noch schlecken? (wie sagt man) oder auf der Straße. Und doch ich konnte nicht vergessen, wie schnell Sie Ihre Hand aus der meinen zogen – als ob sie beiße. Ich kann ja auch kaum mehr aufstehn, sitz ich wo, vor Müdigkeit. So ist das mit der Hand. Aber doch das schmerzte, auch meine Stadt Tiba [Mondsichel mit Stern] sehr und ich fühlte meine ungeheueriche Liebe vergehen, wie eine blaue ewige Wolke und es wurde leer und kalt in mir, noch jetzt. Und meine Liebe tröstete mich gerade so. Was soll ich tun? Ich kann Ihnen nun das Gedicht nicht senden, auch das Bild nicht. Und ich hätte Sie auch gern eingeladen, Ihnen gesagt hier im Brief, daß ich eingeladen in Haifa zu lesen und auch hier 2 Vorträge halte: Ein herrlich Buch von mir lese: Der Wunderrabbiner von Barcelona und dann 2. Abend Gedichte und so weiter. Und, daß es so in 7–10 Tagen 1. Abend ist –, aber nun weiß ich kaum mehr wo Sie wohnen. So arm kann man im Augenblick werden und was ist bussinessarmut dagegen. – Noch eines wollte ich sagen: Ich sprach mal Adon Ussischkin an, da er wie ein großer weißer Hirsch immer kam. Ich wußt nicht wer er war. Er freute sich.
Er hat aus dem Stein der Gesetztafel Jerusalem aufgebaut.
Adon Ruppin (Gentleman meist, aber nichts gegen Ussischkin.
Jussuf
Ich gebe Ihnen nie wieder die Hand.
Lebt wohl, Apollon!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 211 f.
[104] Else Lasker-Schüler an Fritz und Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 10. März 1943
10. III 43
Hochzuverehrender Adon Dr. Fritz Simon.
Ich bitte Ihren Bruder Dr. Ernst Simon, Ihnen den Brief zu geben, er nicht etwa in andere Hände fällt.
Ich hatte vergessen Ihnen zu sagen, daß der Intendant Leopold Jessner und seine Frau – Emmy Göhring in Sicherheit brachte, beide in ihr Haus holte; von dort Jessners flüchteten. Adon Jessner, der auch von mir z. Z. im Staatstheater ein Stück aufgeführt hat, erzählte mirs in einem Café in Zürich – etwa vor 4 Jahren und 2 Monaten.
Sie sehen, daß ich E. S. doch irgend richtig einschätze, Adon.
Heute war ich auf der Post, aber erst morgen 11. III. kann ich die Gewereth sprechen. Ich werde sie dann sofort benachrichtigen. Ich bitte Sie, daß nie mein Name genannt wird, da ich nicht eitel noch ehrgeizig bin und ein »Fuß darf nicht wissen was der andere Fuß« – (noch im kaputen Schuh) tut.«
Die Hauptsache, daß die armen noch in Deutschland weilenden Juden erlöst werden, Adon. Mir: Ehrensache.
Else Lasker-Schüler
eilt!
[aufgeklebte Briefmarke] Israel steht auf dem Spiel
Adon.
Im Fall Sie Ihrem Bruder den Brief nicht geben können – oben Marke 10 Mills.
Das kommt daher – ich sollte Dr. Joseph sprechen, – Lady Szold riet es mir, da kam Ihr Bruder, statt Dr. J. Ich kann nicht dafür! Er war verständig in der Angelegenheit. Ich spielte Verlegenheit in meinem verschimmelten Mantel glaubwürdig, vor Entschuldigung vergehend. Ich fragte ihn, ob er der Bruder von Dr. Ernst Simon sei, nur um Sie zu loben! Familienmitglieder müssen immer hören wessen Bruder sie haben. Bitte fragen Sie Selbst, warum ich Dr. Joseph sprechen wollte. Aber sprechen Sie zu Niemandem darüber! Man muß das Unmöglichste tun. Unmögliches auf einer Wolke geschrieben kommt an und man kann auf Platzregen rechnen
Ich bin nicht weise, aber war mal weiß, schneeweiß. Auch sage ich nie: Zur Sache! Aber das Gespräch Dr. Werner Kraft und die Dichterin war sehr gut. Die Gedichte hervorragend! Er ein lieber Mensch, ein großer Dichter, ich ein [Schwein] meist – so hasse ich die Menschen, daß sie ein schmutzig Schwein in mir begegnen sollen und sie doch gezwungen sind mich zu – fressen, unerlaubtes Gerede – Dichtungen zu hören. Der Spießer empfindet Gedichte so.
Heute aß ich: Wirsing 2 × und Kartoffeln
Ich ahnte nicht, daß Ihr Bruder in der Zochnuth ist.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 213 f.
[105] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 11. März 1943
11. III. 43
Adon.
Sehr ernst gerade heute – eine Bitte. War gestern vergeblich überall. Werner Kraft kann bezeugen, daß ich geradezu überermattet auf meinem Stuhl saß im Tuch gehüllt. Inl. Brief muß jetzt abgehen! Jeder Tag kann neue Morde bringen und inl. Brief wird telegraphisch gesandt, wahrscheinlich (Rot Kreuz) nach Berlin. Ich habe wohl überlegt oder weiß wie umständlich ich die Depesche schrieb – aber gerade darum vermuten »sie« und »er« daß ich aus eigener Initiative, unwissend aller realen Dinge, wie ich wirklich einst, (eben eine »Dichterin« – sagen beide.) die Depesche schrieb.
Nun muß sie englisch oder französisch übersetzt werden, sagt man auf der Post.
Französisch halte ich, da England der offizielle Feind Deutschlands, für besser. Nun sind Sie so allwissend und können sicher gut französisch, Adon. Schreiben Sie mit der Maschine, ich werde wenn Sie Gewicht darauf legen die Depesche abschreiben, Ihnen das Original sofort wiedersenden.
Parole d’honneur!
Ich tue das aus Ehrenhaftigkeit für mein Volk, das so schmachtet in Deutschland. Nicht um mich vorzudrängen, ich hielt mich stets zurück aber ich wurd so geschoben stets.
Ich tue es, da ich Lieben Gottes Soldat bin –
(wenn man sagen darf??) Er wollt mich avancieren, aber ich will gemeiner Soldat bleiben – vielleicht, um – »mich weiter hauen zu dürfen mit den Straßenbengels.
Ich weiß, den ich gestern bat, Werner Kraft, weiß was ich will, aber er will nie in solche Dinge gemischt werden. Ich setzte mich in Gefahr vielleicht«??? Und auch das würde mich nicht abhalten, Gottgefälliges zu tun. und also – so.
Bitte wenn Sie Vertrauen dennoch zu mir, zu meinem Ernst hier und überhaupt, so verliert keine Zeit. Sonst bin ich Mitverbrecher, da ich so langsam.
Ich habe extra so an E. G. geschrieben, sie spielte wirklich gut und warm. Diese Demut zur Erlösung eines Volks ist stets gut und gentle und – fromm.
Bitte sofort!
Bitte macht Euch, Apollo, den Weg – schiebt morgen den Brief versiegelt unter meine Tür – ja. Aber nur, wenn Vertrauen!!
Sie holten damals Jessner und Frau in ihr Haus zum Schutz bevor die flüchteten.
(Verzeiht Papier!)
Ich freue mich auf Montag!
Bitte wenn? dann wörtlich bitte übersetzt, Adon.
Ich habe fabelhaften Deckel gezeichnet auf mein neu Buch.
Ich habe Sie weder ganz und E. S. erwähnt. Ich hab’ –? Takt!?
11. März 43
Gnädige Frau, verehrteste Künstlerin.
Ich bitte flehentlich aus dem Lande heiliger Himmel, die feine, begabte Künstlerin, die ich vor Jahren in Berlin spielen sah, zuletzt vor vier Jahren ½ in Zürich in einem Cinema, Kleineddas Vater zu bewegen gegen die entsetzlichen Verfolgungen meines armen geplagten Volkes zu wirken. Liebe, liebe, liebe, liebe Künstlerin! Wir leiden ja alle und ich und die Mehrzahl meines Volkes ja immerzu und sind so arm und unsere Herzen bluten. Ich will in den Garten Gethsemane gehen, wo der Heilige kniete und für Ihr Kindlein beten.
Else Lasker-Schüler
[der folgende Text durchgestrichen:]
Hier bitte diese Seite übersetzen? Ja?
Englisch kann ich, aber zu viel vergessen.
Bitte den Brief retour.
Ich bitte nur, falls Sie in die Synagoge gehen, morgen Adon, mir am besten morgen alles zu übergeben, oder unsern Dr. Wilhelm damit zu betreuen, er mir die Briefe giebt. Besser vielleicht so für die Zuschauer!! Bitte vergessen Sie Montag nicht unsern Dr. Wilhelm im Vortrag?? –
Heute war Buchbesprechung Zochnut. mit Dr. Spitzer
Ich schrieb auch eine Seite Huldigungen: Von Ihnen herrlichstes.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 214–216.
[106] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, wahrscheinlich Mittwoch, 17. März 1943
Adon, Wieder bewunderte ich Ihren ebenso unzerstörbares Vortragsgebäude mit den holden Arabesken und der bunttanzenden Fahne.
Ich hätte es Ihnen gerne gesagt, aber ich mag Sie, der Sie sicher müde, nicht stören.
Morgen oder übermorgen fahr ich nach Haifa, Dr. Grosshut Antiquarbuchhandlung lud mich ein, zu sprechen. Am 30. März lese ich mein klein Buch: Der Wunderrabbiner von Barcelona in der New. Bezalelschule ½ 9 Uhr. Dienstag. Es geht nur dort Dienstag. Schön wenn Sie kämen, Adon!
Prinz Jussuf
Ich denke fortwährend nach, wie man doch der E. G. den Brief senden kann ohne dortige mir so liebe Menschen, (2 nah verwandt) nicht schädigt. Vielleicht durch Papen, den ich kenne? Durch neutrale Türkei?
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 216 f.
[107] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 23. März 1943
23. III. 43
Adon.
Ihr Vortrag war wieder unvergleichlich wundervoll. Ich glaube Adon Bialik hat ihn gehört, saß zwischen uns, auch Adon Ben Jehuda. Seine Gewereth lud mich vor etwa 7 Jahren ein, als ich 3 Monate hier war. Ich saß auf dem Balcon, denn ich feierte den Dichter allein.
Steine sind meist die Worte, identisch mit den Steinen, die abrollen von den Felsen Palestinas. Manchmal kommen Worte aus Wolken: Wie: »Leila«. Ich danke Ihnen. Es begleitete mich eine Gewereth, die ich verehrte ihrer noblen Art wegen und Frömmigkeit. Aber dennoch weit bin ich anders im Gemüt und Gehirn und Geschmack.
Künstler können eben nur mit ihresgleichen umgehen, verstanden werden oder mit großzügigen Verständniß und etc. etc.
Sie sprachen wieder so reich und bunt. Ihr Herz wohnt in einer goldbrokatnem Einrichtung und Fransenkissen.
– Nun möchte ich noch sagen: Ich habe die kleine Düte Bonbons hingelegt. Die größere lag schon da – ich weiß ja nicht was darin war. (Um Irrtum zu verhindern!) In Haifa – außergewöhnlich!! Entzückende Menschen alle fast. Ganz besonders: Dr. Grosshut und feine feine Gewereth. Ich erlaubte mir: Sie, Adon, Dr. Wilhelm, Werner Kraft vorzuschlagen: Bitte nehmen Sie an.
Ich hab nun meine Schulden bezahlen können 4 Pfund und atme auf. Denn ich bin gentler Räuber. Ich muß noch viel arbeiten nun, darum sage ich Ihnen nur: Lebewohl jetzt.
Das Gedicht haben Sie herrlich übersetzt. Wie muß Adon Bialik seine liebe Mutter geliebt haben! [als Punkt des Ausrufezeichens ein Stern] und Sie, Adon, nun.
Ihr Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 217 f.
[108] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, wahrscheinlich März oder April 1943
Adon!
Ich vergaß zu schreiben, daß selbstredend mit den hebräischen Kindern hier dasselbe für die arabischen Kinder hier gelten muß, da zu gleicher Zeit die Versöhnung mit den Arabern viel leichter zu Stande kommt. Die Araber sind sehr geneigt auf Zeichen der Güte einzugehen, richtet sie sich noch dazu gegen Kinder ihres Volks!!
Noch eins: Sprechen Sie und Dr. Wilhelm mit einem großartigen arabischen Professor hier. Fragen Sie Dr. Grosshut (bookshop) an: Haifa. Herzlstr. 35 (mit liebem Gruß von mir) wo der Professor wohnt.? Sehr wichtig! Ich soll ihn sprechen wegen Übersetzungen. War nur zu ermattet bis jetzt. Diplomatien verstehen hier die meisten außerdem nicht! Diplomatie muß sich auf Erbarmen aufbauen.
Ich bin Jussuf
Haben Sie nicht mein Gedicht bekommen etc. Schreiben, Adon? Wollen Sie mein allerletztes Gedicht?
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 230 f.
[109] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, wahrscheinlich März oder April 1943
Lieber Adon.
Meine Gedichte kommen bald heraus; als erstes meiner neuen Bücher.
Ich wollte Sie viel herrlicher verherrlichen, aber Dr. Spitzer, der Ihr Freund ist in Wirklichkeit hat Sorge. Sicher glaubt er, ich könnte Sie compromettieren (?) oder wenn auch nur Sorgen machen.
Also, ich wollt das Gewagteste schreiben als Überschriften. Ich kann also nicht dafür!
(Ich glaub er fürchtet auch, Sie geben mir Ohrfeigen auf der Straßen event.)
Sie hätten vielleicht zwar – eine Zeitlang, der Menschheit nicht zu begegnen, »verbotene« Wege aufgesucht ans Ziel Ihre Tätigkeit zu gelangen. – Ich »sicher« – Ihnen schon zu begegnen, wenn auch im Novemberregenströmen – das Ziel meiner Untätigkeit zu erreichen. Nochmal, ich bin unschuldig, Sir, die ich immer nur Ihr Glück im Auge und im Herzen – (auf einem noch nicht zerbrochnen Eckbrett stehen habe.
Adoni,
Ihr gehorsamer Prinz Jussuf.
[Kopf im Profil]
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 231.
[110] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 6. Mai 1943
6. Mai 43
Adon.
Ich war gewiß nicht unfreundlich, aber – consterniert so plötzlich Sie zu sehen. Ich war wie gelähmt vor Überraschung. Ich glaub auch, ich hab sprechen verlernt. Mit mir selbst schweige ich schon.
Ich hab noch dazu eine tiefe Wunde in der Mitte im Kopf und fiebere noch, habe immerzu Kopfweh und kann auch schon Nächte nicht schlafen. Bei Tage mir unheimlich fortwährend. Und ohne Trost.
Mein Buch kommt sehr bald heraus. Ich kann mich nicht mehr freuen, und da Sie Freude, wie Sie sagten, haben, genügt mir. Da ein Mensch sich freut.
Ich habe nun alle Einladungen wieder herumgebracht, es erinnert mich, da wir früher: Dienstmann spielten. Im Hause, ich meine bei der Frau W. wohnen nur polnische Christen und sie selbst, eine schwer brutale Schlange, die jede 6 Wochen einen Anfall bekommt und roh umgeht. Wär ich doch fort! An die polnischen Christen wagt sie sich nicht. Wir können uns nicht verständigen, nicht sprechen, (Gespenster) aber die Pana (?) bringt mir öfters Blumen nach so viel Schimpf u. –
Ich bezahle ihr 5 Pfund pünktlich alle Monat. Und mache mein Zimmer und sie will mich sicher oft weiter erpressen. Aber nun momentan Ruhe. Es kümmerten sich Bekannte und ein lieber Anwalt.
Ich will nur Ruhe, kaum Essen. Nur Ruhe.
Wenn doch David hier wär, er würde mich holen sicher in seinen Palast. So denk ich sicher!
Ich kann nicht mehr die Bleistift halten, ich glaub ich bin überhaupt gefällt.
Man kann hier so gut sein zu diesen Menschen wie möglich, sie können nur hassen. Die kleine 15jährige Myrra der Frau lud ich manchmal ins Cinema ein, sie durfte plötzlich nicht mehr mit mir gehen. Und alles ja Lappalie gegen Geschehnisse draußen. Zu furchtbar und ich bin betrübt.
Immer gleich Ihnen, nur ich kann nicht mehr alles sagen.
Ihr Prinz
Grosshuts hätten sich gefreut, Sie zu sehen.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 232 f.
[111] Widmung Ernst Simons für Else Lasker-Schüler
Jerusalem, wahrscheinlich kurz vor dem 15. Mai 1943
Das Wort der Dichtung ist lebendiges Wort,
Vom Geist geboren, wirkts auf Erden fort.
Es formt den Erdenstaub und wird bestaubt,
Wird kämpfend seiner Reinheit fast beraubt;
Doch ringt es sich empor, kehrt zu sich ein,
Und darf dann, reich und rein, ganz es selber sein.
Seiner lieben Else Lasker-Schüler
in dankbarer Verehrung
Jerusalem, Ijar 5703
Ernst Simon
Anmerkungen
H (Widmung): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 11 A 1). Auf: Ernst Simon, Ranke und Hegel (Beiheft 15 der Historischen Zeitschrift), München und Berlin: R. Oldenbourg, 1928. D: KA, Bd. 11, S. 633 f.
[112] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, wahrscheinlich Samstag, 15. Mai 1943
Wie in der Schule:
Apoll,
verzeiht die alten Bogen, momentan keine zu bekommen, Shops geschlossen today.
Ich wollte sofort schreiben, konnte aber vor Gebrochenheit den Pencil nicht halten. Solche Dinge waren mir geschehn, total schuldlos und jäh. Die Polen hier, die gewöhnlich sind, schrecklich wenn sie noch vermieten. Aber ich will Sie nicht damit aufhalten! Ich bin wirklich [2] überrascht, daß ich doch unerschütterlich treue Menschen hier habe. Sie waren alle empört! Solche Mittel wandte die Frau an. Bitte alles unter uns!? Auch ein famoser Anwalt, der [3] davon hörte, schrieb ihr großartig. Sie wagt ja nicht die christl. Polen hier bei sich zu erpressen oder sie mit Faust und Besen anzugreifen! Aber ich mag und will nicht fort, da ich viele Bekannte hier an allen Seiten habe, abends so traurig bin, event. hingehen kann, daß ich nicht falle über den dunklen Abhang meines Herzens. Verstehen Sie das?
[4] (Keine Blasmephie, da ich »diesen« Bogen beschreibe
Auch hielt ich im eiskalten Zimmer den Winter aus. Der Sommer nun schön hier im zweifenstrigen Raum. Sie will nur noch mehr wie 5 Pfund per Monat für mein halbmöbliertes Zimmer. Couch, etc doch geliehen von Schockens. Ich bezahlte jedes Glas Thee. extra.
Apoll, ich bin zu ruiniert Eure Lippen zu küssen (auch) im Gedanken nie) darum Eure süße Hand.
Euer armer Jussuf.
[5] Ich danke Euch für Euer Buch und für das prachtvolle Gedicht.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Auf der 2. Seite quer (gestr.): »Warten bitte | In 3 Minuten bin ich wieder hier!« Die 3. Seite auf der Rückseite einer durchgestrichenen Einladung für Solomon Rosowsky zum Kraal-Abend am 11. Mai 1943, die 4. Seite auf der Rückseite einer gedruckten Einladung zur Feier des 70. Geburtstags von Leo Baeck am 15. Mai 1943 in der Synagoge »Emet we’Emuna« (»Wahrheit und Glaube«). D: KA, Bd. 11, S. 237 f.
[113] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, vielleicht 2. Maihälfte 1943
Gestern war ich Cinema mit Krakauers. [Stadt mit Vollmond]
Adon.
Ich kenne Grandi – unter uns – im Tessin war er. Unerhört Aussehn – schräge Augen – Ich mußt ihm oft Gedichte sagen – er versteht sie ich meine deutsch nicht, aber den Klang. Auch bitte (entre nous) die Margueritta – Sarfatty oder Fassatty (momentan Name entfallen) sie correspondierte mit mir. »Er« wollte es. Liebe jüd. Italienerin. Sie mochte »ihn« gern. Wollen Sie jetzt Ihre verehrte Mama befreien, – ich meine, daß sie zu Ihnen kann? Ich habe nie mit anderen Menschen darüber gesprochen etc. etc. So ungentle bin ich nicht, auch nicht geworden unter der niederen Lauheit der meisten Einwohner. Gestern war Werner hier. Ich weiß schon!, ein lieber feiner Mensch – aber immer macht er mir Vorhaltungen. Dabei gar keine Ursache. Er liebt mich, ich mein er hat mich gern und siebt mich. und möcht mir immer einen Tritt geben. Er liebt meine Verse und zerpflückt sie. Gestern aß ich 3 × zu Mittag. quick lunch. Hah!!! Ich trink nicht ein Glas Bier dazu und bin froh, daß ich nicht mehr in Flammen!! Nicht wert alle zusammen! Könnt ich nur fort! [Kopf en face] Ich!
Hab herrliche Bilder gemalen. Behalte ich selbst! Konnte man mich nicht mal zur Revanche zum dinner, (aber ordentlich noble.) einladen?
Du kannst nach Haus –
Ich baute dir dein Heim
Aus warmen Wort in meinem Reim.
Ich aber liege zwischen Stern und Stein – Ernest.
Mein Blut fließt hin –
Dunkler Wein
Durch die Gassen ....
Es reicht mir manchmal,
Ernest, eine hohle Hand
Mitleidsvoll wie in pochenden Tassen
Einen Trank, Ernest.
Wenn blütenhaft von deinem Holdgesang
Mein Auge ihn betrachtet lang und bang.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 242 f.
[114] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 14. Juni 1943
14. Juni 43
Adon. Inl. die Einladung.
Ich danke Ihnen für den mich (mein Stück) lobenden Brief an Dr. Grosshut. Er schrieb mir, er habe sich so gefreut.
Ich schreib nun wieder die vielen Einladungen. Aber dann 2 Monate Ferien. Ich lade dann ein zu erzählen Dr. Lehmann und Adon Strauss von Bet Schemen. Ich bewundere ihre liebe Arbeit oder wie mans nennt. Schon in Zürich. Dann: Dr. Grosshut und noch Jemand – Dann – erzählen Sie noch einmal, Adon? Ich kanns, ich mein, der Kraal – zum dritten Mal nicht verlangen? Oder doch?
Ich soll sehr bald vor 10–15 Zuhörern mein Schauspiel lesen – Kommen Sie, oder zum II. × zu viel? Wo ich selbst nichts lese. Versteh ichs. Ich bin wirklich wenig eitel und will auch nichts. Bitte glaubt das vom Prinzen Jussuf? Ich bin nur müde! Wenn ich wieder fort bin, – noch mal ein Hundeleben. Fast undenkbar!
Gestern sah ich im Cinema: Orah? (neben Arbeiterküche) Beginn 7 Uhr Platz 40 Millim (vor der Bühne) Stalin, Churchill, und Mollotov und russ. Botschafter. Direkt unerhört interessant.
Und die Soldaten wie Eisen.
Diese geschlachteten Menschen alle!!
Ich kann die Welt nicht fassen.
– Mein Buch leidet an der Unzuverlässigkeit Dr. Spitzers. Nie kriegt man Antwort. Gewiß viele Fehler in der oder trotz der Correktur.
Aber nun (bitte noch nicht wiedersagen, ich meine falls wichtig?) kommt Schauspiel bald wie ich schon schrieb durch Adon M. heraus. Ich hab noch eins gemacht, aber zeig es nie, da mir zu schade. Versteht Ihr das?
Der vernichtete Prinz Jussuf
Ich trage wieder meine Soldatenmütze.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 246 f.
[115] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 22. Juni 1943
22. Juni. 43.
Adon!
Der Prinz von Theben lässt Ihnen sagen durch seine Schreibmaschine, die keinen Eid geschworen, und wenn auch – nicht orthodox in besonderen Fällen und Unfällen sich verpflichtet fühlen würde ein Wort zu halten, lässt Ihnen sagen, er habe eben in der Zeitung gelesen, dass die Menschen in Rom im Begriff zu fliehen aus der Stadt fürchtend die event. Kämpfe. Nun lässt der Prinz von Theben Ihnen sagen, er kann vielleicht Ihre Mama nach hier retten. Er kennt hier die grosse italien. Persönlichkeit – und er und der Prinz ehrten sich. Ausserdem durch allerlei Handschreiben den Papst, der dem Prinzen innigsten Segen sandte. Der Prinz fühlt keine besondere Liebe mehr zu Ihnen, aber ehrt Sie. Und dankt Ihnen auch für Ihren feinen Brief an Grosshuts und etc. Der Prinz wird vermutlichst Sonntag vor etwa zehn geladenen Gästen in Haifa sein Stück vorlesen – – – – umsonst Es würde ihm unbedingt eine grossartige Freude sein ganz discret Ihre Mama die ihm mal im Theater begegnete neben ihm sass zu befreien ganz vorsichtig und unter uns selbstredend Der Prinz spuckt auf die Anerkennung seiner netten Thaten, Nur bitte vorsichtig beraten dass alles ohne Gefahr erledigt wird. Vielleicht beraten Sie Mit unserm frischten grossen Gewächs: Dr. Wilhelm. Der mir dann über Ihr gespräch Bericht giebt Oder Morderchei? Bornstein mit dem prachtvollen Maler.? Oder? mit wem? Es gelingt mir!!!
Auch der Duce – mir gut! Bitte alles entre nous. Die Welt ein Klatschmaul und gefährlich was Verläumdung anbetrifft.
Die Schreibmaschine. Sekräterin vom Pr. J.
Der D. M. hat mich versorgt ½ Jahr in Zürich wegen meiner Gedichte. Wir schrieben uns wie Gymnasiasten. Ich bat ihn hier – ¼ Jahr wohnend im Brief wegen der Juden.
Bitte keine Verdächtigungen also erlauben,! Adon!
Wenn Sie wollen? Bitte genauen Namen und Adresse von Ihrer Mama? Geben Sie Jemandem, dem Sie vertrauen.
Überings der Papst läßt sie holen im sicheren (nach Menschenrechnung) Vatican oder nach Locarno (ital. Schweiz.)
Was sagte: Gerson [Stern]?
Anmerkungen
T (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 252 f.
[116] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 7. Juli 1943
7. Juli 43
Verehrtester.
Oder schreiben Leute an Ernst Simon: Geschätzter? Ich würde nie solch Anrede acceptieren. Wenn Jemand z. B. zu mir sagte: »E. S. schätzt Sie« – so krieg ich Masern. Nun etwas anders: Bitte glauben Sie nie, ich rede von selbst über Sie. Aber es kommen so zufällige Fragen oder Reden und da blamiere ich mich »ehrlich«, wie es kleinen Geschöpfen so recht ist und Blamage beurteilen. Aber der oder die »Liebende« ist stets wie eine Pflanze schuldlos und hat nur eine Eigenschaft,: sie wächst im Garten unter Blumen. Der Mensch zertritt sie oft und weiß es nicht. Dear Adon Apoll, nun noch was anderes: Haben Sie einen unerhörten Brief an mich veranlaßt, der mir große Freude bringen will? Bitte unter uns!! Wenn wir uns wie Freunde kennen würden, Ihnen würde ich ihn zeigen. Bitte unter uns – denn es wird verlangt von zwei herrlichen Menschen, die ich kaum kenne. Ich war gestern darum so artig zu allen Passanten, Bekannten, Hergerannten u. s. w. und hell wars noch am Abend spät, ich tanzte im Seidenhosenkleid zu Couch zu Bett. –
Nun noch was! Ich lese mein Schauspiel: Ich und Ich am Sonntag: 11. Juli bei Gross[Hut]s in Haifa. Bitte kommt hin, falls Ihr in Haifa am Tage zu meiner Höllensage. Applaudiert ungeniert. Ich kauf einen Kellner, der muß ohnmächtig werden zu einer erregenden Stelle. Theater muß sein!
Jetzt noch was: Nächste Ende Woche geb ich Kindervisitte mit Verlosung. Cacao mit herrlichem Jam gestrichnen Brot. Nachher: Gewaschenes Obst und Bonbons und Caces und mit wirklicher Butter geschmierte Schnitten mit leichtem Käse, etc Belag mit bestem von Quick Lunch. (und Tassas zu trinken.) Ihre Gewereth soll selbst Ihr little child abholen, selbst sehen wie gut und froh little Child aussieht. Ich lade ein: Paulinchen Berger (6 Jahre alt) aus dem Struwelpeter, Olek ein 6jähr. Jungen, zu stillen nur durch Bonbons und noch 2 kleine Mädchen. Ich freue mich darauf!
Wir spielen: Blinde Kuh – Häschen in der Grube – Verlosung – »Tanz«ball – Wer die beste Fratze schneidet – Wer am lautesten schreien kann? – Dann Abendbrot. Kein Kind wird sich den Magen verderben.
Werner darf nicht kommen – da er alles aufißt und – Gedichte aufsagt. Sie dürfen auch nicht kommen, da Sie die Bonbons auflecken – und erziehen.
Aufrichtige Grüße von Kopf bis Füße’, Petersiliengemüse.
»Der Mai ist gekommen« – singen wir in jeder Langue. Ich hab immer Angst, heut ist mir nicht bang.
[Kopf im Halbprofil mit Blume im Haar]
Mein Stück: IchundIch »jetzt« wunderbar!!
Buch: Das Blaue Klavier sehr bald da.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 259 f.
[117] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 9. Juli 1943
9. Juli 43
Verehrter Adon.
Ich sende Ihnen, da Sie gewiß nicht gesehn in der Schnelligkeit, daß die eine Seite des Bogens an mich beschrieben war. Gewiß: Hebrit. Ich kann nicht hebrit lesen. Und ließ mir auch nicht vorlesen. Das wäre ja indiscret. (Auch interessieren mich nur Briefe an mich, offen gestanden!
– Nun bin ich ganz Ihrer Meinung, man darf gar nichts momentan tun (wie die Dinge liegen. Gar nicht erinnern, auch Post nicht, daß Ihre verehrte Mama in der Stadt. Die Italiener sind im Grunde sehr reizend und haben Herz. Sie können ruhig sein. Später eine Kleinigkeit, Ihre verehrte Mama nach Jerusalem kommen zu lassen, da ich beste Wege weiß. Ich hab auch so Sorgen wegen liebe Menschen in Europa.
Ich bin betrübt, Sie sind krank, Adon. So ungefährlich Ischias, so weh soll Ichias tun. Früher ließ man Igel an der Stelle Blut saugen. Ich sah mal zu als Kind – es sah widerlich aus – und hilft nichts. Manchmal zwar der Skok des Ischiaten. Ich würde mich auch nicht derb massieren lassen an der Schulter oder Oberarm, da – meist ein Nerv entzündet – meinen die Doktoren. Aber meist handelt es sich um hastiges Atmen, Lufteinschlucken, die sich im Blut festsetzt. So lernte ich und es ist so! Bitte lassen Sie Sich ruhige Atemgymnastik zeigen »liegend«: So: Ruhig Luft einatmen mit dem Leibe durch die Kehle – (zuerst 10 Sekunden! dann vorher, bevor Sie ausatmen, mit dem Atmen durch die Seiten Rippen (stets) die Seiten aufblasen (auch 7–10 Sekunden. Dann alles ruhig ausatmen. Zuerst 5 × hintereinander, dann später 10 ×. Ich kann seitdem Berge steigen. Zu Hause mußten wir schon immer atmen – methodisch! Nun noch was: (Nahm ich auch nicht die Professur so weiß ich »gerade« wieviel Uhr: Ein ausgewringeltes groß Taschentuch in – Petroleum – also nur feucht, auf die Schulter oder Arm legen) (nicht aufs Herz legen) so 5 Minuten. Damit Ihre Haut (event.) nicht angegriffen wird – danach mit Borlanolin einreiben. Petroleum: ausgezeichnet – (Sie brauchen ja bei der Prozedur nicht rauchen oder eine Lampe mit Docht stehen haben! Viel schlafen! Mineralwasser trinken mit Himbeersaft.
Dürfen auch stündlich ein Bonbon essen.
Sie haben vielleicht nicht ganz frisches Fleisch gegessen irgendwo in Haifa.
Nun tut mir leid, daß Sie Sich der (Eier wegen) nicht später erholen können.
Hätte ich das Riesengroße Erbe schon – (bitte unter uns) die Menschen auf dem Mond sollen mich wegen meiner lieben) denke Sie 7 Millionen und fünf × 100 (fünfhundert Dollars vom Onkel in Südamerika) so würde ich Ihnen genug senden 1. für Reise und Bonbons.
Ich war immer seine Lieblingsnichte. Wenn er kam, rief er immer, wo ist mein kleiner wilder Bengel? Unser Haus hat ihm immer früher die Schulden bezahlt. Ihr Doktor.
[Kopf im Profil mit Blume auf der Wange] bei Färberow. aß früh schon miserable Speise. nach jetziger Weise
Großartige Sache passiert: Ich brauch nicht mehr hungern noch darben.
Sonntag sprech ich in Haifa 2 × in Häusern.
Nur Dr. Wilhelm weiß von Amerika. (unter Eid!)
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 261 f.
[118] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag oder Freitag, 15. oder 16. Juli 1943
Lieber Adon.
Ich bin wieder aus Haifa hier. Ich hielt zwei Vorträge, den einen bei Dr. Grosshuts, den anderen bei Anni Moller. Großartig wars dort – alle brannten in Flammen! Ich bin seitdem wieder größenwahnsinnig und wieder unglücklich auf Pistohlen in mich – verliebt. Wenigstens amusant. Ich hab unten mit »meinem« Blut (vom Daumen gezapft) einen Abendhimmel gemalen, wie ich ihn mal als idiotisches Kind in Mexico gesehn – zwei Sterne gingen auf und ich sagte zum Onkel: »Der eine Stern bist du, der andere bin ich.« [rechts unten auf der Seite Daumenabdruck mit Blut, daneben mit Blei zwei Sterne] Nun brach unter uns bei Grosshuts irgendweise, leise Stimmung auf – dreimal (Ehrenwörtlich) schuldlos. Die Frau, bitte unter uns, – eine feminine Amorin vom Brunnen des Parkes, schleicht einem immer schneckengleich leise (ins Ohr) hinterläßt schleimige Spur wie die Schnecke auf Wald und Flur. Sie verdächtigt gerne einen Jeden heimlich einer schlechten Tat, naher reicht sie dem Schwerverbrecher oder Schwerverbrecherin noch vorkriegssüße Chokolad. (Schad!) Der Doktor Gr. ist rein und gut zu Menschen und auch liebt die Sinanette.
Ich aber ging mit Überklugheit nachts zu Bette,
Und dachte nach wie werde immer klüger ich? –
Fragt Adon Patin, der am besten kennen lernte mich.
Ich mußte vor dem Vortrag II. erst atmen grüne Luft
Im Walde Carmel oben in der Höh,
Dann aß ich bei ihm selbst von ihm gekocht am See
Naturgemüse noch voll Charme und Duft,
Dann mußt ich schlafen eine Stunde –
Heimlich Ernst Simon zwischen Lipp und Munde.
Ja und bin ich auch nur eine Créatur –
Auch meine Uhr geht nach immerzur im Azur.
Würdet Ihr bald – noch nicht! Einen Brief für mich: myselver schreiben,???
Natürlich nur um sich die Zeit der Zeiten zu vertreiben?
An? – Ja?
Ja oder nein?
Und noch was, Sir! Bitte schreibt paar Worte an Dr. Grosshut: Herzlstreete 32 Haifa: Daß Sie krank gewesen. und erst heute ihm antworten.
Zwei russ. Lehrerinnen reizende, erziehen mich jetzt oft.
Adon Patin sagt, ich brauch nicht erzogen werden!
Ich las genau die Zeitung heute: Araber und Juden müssen gütig vereint werden.
(Ich seh nie Doktor Wilhelm.
Kommt mein Buch bald?
Ich hab nun Geld für – Bonbons.
Bei allen Dingen glaubt Amorin, ich bin schuld.
Dabei knutschte sie mein Hammelfleisch an allen Ecken,
ja ich mußte mich direkt verstecken.
Ihr sprecht Hebrit in Euren Reden, ich käme doch zu jeder jeden.
Aber ich glaub Sie sprechen nur hebrit, da käm ich nit?? Ich fragte »Menschen« in Haifa
Dr. Grosshut, »Adon Weiskopf« und Töchterlein
Adon Patin, Adon Moller Gew. Anni Moller. u. Töchterlein
Firma Gerson (Stern).
Der sagte: nein.
Ein gutes Kind.
Ich bin es müde über Sklaven zu herrschen! Wer sagte das?
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 264–266.
[119] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 1. August 1943
1. Aug. 43
Bitte verzeiht Papier zerknautschtes!!
Adon!
Nun wieder Sonntag – Dr. Spitzer versprach, daß heute oder morgen mein neues 28. Buch kommt. Tatsächlich eine Spätgeburt, selbst für die – Hadassah.
Die Buchdrucker zu überlastet, – glaubt Dr. Sp. – ich hätte noch 2 Jahre warten können, aber ich kann nur, in der Hand und an der Hand des neuen Buchs noch einmal wichtig Jemand heimsuchen!
Dr. Wilhelm unser frisch Synagogengewächs weiß – wen ich meine. – Verehrter Adon, Ihren Freundschaftsvorschlag? nehme ich und meine Regierung gerne an. Vor vier Wochen noch, wäre es mir schwer geworden, denn man kann Liebe nicht »selbst« für die Indianermünze der Freundschaft umwechseln. heute kann ich es, da das letzte Immortellenblatt der Blume zu Boden fiel. Ich kann es selbst nicht begreifen. Vielleicht doch – dichterisch. Liebe hat keinen Raum, keine Zeit – keine – Gesetze, kein Versprechen –
– Ich spreche nun von meinem Buch – gern würde ich für meinen neuen Freund eins der blauen Klaviere kaufen, aber ich kann heute nur versprechen, das halbe Pfund in 2–3 Mon. wiederzugeben. Dr. Spitzer soll Ihnen ein Buch ruhig »so« mitgeben!
Meine Prüfung war die, aus reichstem Haus, aus feinstem Blut, saß ich später in Spelunken, Kneipen unter Ärmsten. Auch unter Verkommensten und – wurde, wie vor paar Tagen Jemand behauptete, – reicher und vornehmer und – wilder; viele sitzen ihr Leben in gepolsterten seidenen Räumen und werden arm und ärmer und »lauer« und predigen – vorbildlich – – vorsyndflutlich – und gingen doch im Über-Fluß der Bequemlichkeit unter!
Ich schreibe das, da Sie ungeprüft an meine Freundschaft glauben sollen und dürfen! – Ich bin etwas wohler, meine Seele ruhiger. Ich kann nun auch an viele Bekannte, freundschaftliche Menschen denken und stehe nicht mehr harrend vor »einer« Thür – um – ein liebreichend Wort zu – betteln. So erniedrigend im Auge der Bürger, doch so auserwählt »dennoch«. Euer
Freund Jussuf.
Uriel sprach direkt einzig herrlich.
Ich bitte Gewereth von mir zu grüßen!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 269 f.
[120] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, vermutlich Sonntag, 1. August 1943
3 Stunden später
Konnten mich nicht Krafts in ihrem Wäldchen mal zur Erbsensuppe mit magaringerösteten Brotwürfeln einladen?
Oder die Familien hier zur Linsensuppe? Ich bin empört! Das nennen Sie schüchtern?! Bei mir essen sie alle, gucken schon überall herum, ob doch noch was liegt! Bei Spitzers kommt wöchentlich ein Kind zur Welt, gerad wenn ich komm mein Manuscript wieder abholen. Er ist dann nicht da gerade. So vergeht mein Tag, nachts erfriere ich, denn meine Decken sind aus schlechternährter Wolle und dünn.
Aber ich krieg bald mehr Löhnung – weil ich nicht arbeite.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 271.
[121] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 13. August 1943
Adon Dr.
Ernst Simon
Rehavia-Jerusalem
Maimonstreet: 35.
13. August 43
Es giebt wohl niemand in Jerusalem und Gegend,
Nicht mal ein Tier, das sich bewegend,
Nicht mal ein einziger Hahn, der Eier legend,
Der mir nicht schrieb: »O dein Klavier!!«
O, mein Klavier in blauer Cocuré
Im Fensterschau der Atmosphairé –
Es spielt von früh bis spät und lockt die Kunden.
Ich grüße Euch verbindlichst und verbunden.
Anmerkungen
H (Postkarte): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Poststempel: Jerusalem, 13. 8. 43. D: KA, Bd. 11, S. 275.
[122] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 29. August 1943
29. August 43
Verehrtester Adon
Ich hab Sie erst spät erkannt, Adon, »glaubte« der Adon grüße eine Frau in meinen Reihen. Nachher sah ich Sie recht. – (die Mütze muß näher der Stirn sitzen.) Da sehen Sie was Erziehen nützt,? – wie hab ich meine Augen behütet etc. seh doch nun so undeutlich. Auch noch schwerer am Abend bei der trüben, betrübten Birne über mein Zimmer. Die Frau läßt nix machen. Eben war der Werner da, betrübt bis Übermaß. Ich lud ihn ein Cinema – herrlich englisch Stück, enorme Regie – unerklärlich gespielt: Old England. Er sei nicht in Stimmung. Da brauch man doch nicht in Stimmung sein; Situationen wechseln doch auch auf den Streets draußen etc. Sie müssen ihm Vorwürfe machen!! Sie sind sein Schwarm. Ich pass nicht hier unter der Bevölkerung. Sie brauchen mir auch nicht schreiben wie schön mein Buch. Einen richtigen Menschen hält nix ab bei so ein Buch noch dazu: an ihn – – Etwas Backfischhaft. Ich hatte so schnell keine Zeit. Ich hätte 5 Min. lieber geschrieben (draußen stehend) »An –« Ich bin wieder frei – wissend auch: Ein Paradies, kaum gesäet, wurde niedergetrampelt. Eine göttliche Verschwendung. –
»Guck ich hinein ins Spiegelglas
So weiß ich wie das kommt – all das.«
Ich geh jetzt quick lunch –
da trink ich ein Glas Bier zum Mahle
Auch manchmal zwei der Hopfentränke.
In aller Achtung Euch gedenke
Prinz Jussuf
quick lunch:
Aß 2 × Grüne Bohnen und Kartoffel. Gekocht wie am Rhein und Frikadelle und Mitz.
Die Bürger die Schweine erinnern gerne an Früh und Spätgeburt. Sie seien fehlerlos, ich – sündig und absurd.
Werner Kr. meinte – unausgesprochen: Ich sei ein Jubelgreis. Er: 50 Jahre mit der Fanfare.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 278 f.
[123] Ernst Simon an Else Lasker-Schüler
Jerusalem, Montag, 30. August 1943
30/VIII/43
Meine liebe und verehrte Frau Else Lasker-Schüler!
Nun endlich las ich Ihr Buch (am ersten halbfreien Tag nach furchtbar anstrengender Arbeit, für die ich Sie um Entschuldigung bitte, ernsthaft!) – und bin tief erschüttert und hoch begeistert. Es ist, vor allem Einzelnen, Leuchtend-Schönen, das ich ja zum großen Teil schon kennen lernen durfte, nun vor allem das Ganze: die Melodie des Herzeleids, ganz einfach wie im Volkslied, und doch ganz reich instrumentiert, mit allen Farben Himmels und der Erde und allen Tönen von Tier und Mensch: das Leid des reichen Menschen, der in ihm scheinbar verarmt, aber, es sagend, die Mitmenschen seiner und aller Zeiten reich beschenkt. Mein eigener Empfangsanteil daran ist ja größer als der anderer, und das beglückt und beschämt mich zugleich, doch ist das Glück größer als die Scham. Besser schamlos als glücklos – werden Sie weiterreimen; aber Sie wissen, so ist es nicht bei uns, aber viel Glück und ein wenig Scham – das ist die rechte Mischung, wenn man sie fertig bringt: Gott lobt sie, und der Teufel kneift den Schwanz ein und macht sich aus dem Staube.
Ich habe heute zu Dr. Spitzer gesagt, daß er zwar sehr recht hatte, »an E. S« und so weiter zu streichen – doch danke ich Ihnen aus innigem Herzen für die Absicht! – Daß es aber immer mein größter Ruhm sein wird, was ich auch noch leisten sollte, Ihnen unschuldiger und wertloser Anlaß zu einigen Ihrer allerherrlichsten Gedichte gewesen zu sein. Wie glücklich wäre ich, wenn der Leidenspreis, mit dem Sie vollgültig bezahlt haben, geringer hätte sein können, aber ich durfte ihn ja nicht verringern!
Manches Einzelne kannte ich ja noch nicht. Wie herrlich ist »Die Dämmerung naht« – das Bild der Dichterin, das im Waldbach erzittert; wer könnte es vergessen, der es je in sich aufnahm! Wie werden die Gestalten Ihrer ewigen Gegenwart: Ihre selige Mutter, Ihr armer Junge, Ihre Zukunftsliebe und Wehmut zu einem großen Dreiklang, daß man sie auch dann zusammen hörte, wenn nur einer von den 3 Tönen ausdrücklich angeschlagen wird; die andern klingen immer mit, gerade im Zusammenhang des ganzen Buchs, das die manchmal fast zu explosive Poesiekraft des einzelnen Gedichts an die anderen bindet und mit ihnen zur vollen Harmonie ausgleicht. Alle Tasten des Blauen Klaviers schwingen nun auf einmal in ihren Saiten, in Ihren Händen, und die Melodie ist so groß wie süß.
So darf ich Ihnen danken für das Buch und Ihre Hände küssen.
In Verehrung und Treue
Ihr ErnstSimon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501 05 143). D: KA, Bd. 11, S. 664 f.
[124] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 1. September 1943
1. Sept. 43.
(In aller Eile.)
(Wie soll ich schreiben? –!)
Dearest Adon, Wie ich gestern im Palestine Orch. Konzert saß, neben mir der liebe Gershon Stern, hinter mir Alice und Erwin, saß ich »doch« neben dem Verklärten. Ich fühlte: er schrieb und ich bildete mir ein, er wende meine Hände um und küßte sie. Ja er ging über ihre Linien in eine Oase, da er die »Welt« liebt. Nicht den einzelnen Menschen. Es wäre gewiß auch anders eine Unnatur seines Herzens. Man liebt ja auch, – oder ich liebe ja auch den blauen Himmel, das ganz große Immortellenbeet, den Sonnenstern und dachte nie darüber nach, ob alle die goldenen Dinge mich überhaupt sehen. Und lege mich doch oft zu ihren goldenen Füßen hin: Ich kann heute nicht mehr sagen, als das ich mit meinem Blut verschließe Ihren lieben Brief und ihn ein Heiligtum bewahre, da er ein Engel ist Ihr Brief. Es geht mir gut.
Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 279 f.
[125] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 8. Oktober 1943
Ich glaub: Der 8. Okt. 43
Verehrtester Ernst Simon.
Dieser letzte Brief so weit ichs übersehen kann.
Ich fürchte Sie haben meine wirkliche Liebe nicht richtig erkannt – und meine Schwärmerei für Sie soll nicht mit einem ? enden oder zu Ende sein. Sie schrieben nämlich – Sie haben meine Pein nicht lindern können. (So nach dem Sinn wenigstens schrieben Sie.) Wie meinten Sie das – vielleicht, daß Sie mir mit Brot und einem Loth Café nicht geholfen oder mit Moneten und Pfundscheinen? Das wäre ja zum Weinen! Aber zum seufzen – meinten Sie sexuell auf Matrazze oder auf ein Fell? Ich liebte Sie wie mancheiner die Mondsichel oder die Sterne liebt. Ich bebte erfaßte Jemand Ihre Hand, (sie könne brechen oder erröten. Ich liebte selbst den Fehler, (käme einer in Betracht) den kleinen oder großen Schatten, den einer Ihrer Eigenschaften verdunkle etwa. Ich bin eine Dichterin, aber nicht poetisch, ich zaubere mit Worten vielleicht, aber hexe nicht, was unter Menschen in Betracht gekommen. Zaubern ist: Verklären, hexen heißt höllisch verwandeln den zweiten. Ich bin verarmt (momentan wenn auch) aber reich. Der Reiche ist meist arm. Aber nicht immer. Ich habe mich nach Ihren äußeren Angelegenheiten nie erkundigt, noch daran je gedacht.
Zwar erzählte Jemand? mal von Ihrem Leben. Ich habe seit Monaten liebe Freunde mit ihren Frauen. Ich fürchte nur, Sie sind mit Schuld an den mir gesandten prachtvollen warmen Wintermantel, etwa vor 10 Tagen: Was mich geradezu schmerzte. Man hat ihn so liebreich gesandt: Ein Kreis Freunde und Verehrer! Ich mußte ihn behalten der Treue und Freundschaft wegen. Und aus dem Gegensatz meines furchtbar traurigen Daseins hier im »Heiligen Lande«. Ich bin nicht Jude der Juden wegen – aber Gottes wegen wechsele ich auch die äußerste Haut nicht. Ich esse nicht koscher, da ich mir nichts vorheucheln will denn ich sündige ohne mildernde Umstände. Ich meine meine Sünde Flügel anzuheften. Den Ochsen oder die Kuh, das Schaf etc. den Hahn zu töten passiert, oder: mit einem Heiligenschein (also geschminkt die Taube in die Pfanne zu legen) eine Feigheit. Ich sündige also mit Bewußtsein und weiß doch jede übertriebene Vorsicht der Indier, die unter dem Schleier atmen ist übertriebene Vorsicht. Bitte, ich will keine Predigt halten, bin viel zu stürmisch. Ich weiß, daß ich viel viel Schlechtes tue, aber ich tus mit Bewußtsein. Auch – ans Ziel gelangt eine Sonne daraus entsteht. Wo befindet sich nun die Liebe, die ich in meinen Herzen, in meinen Händen trug für Sie? Sie ist fortgeflogen, ein goldener Vogel, der verstummte, der verhungerte, verdurstete. In welch’ Herz wohnt er nun singt er? Beseeligt?
Ich machte eine Hölle hier im Hause durch, aber wenn es in mir plötzlich sang, lachte ich wieder.
Wie gerne hätte ich Dr. Ernst Simon gebeten, mal mit den Leuten zu sprechen wo ich wohne. Nur vor Dr. Simon, dem ehem. Direktor der netten Mirra, dem Töchterchen der Schule in Bet Akerem hat die Mutter Respekt. Immer übernachtete ich Nächte auf der Straße oft, bevor ich hier einzog – aber nun keine Kraft mehr, feige geworden und erschöpft, ließ ich alles über mich geschehen. Schläge, mit Besen Hiebe – total schuldlos. Jede 4 oder 5 Wochen wie eine Rasende, ging sie über mich los. – Zuvor mußte Mirra sich nachts hauen lassen, beschimpfen, verprügeln etc und etc alles über sich dulden – vor Neid. Sehen Sie, selbst da rief ich Sie nicht! Auch Sie hätten mir nicht geglaubt, gemeint ich wollt Sie zum Rendezvous etwa bestellen.
Es überfällt höchständig Prinz Jussuf, (vom Fürsten zu Wied und Pauline einst gekrönten Prinz von Oranien) nur vor Türen, daß sich Adon E. S. äußern konnte, rügen. Ich ziehe am 1. Nov. hier fort. Vielleicht glückt was Ruhigeres ein kleines Oasenzimmer wie in Berlin. Meine bloßgelegten Knochen zeugen für die Wahrheit meiner Zeilen, und seid mir nicht böse, da ich Sie in mein zerrissen Herz sehen ließ anstatt es in Seide zu zeigen, geblümte Seide wie die vielen Frauen, die sich um Sie schaaren. Es freut mich ja – man soll Sie lieben und verehren. Ich freue mich, Sie wünschen mir kein Glück heute Abend im Vorbeigehn oder morgen in der Synagoge. Ich bin nicht mehr liebestraurig!
Haben Sie die 2 Gedichte bekommen vor etwa 14? Tagen. Ein paar Fehler waren darin.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 288–290.
[126] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, kurz nach dem 8. Oktober 1943
In aller Eile, Adon.
Adon.
Ich danke für Ihr Sprechen mit der Frau W. Heute kam ich (eben) wieder in mein Zimmer. Alles ruhig gewesen, mehr verlangte und verlange ich ja nicht. Ich bin ja so traurig! Ich habe nie im Leben so ein hartes Leben und solche Jahre durchgemacht. (durch Verleumdung.) Ganz unverschuldet! Ich sagte oft zu der Gew. Weidenf ich würde ja schon getröstet sein, bitte sie mir zu sagen, was ich getan? Sie sagte: Nichts, aber heraus!! Am Abend der Roheit vorher, fragte sie mich noch um einen Rat wegen der Tochter. Alles war gut. Ich mochte die hübsche frische Mirra gern. Und war stets besorgt, denn sie schlug fast jede Nacht die Mirra und die jammerte noch am Morgen. Sie sagte mir (die Mutter) die Mirra trieb sich mit Männern herum, habe ihr gesagt, sie hätte das nötig! (Sie, die Mirra sei die größte Comödiantin. Und ich wollte immer, daß Mirra die Mutter doch liebt als einzigen Halt. Aber gesprochen habe ich im Grunde fast nie. Mit den anderen konnte und wollte ich nicht sprechen, Polen, aber sie glaubt, ich habe Schuld am Wegziehn der Leute. Sie können ja Dr. Majewsky fragen, der eine kleine Wohnung fand – vis à vis im Blockhaus, am Consulat beschäftigt. Die Frau W. wollte ihm ohne mein Wissen, ich verkauf ja meine Maschine nicht, meine Maschine verkaufen. Denken Sie: Aber ich kann nun nicht mehr. Ich bin ja ruhig, froh wenn alles ruhig. Ich glaube Ihr Kommen hat genügt! Danke sehr, Herr Doktor. Der Krieg bald aus, geh denn sofort fort wieder
Ihr Prinz Jussuf.
Das Gedicht habe ich zerrissen, ich will nicht mehr.
Die Liebe der Traum der Dichtung. Ich träume nicht mehr! Verspreche es!!
Ich wollte ja nichts Böses! (Ich weine)
Ihr Prinz
Ihr Brief war früh heute da! Dank!! Ich denk oft an die armen Kinder
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 291 f.
[127] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag oder Montag, 24. oder 25. Oktober 1943
24. oder 25. Okt. 43
Verehrtester Adon Doktor.
Ich bitte Sie mir jedes Wort, das ich hier niederschreibe zu glauben. Ich habe so unerhört entsetzlich durchgemacht, hier im Hause oben I. Etage bei der Weidenfeld am schrecklichsten. Fragen Sie Werner, er muß es fühlen, er ist Ihnen treu und gut und sagt die Wahrheit! Ich will zuerst bekennen, daß ich überhaupt keine Liebe mehr kenne noch fühlen kann, es gehört dazu doch noch eine unversehrte Schale, die längst in mir gebrochen und lächerlich rinnt. Ich habe stets zu den Leuten, die so was merkten bei mir, war die Rede von Ihnen, betont, daß Sie mich leider nicht wiederlieben, überhaupt nie reagierten. Hätten auch mit dem Aufbau Jerusalems zu tun und Sie Ihre Frau sehr zu lieben scheinen. – Ich schalte ein – daß ich Ihre Gewereth erst vor paar Tagen sah an der Omnibushaltestelle. Ich kenne Züge des Gesichts; – sie war mir sympatisch. Ohne falsche Literatur und dergleichen. Aber treu und gut und irgend hilflos – (das liebe ich so.) Sie sagte leise sogar zur Chanâh, »Sag schalom« – wie ich ausstieg. Mich wundert sogar, daß sie mir nicht eins hinter die? oder den Ohren gegeben hat.
Adon Dr. Simon, Sie könnten mich in einer schrecklichen Sache retten mit paar harten strengen Worten hier an die Gewereth wenn Mirra ihre 16jähr. Tochter dabei ist am Abend. Nicht einen Tag, daß ich der Mirra nicht Bonbons mitbrachte! Ich habe 4 ¼ Jahr hier ertragen, ich muß, da kein Zimmer zu kriegen ist, (noch aus anderen wichtigen Gründen hier wohnen bleiben. Ich werde abends ohnmächtig (so oft) vor Traurigkeit, wie gestern noch. Adon Sam Wassermann, der mich gestern Abend plötzlich wieder besuchte, kann erzählen, daß ich mich noch lange danach auf nichts besinnen konnte; ich fiel später so hin im Zimmer, daß meine Stirne geschwollen. Nun kenne ich endlich einige nette Leute hier in der Nähe, ich kann ab und zu hin und unterbreche die Einsamkeit und die Trübsal. Es lag etwas in meiner Familie: Sie kannten vielleicht einige Cousinen von mir: Therese Salomon-Schüler Tiergartenstr. 19, nahm sich das Leben, nachdem ihre Töchter beide gestorben und ihr Sohn sich aus dem Fenster warf. Dr. Paul Schüler, der oft im Berliner Tageblatt schrieb, etc. Berta Döppler-Schüler, die Frau vom Maler Prof. Döppler. etc. Ich bin zu feige. Das Leben ließ mich noch nicht los, führt mich am Gängelband. Bitte unter uns. Auch war mein Vater: Der Arthur Aronymus aus Westfahlen, später der Tyll Eulenspiegel im Wuppertal Für ein Bonbon leb ich weiter. Aber, ich möcht ruhig leben. Ich mache schon alles! Da auch noch nicht einmal die Mirra mir aufwischt. Die Eimer, schwer an Gewicht, schütt ich über die Läuseköppe der Frau Weidenfeld im Gedanken noch – selbst morgens aus. Ich ess darum über meine Verhältnisse cynisch 2 × oft dinner oder supper. Dr. Kraft weiß das. Die Mirra sagte mal Sie seien Direktor in Beth Akerem gewesen – ihr Direktor. Lügen Sie für mein blaues Klavier – (ich werde nicht im Haus sein, weiß ich wann Sie kommen) wenn Sie betonen, Sie seien Präsident aller Schulen! Wünschen, daß die Schweinebande anständig mir Schalom sagte, nicht irrige Dinge von mir spricht. Hier wohnen seit Rahel Katinka, (ich leg den Brief ein bitte zurück!) nur polnische Christen. Sie hat ihnen erzählt, als sie mich [Schwurhand] Eid ohne Veranlassung plötzlich überfiel, ich verdiente mein Geld durch (Huhrerei.) Sie grüßten mich alle nicht mehr, bis der Dr. Majewsky u. seine Frau mein Buch sahen. Die beiden sind über Nacht ausgezogen wohnen mit ihrem Kind 6 Jahre alt jetzt wo anders. Den Jungen nannte Frau W. immer den Dieb!! Ich dachte erst, ich soll büßen, (ich hab doch sicher viel – schlechtes getan oder nicht gutes genug. Aber ich darf sagen, ich bin wenn ich keine Frau wär, ein Gentleman. Wenn Sie etwas bange machen, so durch die [Blume], daß Sie Ms Direktor erzählen wie die – – – die Die Dichterin der – Filmwelt behandelt wird und daß, sie 2 × einen Anwalt, (auf Wunsch Dr. Werbers und Frau nehmen mußte. Der wollte sie einstecken lassen, als er die Wunde mitten auf dem Kopf sah. Eid ohne Veranlassung. Viele sagen die Frau ist verrückt! Selbst sie fragte mich früher mal, ob man im Hause sage, sie sei verrückt. Mirra sagte ihr das: Rachel sagte an der Grenze der Hysterie. Nun ist es 8 Tage schon ruhig und bitte ich will ja nur Ruhe! Bitte sprechen Sie klug ohne Sentiments, aber sehr klug. Ja? Mirra hat großen Respekt vor Ihnen! Mirra hat sie früher nachts so geschlagen, daß das Mädchen noch früh jammerte. Mirra sagte mir damals, da sie im Grunde ein nett Kind ist, (sehr begabt Musik und Schauspiel): jedes Wort ihrer (der Mutter) Lippen ist eine Lüge!! Ich nahm noch das Weib in Schutz, da sie sonst niemand hatte.
Adon, tun Sie mir den Gefallen. Lügen Sie, ich sei enormste Dichterin der Welt und eh ich jetzt ein Zimmer verlasse, käme sie (die W.) heraus.
Sie sagte sie habe mich immer gebeten, da sie und Mirra ein Zimmer haben wollten. Nun aber glaubte sie vor kurzen, sie könne viel viel mehr bekommen wie ich zahle: 5 Pfund für fast leeres Zimmer. Adon u. Gewereth Schocken sandte Couches und die paar Möbel fast geliehen. Ich lieg gern im nicht beschränkten Zimmer! War zufrieden. Jeden Tropfen Wasser muß ich mir vis à vis vom [Hahn mit tropfendem Schnabel] Hahn holen. Kein Waschtisch noch Ständer. Ich wasch mich auf dem Boden.
Der Hahn legt schon die Hühnereier faule. Ich mach Unsinn, daß Sie nicht einschlafen. Zuerst fragen Sie nach mir Ekel – dann sagen Sie, zu Mirra: Küche vis à vis I Zimmer links (Eingang) zu meinem Zimmer. Man erzählt mir mit Abscheu wie man unsere 10 Meter große Dichterin behandelt hat. Noch immer??
Verzeiht, Adon Doktor, ich bin nicht Jude des Judentums wegen, aber ein betrübter treuer III. jähr. einfacher Soldat Gottes. Ich betete knieend eben so inbrünstig. Er [über dem E ein Heiligenschein] muß da sein, er muß hernieder blicken.
Mein Anwalt ist Dr. Joseph Frank: Prachtvoller Anwalt
Bitte nichts mit ihm ohne mein Wissen!
Wie ist der Krieg zu verstehen?
Ihr armer Prinz Jussuf
(Man kann nicht immer ein Schwein sein!)
Ich mein: Mich
Versteht den Brief!!!!!!!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 296–299.
[128] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 26. Oktober 1943
26. Okt. 43
Verehrtester Adon Doktor Simon.
Ich danke Ihnen so sehr für Ihren feinen Brief, den ich sorgsam bewahren werde.
Gestern kam Gewereth Bornstein, die ich manchmal ganz gern habe. Aber doch meist fremd. bleibt. die meinte, ohne auch nur zu ahnen, daß ich Sie, Adon, bat, – lieber sollt ich abwarten, da schon 6 Tage Ruhe, und die Frau W. nur wieder gereizt werden könne, – bis Jemand außer dem Anwalt, sich einmische auf meine Bitte. Nun leuchtet mir das ein! Und ich hoffe, es wird jetzt dauernder Frieden hier.
– Aber ich danke, Adon, für alles und wünsche daß Adon viele Freude hat! [als Punkt des Ausrufezeichens ein Stern] Sich ausruht nach all den Vorträgen, die sicher die Menschen entzückten.
Jussuf.
In aller Eile!
Ich bring sofort Dr. Wilhelm dem Bischof den Brief. Damit Sie ihn noch bekommen zeitig, Adon
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 299.
[129] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 3. November 1943
3. 11. 43
Verehrter Adon.
Dr. Krafft und Gewereth sprachen so verehrend gestern von Ihnen und ich bitte Sie darum, Adon Dr. Jourgrau zu schreiben, daß er, falls er eine Stellung für Ihren Freund ausfindig machen kann, seiner zu gedenken. Mr. Jourgrau war der Herausgeber kürzlich des Orients. Er ist eine starkwillige Persönlichkeit, seine Frau, ähnlich wie meine Freundinnen in Deutschland – sehr gut zu mir. beide sprachen im Deutschen Radio alle Abende Ich möchte Dr. Kraft bekommt Ruhe, denn er ist so besorgt und verstört. Ich werde noch wo anders anfragen in Tel-Aviv, dessen Bureaux dort und hier. –
[Davidstern] Eben las ich König Davids Psalme – er hätte mich verstanden allein hier in Palästina. Er hat doch mal bei mir gesessen. Ich werde davon erzählen bei meinem nächsten Abend. Aber die meisten Juden glauben ja nicht ohne Pinzette und an dieser überweisen Unkindlichkeit geh ich hier in die Brüche. Nicht eine arme Reiche oder reiche Arme schreibt Ihnen – aber eine verstummte – total Zerbrochene. Ja, der keine Schaale mehr ganz, Erwärmendes aufzufangen und langsam erkaltete und wunschlos sich selbst gegenüber und trüber und trüber. David würde mein treuer königlicher Kamerad sein – ich beschwöre das!
Die Adresse:
Mr. Jourgrau
Tabie-Rechavia.
Neben dem Türkischen Consulat.
Ich erwähnte Sie, Adon, kurz bei Mr. und Mrs J. Sie antworteten in allerhöchsten Hochachtungen. Krafts sind zu ungeduldig!
Jussuf
Ich habe einen Anwalt, der der Gew. Weidenfeld 2 × geschrieben.
momentan: Ruhe hier! mehr verlangte ich ja nie. Und keine bösen Reden und Alarme mehr.
Und die Miete 5 Pfund per Monat, die sie sich holen muß, die ich vor dem 1. hinbringe.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 301 f.
[130] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch oder Donnerstag, 17. oder 18. November 1943
17. oder 18. Nov. 43
Adon.
Als ich gestern ein italienisch. Lied spielen und singen hörte, saßen Sie und ich in einer Gondel in Venezia – ich saß vor Ihnen und staunte Sie an und alles sang dazu. Sie freuten Sich – so war mir und ich war eine Stunde wieder beseelt wie Zauber überall. Nicht böse sein – eine solche Stunde kommt eben von hoch her – aus den Wolken vielleicht. Ich bin sonst allein und ohne Glanz. So arm wie nur ein außergewöhnlicher Bettler sein – darf oder ist. Aber eine Stunde so reich wie kein Irdischer, kein König sonst in den Ländern.
Ich bin so traurig immer, aber heute gerade etwas hoffnungsvoller. Ich kann wieder ruhiger denken und mein Ring, der grüne Stein in meinem Ring glänzt so licht und tröstet mich.
Mir erzählte, unser herrlicher Dr. Wilhelm, unser hebräisch. Bischof von dem Säulenbild. Ich hab es nie bemerkt, bleibe nie vor Säulen hier stehen etc. Plakaten, da ich doch nich hebrit lesen kann, wie in der Schule früher. […] Aber wenn Ihnen recht, oder es Ihnen nicht schadet, so stech ich den Miß-Zeichner, dafür, – alles sehnt sich aus Neid hier zu beleidigen! Eben war Dr. Jourgrau hier – wegen der schrecklichen Mißbehandlung gegen mich ohne Grund hier. Er liebt Sie direkt, sprach herrlich von Ihnen! Nun soll er Jourblau heißen.
Ich bin Jussuf
[Kopf en face mit Blüte auf dem Hals] Grüße.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). S. 3 fehlt. Am 21. November schreibt Else Lasker-Schüler an Ernst Simon: »Ich bin ja so schrecklich unruhig – vielleicht zerriß ich irrtümlich die Seite.« D: KA, Bd. 11, S. 306.
[131] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 21. November 1943
Sonntagabend (beim Kerzenlicht.)
? 21. oder 22. oder 23. Nov.
Adon, sehr verehrtester.
Ich bin ja so schrecklich unruhig – vielleicht zerriß ich irrtümlich die Seite. Und – die unverständliche? Ich glaub ich schrieb von der ärmsten Bettlerin, die im Schreiben? reich wird an Adon. Aber genau weiß ich nicht mehr die Worte. Jedenfalls übersetzt heißen alle drei Worte: stets: I – l – j –!
Ich habe so Angst vor der Dämmerung und der nahenden Abendstunde immer; ich versuch mich mit Alcohol zu betäuben; wenn niemand kommt. Mein Kraal will wieder da sein. Ich gebe einen Reinhardtabend, da ich ihn unendlich liebverehrte. Ersten Abend, wenn nicht aufdringlich?? möcht ich auf meinem blauen Klavier spielen. II. Abend: Prof. Dr. Leo Kestenberg spricht über Musik.
III. Abend: Max Reinhardt (Hermann Valetin Vortragender.
IV. Abend: (Da Ernest Simon ja will) Dr. Ernst Simon
Und weiter – weiter
V. Abend: Unser lieber Kurt Wilhelm [im W ein Davidstern]
Ihr armer Jussuf.
[Kopf im Profil]
Prof. Bithells German Literaturhistory leset all what he wrote from me, – Ekel.
Dr. Ettinger
Salingré unten (Laden) giebt sie Euch, sagt zu ihm nur: Sie möchten sehen das Buch.
Ich soll auf den Seiten Café trinken.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 307.
[132] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Sonntag, 12. Dezember 1943
Sonntag 12. Dez. 43
Lieber Adon Dr. Ernst Simon.
Ich hab eine große Bitte an Sie, Adon.
Es kann heute u. folgende Tage sein durch eine Sache, daß ich umkomme. Schon lange liegt ein Brief an Sie in meinem Schrank versiegelt. Darin bitte ich Sie, daß Sie sorgen, daß meine Bücher unbedingt durch Sie geregelt werden, von Ihnen, dem ich unbedingt seiner Reinheit vertraue. Und der Erlös den beiden lieben Töchtern meiner lange gestorbenen Schwester Anna Lindner gehört und meinem stets treu gewesenen Mädchen: Hedwig Grieger. Aber nur im Fall, daß die drei oder sonst Jemand ihrer Kreise sich literarisch bekümmern noch etc. etc. Ich hoffe, daß ich hier Niemand beleidige mit der Bekümmerung, Niemanden, der oder die so nett zu mir waren. Ich bitte Sie nur schriftlich mich zu informieren auf inl. Karte, ob dieser Brief in Ihren Händen, Adon? Ich bin auch nun von früh bis spät fortgegangen. Ich war heute Nacht bei den lieben Jourgraus, hatte eben ohne Veranlassung eine so tiefe Ohnmacht in meinem Zimmer; danach schrecklichen Krampf. Ich bitte gewiß zu viel?? Aber ich muß es der Sache wegen. Weil eben keine persönliche Liebe mehr im Versteck steht. Sie machten mir engelhaften Eindruck vom ersten Moment an und darum wende ich mich an Sie, bitte Sie. Meine teure Schwester Annemarie war so gut zu mir wildem Kind damals, solche Geduld und sie soll beruhigt schlafen – oder atmen hoffe
im Himmel.
Else Lasker-Schüler
Prinz Jussuf
Bitte noch unter uns Adressen. Ich weiß gar nicht, ob die beiden Mädchen überhaupt noch in Berlin: (Sie liebten Berlin sehr.)
Frl. Edda und Erika Lindner
Rosenheimerstr. 29
(Bayricher Platz)
Berlin W.
Mein Schwager Lindner war Christ. die Kinder bei der Geburt getauft. Meine Schwester einer Reise wegen nach der Heirat getauft.
(Bitte nicht von der Adresse irgend Jemand fragen oder erkundigen während des Kriegs
II. Adresse
Frl. Hedwig Grieger
Berlin. Börse:)
Nahe Stadtbahn
Alte Schönhauserstraße 27. oder 29?
(oberster Stock.
Ein feiner Mensch und Anwalt in Bern: (Schweiz) Fürsprech Emil Raas Balmweg 7 event. zu Rat ziehen, Adon, bitte.
Eine mündliche Aussprache würde mich depremieren!
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 310 f.
[133] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 31. Dezember 1943
31. Dez. 43
Adon, hebräischer Mönch.
Gegen Morgen wurde es mir klar, daß ich so leiden mußte in – Jerusalem, dorthin ich vom Himmel hoch gerufen wurde – oder wahrer gesprochen, dorthin ich von Höherem Willen gefragt wurde vor etwa 4 ½ Jahren, ob ich nach Jerusalem wohl reisen würde? – Meine bestimmte Amerikareise, wo ich Schiffskarte, Wohnung, etc – so lange ich bleiben möchte gehabt in Überfülle und Schönheit, gab ich auf und reiste hierhin zum dritten Mal. Vorher war ich nur jedes Mal 3 Mon. hier gewesen. Meine liebste Freundin starb ich reiste wieder nach Zürich.
Ich sah vielerlei ganz und gar wie ich Palästina in meinen Büchern gesehen – ungesehen. Der hebräische Buchstabe schon entzückte mich am Tor der Häuser. Im Grunde blieb ich schon im Entzücken – allein und davon sprach ich auch, kaum bewußt in meinem Gedicht: Mein Volk! – Ich schreibe das Vorwort, fast 3 Seiten um das viel längere Nachwort schreiben zu dürfen. Ich bin fest von dem überzeugt von dem was ich nun sage und Sie müssen mir glauben und mir fest glauben und ändern. Ich liege meist auf den Straßen hier, kenne die Menschen, allerarten, spreche mit ihnen in Zeichen, wenns nicht anders geht. Was hilft Universität, Gelehrsamkeit, Dichtung, kleine Wohltaten etc, – – noch vorher, ich darf gar nicht erwähnt werden! Ich reise fort, wenn ich noch lebe – ich bin gar nicht ehrgeizig oder eitel oder etc. Zu Ihnen, Mönch Ernest, spricht etwa – ein Straßenjunge – etwas erholt von Leid, Hunger, Angst, Vereinsamkeit. Glauben Sie an – »Gott«? Ich schreibe ohne mit Gewissenheit zu glauben – ein Mensch dem anderen. Selbst Gott dürfe kaum mein Eingreifen ahnen oder er wisse, ich tue nur natürliches.
Wenn der Krieg zu Ende, nehmen Sie es in die Hand, zur Hilfe Ihnen: Wolfgang Jourgrau. Er ist collosal gut, wie in früheren Zeiten der Lieblingsjunge seiner Mutter. Seine Frau sehr gut, und auch sie muß dabei tätig sein! Zwei Menschen, die ich seit langen Zeiten kenne müssen ebenfalls mitwirken:
Ehemalige Advokat: Andreas Meyer
Hoscheastreet 15
G’ullah-Jerusalem
Sam (Mortimer) Wassermann
Ussiskinstreet. House: Salant. bei Rubinstein.
Die alle genügen. Niemand darf von den 4ren fehlen. Ich nehme im Geist, hab ich Geist; Ihr Ehrenwort! Alle Kinder der armen Familien müssen im Kibutz erzogen werden! Kleidung, Essen (genug!) und – Bäder und Schule. Sie werden sonst Diebe, Strich-Kinder und sind im Grunde unschuldig. Der Egoismus der Väter und Mütter, die ihren Kindern alles geben können, haben Schuld, nicht die vernachlässigen Geschöpfe. Seh ich ein Kind, oft 6 Jahre erst alt – Zeitung oder sonst was verkaufen, denk ich mit Entsetzen, wenns nun »mein« Kind wäre. Mönch Ernest, ich bin wahrhaftig nicht ein sentimentaler enger Mensch, aber sind die Leute hier mehr wie die Nacis?? Die Kinder müssen 2 Anzüge haben, Eltern, die sie besuchen möchten, müssen vorher dort im Kibuz baden und die Lumpen herunter!
Vor allem: Liebevolle Behandlung, Interesse etc. Sonst sind die Beaufsichtigen Frauen: Verbrecherinnen.
Mindestens gehören 10 Millionen zunächst dafür. In Amerika hilft schon der Präsident etc. und viele Juden.
Ich habe hier früher Häuser in Gegenden gesehen so verkommen, etc. es muß geholfen werden! Glauben Sie Gott sei ein Spießer? Was liegt Ihm am Gebet, ist es aus egoistischen Munde. Ich weiß – ich bin selbst nicht besser, schon, daß ich die armen Tiere esse! Es geben hier Hunde mit der Besorgniß eines lieben Menschen. Aber kann man nicht doch einsehen und sich nicht wählen. Ich tue so viel Schlechtes! Im Grunde mag ich die Menschen nicht, es geben jüdische Fratzen, daß ich vor Ekel umkomme.
Die schrecklichen Weiber aus Polen viele viele, auch die christlichen Polen mir ein Ekel fast alle.
Im Grunde mag »ich« mich selbst nicht angucken; das »Wort« Jude – mir schrecklich. Warum nicht: Hebräer? Aber blieb doch als einziger Jude, wenn alle nicht mehr Juden, aber ich könnt es!! Wo ist das gepriesene goldene Herz der Juden hier? Wie hat man mich behandelt? Und aber nun weiß ich es nach all der Qual, ich sollte einsehen und noch nicht mal Ernest S. fragte mal. 2 × schnitt ich mir die Adern auf, ich konnt nicht mehr vor Einsamkeit der Trauer. – Was ist Professor –? »Ein« Stehkragen für mich. Aber Ernest mit »diesem Eingriff« – ist mehr noch wie ein Prophet. Moses hätte so gehandelt. David im Grunde auch, aber er war ein Springinsfeld wie ich – aber er hätte genau so an den Mönch Ernest geschrieben. Vielleicht führt eine höhere Wolkenhand mir den Bleistift an Ernest, den ich – – liebte. Ich bin ja kaput, ich kann nicht mehr lieben. – Ich mach mir auch Vorwürfe, da ich in letzten Monaten so viel aß und mit – Gier. Zu viel sicherlich. Und Kinder hungern etc. Wenn die Kinder versorgt sind sofort nach der Geburt – alle alle alle!! Nur die Eltern die cultiviert?? Wo?? Ich meine, ernähren etc, können dort bleiben die Kinder! Ich reiße reiße, an Ernest, er muß mir folgen!!! Ich geh ja weg. Ich bin ja zu viel überhaupt in den Wolken. Ich spreche ja auch weil (noch der kleine Gott in der blauen Himmelswiege es so will!!! Meinen Namen zu nennen auch nur eine Untreue an meinen Wunsch, Ernest, Mönch, was würden Sie fühlen, Ihre kleine Hannah [am H ein Herz] verkaufte in Lumpen gehüllt Spezereien. Ich reiße an Ihr Gemüt. Kommt zur Besinnung!!
Der Prinz Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 312–314.
[134] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 13. Januar 1944
13. Jan. 44
Adon.
Ich versteh nicht, daß Sie Sich nicht äußern. Ich zeigte nie Ihre paar Antworten. Ja ich sage immer zur Antwort, wenn mich unbegreiflicherweise (oder begreiflich) Jemand neckt oder geheimnisvoll lächelt,: »Ich bin viel zu verkommen und ich finde »ihn« viel zu schade fast, daß ich an ihn denke.
(Ehrenwort!) Aber die Leute hier böse. Glauben Sie ihnen nicht! Gestern war ich abends bei Bronsteins wo die Schakale heulen auf der Wiese. Schlief dort.
Das Gedicht, falls Sie es nicht mögen, (alle gestern entzückt!) auch feine Hans Mollers) senden Sie mir ruhig wieder. Haben mir nicht bestätigt die vielen Schreiben und Gedicht. Aber senden Sie mir dann auch die Bilder zurück, Briefe zerreißen Sie.
Was sind Sie alle fremde Menschen im Grunde. Noch eins: mit Chiefrabiner Hertz (London) muß verhandelt werden.
Meine Freundin Elisabeth von Schmidt-Pauli Berlin besuchte ihn, erzählte von mir und meinen Gedichten etc. Er sei eine Herrlichkeit. Der Edgar v. Schmidt-Pauli holte mich und seine Frau mich öfters nach meinen Vorträgen in sein Haus. Edmund ist der Herrnreiter.)
Dear Adon, wenn Sie schlecht über mich denken? Lebt wohl!! Churchill muß Präsident von Palästina werden. Er kann monatlich 7 Tage hier sein! Alles zu machen! Nur vor Jemand aus anderm Volk Respekt hier und überall. Ich warne Sie, Adon, folgen Sie mir! In meinen Bücherromanen auch Stellvertreter, wenn ich als Malik verreiste, aus anderem Volk. Wenn Churchill nicht kann, soll er Jemand nennen! Ich reis, falls noch lebe, sofort fort Schweiz oder Londen zunächst. Folgt mir! Dr. Wilhelm glaube ich gut meinen Plänen gesinnt! Ich will gern Amerika agentieren? oder agetieren? für die Speisung etc Erziehung der Kinder arabi and hebräi hier. Mit vier Millionen gehts auch.
Prinz Jussuf.
1. Professor in London: Prof Bithell hat viel von mir übersetzt, mir sehr begeistert ††† stets geschrieben.
Gedicht Niemand zeigen.
Ich lese es in 13 Tagen vor – eingeladen Bezalelmuseum im großen Saal. Kommen Sie oder nicht Donnerwetter!
Ich hatte keinen Bogen mehr! [Kopf im Profil]
J
Ich sag dann immer: (mir ernst) »Der guckt so einen verkommenen Menschen (mich) noch nit mal an.«
So meinte ich es im Brief
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 316 f.
[135] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Donnerstag, 10. Februar 1944
10. II. 44
Holdlächelnder
Nun ist schon Donnerstag und mir ist, ich sitze noch neben Ihnen verstummt; wie ungeboren wie der Abigail und suche Wände immerzu. Soll ich Ihnen von der Abendzeit schreiben, genau wie ich empfand.? Und wollen Sie es recht begreifen. und mir glauben? Erst wartete ich immer, bis Sie von den Chokoladenbonbons, von den Honigkuchen nahmen, so zerstreut und doch schmeckte alles gut.
Und dann sah ich Sie an, schnell und doch bewundernd. Ich habe Sie ja nie in Zimmern sprechen hören und konnte erst gar nicht begreifen. Und verstehen, da ich im Herzen immer sagte: I love jou. Ich war seit Jahren ganz gesund, es verschob sich kein Blutstropfen in meinem Gehirn, kein Empfinden verirrte sich in meinem [Herz], alles kam an, Sie, – nur streifend. Ich weiß ja, Sie lieben mich nicht. Es ist sicher gut so. Ich würde ganz gewiß fortwährend erröten, da Sie so schön, ich so häßlich und verkommen. Darum seien Sie auch froh darüber, da mir eigentlich nur noch die Lumpen der Straße passen, die Sprache der Leidenden über meine Lippe will wenigstens im Leben des Täglichen. An meinen Vortragsabenden aber werde ich ein bunter Brunnen – (vielleicht?) manchmal kommt eine Welle ganz hoch überschüttet mich selbst.
Aber ich wollte Ihnen doch von dem Abend erzählen – wie ich neben Ihnen saß. Plötzlich war ich wieder ungeboren. Nicht die Geschichte: Abigail I. hat mich inspiriert – da ich schon mal ähnlich so empfand von Ferne. Ich lag in Ihrem Fleische, ganz mit Ihrem Blut vermischt, zwischen den Elfenbeinknochen Ihres Oberschenkels. Ich war so geborgen und fror nicht mehr. Ich weiß, Sie nehmen es süß und rein auf wie ich empfand. Als alles vorbei, hatte ich so Angst, ich könnte mein arm Gesicht auf Ihre Hand legen als Sie sie umdrehten. Ich, I love jou.
– Aber ohne Sorge, ich bin ein Straßenjunge. Reise auch sofort wieder weg wenn alles vorbei. Das seltene Blatt der Liebe wäre schmerzhaft verdorrt.
Jetzt machte ich eine Pause, legte mich wieder auf Ihren Händen in Gedanken
Ihr armer Jussuf. (Tino.)
[Kopf im Profil] Ich sitze in Dow Taam
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 318 f.
[136] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 21. Februar 1944
21. II. 44
[Frauenkopf, der einen Krug trägt] Der ich eben begegnete
Wunderbarer ....
Gestern schrieb ich schon hinter meiner Stirn, aber wurde immer gestört. Doch von lieben Menschen im Café Sichel. Den letzten müssen Sie kennen lernen, er muß Ihnen von seinem Großvater erzählen der ein Rabbiner gewesen, sich selbst in Gefangenschaft nahm – 30 Jahre. Er behauptet immer, ich wär ihm so ähnlich und wäre so einsam wie er und noch anderes. Wollen Sie ihn kennen lernen den Enkel?? Aber ich wollte eigentlich nur von Ihrem prachtvollen Vortrag sprechen. Ich saß wie gebannt und lauschte was Adon sprach so stark, so hold, so ernst und zauberisch. Und von meinem Onkel – auf einmal! Seine Frau war die lustige Schwester der 23 Kinder meines Großvaters in Westfalen. Er der Onkel selbst, der Bruder meiner von mir angebeteten Mama; eigentlich ihr Vetter und aber Pflegebruder, da ihre Eltern [Davidstern] so früh gestorben. Ihr Vater ein Spanier aus Madrid, der meine schöne Großmama sah und liebte.
Der Onkel Leopold war Reichstagsabgeordneter mit kühlen blauen Augen, die meine zweite schöne Schwester bewunderten. Es war lieb von Ernest Simon, sehr lieb. Nun wieder 2 Tage seitdem vorbei und ich ertrag die Welt kaum; so sonderbar alles, so unverständlich alles, unwirklich erlebe ich alles wirkliche, da ich nur alles, in der Bibel durchblickte und aber nicht ebnete. Wege gehe ich wie durch Lüfte und über den Wind stolpere ich oft.
– Ich möchte Sie immer anfassen, Sie sind »da« in meinem Leben. Seltsam der Malik von Theben liegt zu Ihren Füßen und schreitet verlassen durch die Straßen Jerusalems und weint – oft. Aber so ist es wohl gut; ich bin bescheert, daß Adon Ernest da ist, hier ist! ich würde mich betrinken an ihn und ich zerstörte vielleicht ungewollt die Blume. I love jou inniglich.
Tino
(So nannte mich St. Petron Hille, da ich grün und rot sei. I love jou! .... Tino
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 321.
[137] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 6. März 1944
Engelgleicher unter den hiesigen Menschen.
Ich schreibe auf der Bank hier. Papier und Bleistift in der Hand. Sie sangen gestern fließendes süßes Gold. So berauschte Sie mein [Herz]. Sie sprachen nicht, Sie sangen. Ich fragte den Schöpfer der Welt, ob ich ohne zu sündigen, »so« empfinden darf? Aber der Schöpfer ist kein Spießhimmlischer. Sie sind so lieb zu Ihren Kindern, Adon. Es freute mich. Die golddurchwebten Zöpflein Ihrer Chânnah sind gewachsen.
Aber ich sehe ja nur Sie, Adon. – Haben Sie gelesen Freitag die wunderbaren Worte von S. B. Ch. in der deutschen Blumentalzeitung über blaues Klavier? Ich hatte gerade ein neues gedichtet an – E.
Soll ich es senden? Sie dürfen aber nicht betrübt werden. Ich bin ja im Grunde ein Wanderer von Herz zu Herz – bin untreu dem roten pochenden Pfad und tröste mich. I love jou, Ernest, unbeschreiblich. I will immer Ihr Glück, Ihre Ruhe. Herrlich sahen Sie aus. I love jou .....
Jussuf – Tino
[Baum] Vor diesem Baum sitz ich momentan.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 323 f.
[138] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 17. März 1944
17. III 44
Adon. Falls Sie Sich gegen mich von W. Krafft besprechen haben lassen, da er mich bezichtete des Meineids, so tun Sie mir in meinen Versen weh. Wenn der Kraal also Ihnen nicht angenehm – sprechen Sie nur: »Nein.« Mein letztes Gedicht haben Sie sicher für sexuell gehalten?! Nicht die Spur. Ich geh jetzt essen 2 Uhr.
Jetzt spricht W. Krafft zur Strafe nicht im Kraal das II. Mal.
Jussuf
der Prinz von Theben.
Habe keinen Meineid mit meinem Blut geleistet.
Anmerkungen
H (Brief): Deutsches Literaturarchiv Marbach, Zugangsnummer: HS.2002.0045.00016,1–2. Der Brief wurde 2002 vom Deutschen Literaturarchiv zusammen mit einer Postkarte an Werner Kraft vom 18. Juli 1944 erworben. D: KA, Bd. 11, S. 326.
[139] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Samstag, 18. März 1944
18. März 44
Adon
Ich werde nicht mehr in die Synagoge kommen, da Adon Dr. Wilhelm, so hoch ich ihn verehre, mich enttäuschte. Er erschrickt, sieht er mich, da er fürchtet, ich halte ihn mit Fragen auf. Ich glaubte er freue sich. Und – wenn ein Mensch wie ich doch bin, aufhält, sind kurze Gespräche nicht wichtiger, die erfrischen, – ich meine, die beruhigen einen geplagten Menschen, als die dumme undankbare Gesellschaft? Ich halte auch nie ohne Entschuldigung auf. Ein Wort »mir« der Boden des Hauses; noch hier in Jerusalem. Auch bin ich auch nicht hochtrabend noch überspannt, noch überschwänglich, aber auch nicht geizig was Mitteilung betrifft. Ich sprech ja immer das ehrlich, was mich überschwemmt. »Drum« viel von Ernest Simon, zwar wenn man von ihm beginnt zu reden. (Alle sehr sehr gut und entzückt. Ich betone immer, er liebt mich nicht!! Ja, ich bin ihm meiner Verehrung wegen zur Last. Denn er ist so ein Gentleman, daß er mir sucht nicht zu begegnen, mich nicht zu bescheinen, (mein Herz also nicht röter und blauer wird.
Adon ich sende Ihnen das letzte Gedicht zur Feier meines Abschieds noch einmal – vollendeter gedichtet – ich schrieb es aus dem Gedächtniß noch einmal, ich glaube vollendeter. Ich habe den Vorhang herabgelassen!! Ich grüße Sie noch mal von Ferne hochachtend und verehrend, Adon. Begegne ich Ihnen zufällig oder im Kraal, wenn Sie uns die Freude Ihres Vortrags machen wollen? freue ich mich. Aber ohne Gefälligkeit mir anzutun, dürfen Sie uns vortragen, Adon. Ich möchte nur noch sagen, meine Religiosität ist nicht bürgerlich. Fest auf der Erde stehen, ich meine realistisch denken, denken können, kann ein Mensch nur mit einem Himmel über sich, wirkliche Dichtung nur unter uns ein starker Erdboden, auf dem ich erwache. Ich bin erwacht und es muß so sein – da ich Ihnen mein letztes Gedicht sende, Adon. Zur Ehre tun Sie mir an, daß Sie Sich nicht getäuscht haben in mir, Adon.?
Else Lasker-Schüler
(Prinz Jussuf)
letzter Brief
Bitte sagen Sie W. Krafft, daß ich nur Feines von ihm und seinen Versen zu Ihnen sprach. (trotzdem ich nie vergessen kann die Anklage. Ich war sehr krank. Promenierte draußen mit Gehirnentzündung. legte mich nicht ins Krankenhaus, habe vieles vergessen – so krank war ich, vor Schwäche. Ich habe Jahre gehungert, wie gar viele.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 326 f.
[140] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Montag, 12. Juni 1944
12. Juni 44
Wiederum die Adresse von Dr. ehemals Notar Rechtsanwalt Dr. Andreas Meyer: Hoscheastreet 15 ℅ Goldmann. Ge Ullah-Jerusalem.
Adon. Es wundert mich, da Sie noch nicht an Dr. M. geschrieben. Eine Aussprache, kann, ist sie gütig nur trösten, hilft sie auch nicht gleich. Es galt ja einen Menschen einen Gefallen zu tun, der mir mit einem anderen Freund allein Hilfe leisteten. Ich wäre vor die Hunde gegangen. (Wau wau!) Sie sind doch fromm oder nicht? Ich will ja nix von Ihnen – trotzdem ich Sie erfreute großartig, großzügig mit 2 Bildern, die mir weiter geholfen hätten. Hätt ich sie nur wieder, könnten mir jetzt auch helfen, da ich keine Geldgeschenke (Melodie: o wie wohl ist mir am Abend –) annehme. Weder Sie noch Ihre Frau haben auch nur gefragt wie es mir geht 9 Wochen.
Solch ein – Volk wie hier habe ich nie erlebt. Könnt ich nur fort. So heißt mein 2. Buch. Ausnahmen, geben es in jedem Volk, selbst unter Polen. So ein gemeines Leben habe ich noch nie durchgemacht. Wer weiß, ob ich wieder gehen kann normal!!? Einen gemeineren Egoismus wie hier unter Ihrem Volk hab ich nie erlebt. Meine Augen haben geregnet auf den Himmel – (Er [über dem E ein Heiligenschein] [Davidstern]) weiß es also.
Ich verachte Euch hier und bitte um die Rückgabe der 2 Bilder.
Sagen Sie auch Werner Krafft, daß ich nie die gemeine Blasphemie besitzen werde, einen Meineid zu leisten. Ich habe 5 Jahre gelitten, vielleicht Namen vergessen etc.)
Else Lasker-Schüler
Geben Sie ab die Bilder: Café Corso Ecke King Georgestr and Ben Jehuda Street.)
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 331.
[141] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 14. Juni 1944
14. Juni 44
Als der Malik von Theben, der Dichter seiner Bücher, Ihnen den letzten Brief schrieb vor paar Tagen, (bei seiner Ehre die volle Wahrheit!!) lag er im Herzen vor Ihren Knieen, sein Kopf auf Ihrer Hand wie auf einem ihm heiligen Kissen und weinte. (wie jetzt.) Aber es ist dieser Brief der allerletzte, und – er der Malik will ein Schuft sein, sagt er hier die Unwahrheit.
J.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 332.
[142] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag, 28. Juli 1944
Freitag.
Adon, sehr lieber verehrter.
Ich danke Ihnen für den lieben Brief!! für die Bereitwilligkeit zu lesen im Kraal gerade das Thema. Ich interessierte mich schon lange – wie möglich der Glauben an Religion und Totschlag. Ich meine – glaubt man wirklich vertrauend, so legt man dem Höchsten die Entscheidung in die Hand. Ich weiß alle die unsichtbaren und unhörbaren himmlischen Dinge nicht zu beantworten. Wer aber kann es ehrlich? Vielleicht Gottessöhne, die vom blauen Stoff Gottes in sich haben, nicht allein vom Mond und Licht der Sterne. Ernest (S.) gewiß [Stern]
Ich schäm mich (etwas) direkt, nachdem ich wieder ein Gedicht gedichtet habe, angesicht der Blutfelder und Opfer. Mich (so!! .... blau zurück gesehen habe, zu mir allein heimging und verträumend diese Welt. Aber nicht sehr schäm ich mich und nicht lange stets. Ich habe ja keine äußere Bleibe, keine Anlehnung und das Paradies ist dann meine – Krücke, meine blaue
Wiesenwand.
Für den lieben Brief vielen Dank. Ich weiß wie gut Dr. Wilhelm ist! Werner Kraft zu hanovanisch, zu erstarrt, zu wenig schuldig bewußt. Er hätte sich entschuldigen müssen, schon sein Unrecht einsehen müssen. Ein Meineid ist noch dazu eine Feigheit und das ist das schlimmste. Oder ich könnte nur so Menschen retten aus den Händen der N’s.
Ich hab ihn doch den Abend: Kraal in den Kasten geworfen. Das heißt, – vermerkt, er muß 1 Piaster eventuell mehr bezahlen – denn ich bin nicht hilfsbereit, mit der Zeit abgewöhnt. Ich behalt nie, selbst die Ausgaben nicht. Sonst alles gut. Adon, ich bitte Sie, laden Sie Dr. Werber den großartigen Wasseringenieur, ehemaligen Minister in Serbien zu Sich alleine ein. Ich will gern ihm bestellen, schreiben Sie mir Zeit und wo? Sie erfahren enorm. Ich weiß, Sie arbeiten für den Frieden. Es giebt ja auch harte Liebe, hartes Zusprechen zu Völkern, Besprechungen, die unerbittlich sind. Ernest Simon, Dr. Werber, Dr. Wilhelm müssen im Luftschiff zu Stalin, Roosefield, Churchill, damit hier ein jüdischer Staat wird. Die einzige Rettung: Noch Millionen Juden müssen jetzt noch hierherkommen. (Meint Dr. W. richtig.) Er weiß nichts von diesem Brief!! Heute Nacht machte ich den Plan entgültig! Daß es nicht etwa aussieht, ich mach mich aus dem Staub; wenn irgend gefährlich, nehmen Sie drei Luftfahrer, [über dem L ein Heiligenschein] (die gekrönt mit Heiligenscheinen danach) mich mit. Ich bringe gerade Stalin mein Blaues Klavier mit. Er gerade liebt Gedichte. Ich habe ja nur dafür, später die Abreise.
Noch eine große Bitte!! Ich bitte Sie so darum, bis jetzt nur im Herzen. Nun da ich wieder allein in meinem Blut, kann ich sie aussprechen. Drei Jahre schon mache ich eine Hölle durch. Inl. den Brief von der prachtvollen Russin und Adon Seef, dem Dichter, der ihr Mann ist, hier im Haus wohnte, mir so lieb erträglich machte. Ich habe keine keine Schuld, ich war so gut zu der Frau Weidenfeld und Mirra der Tochter nun 16–17 Jahre alt. Ich kann nicht schildern wie sie mich plötzlich anspuckte, mich mit dem Besen (öfters ohne Veranlassung) bedroht. mich in eine Fensterecke verfolgte, ich mir schwere Wunde am Kopf beibrachte und sehr krank Monate gewesen. Sie antwortet: »ich habe keinen Grund! Ich mag Sie nicht mehr sehen!! Ich bezahle überpünktlich meine Miete: 5 Pfund pünktlich; mein Zimmer war fast leer.
Adon Gewereth Schockens sandten mir manches. Beide in Amerika schon lange. Sie schimpft mich, ohne Veranlassung: Sie Leiche!! Sie – ich mag nicht mehr sagen. Dr. Majewsky, vom polnischen Consulat, sagte, er habe sich 2 × Scenen gefallen lassen. Er wohnt nun Romemah wie ich hörte. Man kriegt jetzt nichts! Auch habe ich nun einige nette Menschen in der Gegend. Die Engländer (Mr. Holme) unter uns, haben schon englische Polizei gesandt. Ich will nur noch sagen, die Mirra war in Beth Akerem zur Schule, Sie waren damals Direktor, Adon. Ich hab M. sehr gern gehabt, trotzdem die Leute mich warnten, sie spuckt aus, mich an, auf dem Corridor. Die Mutter hat sie oft nachts gehauen, ich wollte ihr nicht die Mutter trüben, und sagte, es sei alles Besorgniß. Ein Opfer hat sie immer! Mich schon 1 ½ Jahr. Der Anwalt will ich soll ruhig bleiben.
Die Besitzer vom Haus sehr nett zu mir.
(Alle wissen es sind empört
Ernest Simon, bitte schreiben Sie der Frau einen ernsten Brief!!
Sie lügt den Polen hier vor. von mir. Ich sei eine hergelaufene Comödiantin. Verdiene sehr unordentlich meine Habe oder Geld. Ehe daß sie die Folgen tragen wird, macht sie weiter so. Oder ist es schade für Ihren Namen? Dann nicht
Nur wenn es geht!! Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 336–338.
[143] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 27. September 1944
Falsches Ehrenwort!
Ich denk gar nicht an Gegenliebe. Im Gegenteil, ich wär enttäuscht vom schlechten Geschmack.
[Frauenkopf im Profil] Schuft ist die?
Lieber Ernst.
So schön warst Du heute!, ob ich nun ein Schuft bin oder nit, ich schreib Dir. Man muß nicht kleinlich denken. Ich wollte Deine Finger schnell küssen, aber faßte sie nicht schnell genug, und warf Dir Kußhand. Niemand sah es. Mir sind ja die Weiber und ihre Männer egale, aber Dir nicht. Ich küsse Dich immer, nur Werner der hannoverische Schulinspektor, dem lüg ich was vor, damit ich den Ausdruck der Empörung sehe, schimpf ich über Dich, beobachte. für die Zeichnerei. Ich küss immer Deine Hände, Deine Schultern, Deine Arme, Deine Länden, Deinen Leib den Dornenblütengehang Deine Beine, Deine Füße; lieg nachts auf Deinem Gesicht, das erfüllt mir alles. Ich hör Dich manchmal schimpfen mit mir; schadet nichts. Einladen mich, habt Ihr Angst, ich nehm stets ein Stück Zucker 2 in den Thee [Teeglas] und 2 caces statt 1 caces. Ich sprech Okt. Haifa und auch noch mal hier. Reis dann, sowie möglich fort. Bin heute entzückt gewesen. von unserm Raw und Dir. Ich dacht großartige Gewissheit. Habe neue herrliche Gedichte.
Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 344.
[144] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Dienstag, 10. Oktober 1944
Verzeiht zerrissen Papier bitte, Adon.
10. Okt. 44
Wie Hohn traf mich die Frage: »Wie gehts Ihnen?« Aber sofort tat mir meine Antwort leid, da Sie wie ein verlegener Junge aussahen, dessen Gemüt stolperte.
Ich liebe Dich nicht mehr, Ernest, aber ich bin beschenkt etwas, wenn ich Sie seh. Ich war gestern in der Synagoge so frech zu meiner turmhohen Nachbarin, die. Der einzige Grund wäre der, sie versperrte mir mit ihrer Größe den Weg, Sie kommen zu sehen. Aber darum war ich doch unerhört zu ihr. Zum Schluß wollt ich ihr ein Bonbon geben, das sie nicht nahm. Noch mehr – ich reichte ihr die Hand am Schluß, aber sie nahm sie nicht, da berührte ich ihren Arm.
Im Grunde wenn ich die Weiber so grinsend lachen sehe, bekomme ich Ekel. Zur Linken saß, dachte ich zuerst, eine Kunstgewerblerin. Nachher meint ich Ihre Frau. Fragte sie und sie erklärte mir, ihr Mann sei der Bruder von Ihnen. Sie lachte auch so verzückt zur Seite. Und ich fragte sie, ob sie verliebt sei? Aber die Jüdinnen hier halten Liebe für Albernheit. Ich verachte hier dieses zusammengeschüttete Volk. Jerusalem kein Portemonnaie voll Menschen. Natürlich geben es Ausnahmen. Z. B. unser Bischof Kurt Wilhelm. Ich glaubte Sie auch. Vielleicht doch Sie, aber ohne Toleranz. und Streich, lieber Ernest. Ich bin total allein, aber kenne mehr liebe Menschen. Ich bin selbst nichts mehr wie was Atmung. Als ich Dich liebte, besaß ich heimlich ein kleines Paradies. Im Grunde verarmt man nur durch inneren Besitz. Man kann sich kein Haus, keinen Palast, aber einen Himmel blau davon bauen. Ich bin nun ganz arm. Du aber, Ernest, mußt immer Ernest bleiben, wohl ein Junge, aber ein froher! Du, lieber Junge. Wir hätten immer Bonbons gegessen. auch im Gedanken.
Aber mein Herz kann nicht mehr bis zu Dir sprechen.
Der Jussuf
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 347.
[145] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Mittwoch, 22. November 1944
Else Lasker-Schüler
(℅ Weidenfeld)
Bait Hamaalothstreet
Gan Jerusalem
An der King Georgestreet (Querstreet)
22. Nov. 44
Nun schreib ich extra:
Lieber Ernest.
(Wir sind doch – Kinder).
Bitte unter uns! Ich mach letzten Kraalabend für: Uri Mayer. Ich kenne seine Verse nicht – aber wenn auch. Bitte unter uns – ja? – (frei nach Gustav Landauer dem wundervollen Menschen) für die Schweine noch zu gut. Er begann so: »Verehrte Schweine.« Wir lachten dann wie toll. War auch der Vortrag unter uns vom Café des Westens. Wir liebten ihn alle gleich.
Ernest, da hat sich Adon Sweet sicher geirrt, ich sprach zu ihm zu vielen von Ihrem Altargesang. Wann war der Prophetenvortrag? Und wann noch einmal? – Ich war und bin noch krank namentlich – beginnt die Dämmerstunde. Gestern am Abend – ich rief Frau Sichel jun, ihre Mutter war leider nicht da. Der große Rabbiner aus Frankfurt Main? ist ihr Onkel oder Mann.
Nun den Schaukelstuhl brauch ich nit; um mich etwa noch mehr in Träumen zu wiegen? Auch ekele ich mich vor alten Sachen – »Alte Sache«!!!!« Nur nicht und erst wer alles im Bett in Schwulst und 6xualität gerad und verdreht gelegen hat oder satt vom Schenkel und von Busen blond gelockter oder schwarzen Musen oder dergleichen Teigen oder (Teichen?) aus tranperierend süßen Fleischen – danke, Ernest, von Maimon, ich hab ein Bett geschenkt vom Kaufhaus Chefmann schon und ich bin hier zu laufen und zu rennen, mir nicht wie es so Mode Ruhe hier zu gönnen. Frag’ nur den Werner – beide wir lieben Puddings auf Geschirr: Chokoladenpudding (nicht in Milch gekocht) etwas Rum oder Cognac eingegossen – umkranzt von Schlagsahn und Macronen –
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 352.
[146] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, Freitag oder Samstag, 12. oder 13. Januar 1945
12. oder 13 Jan. 45
Verehrtester Dr. Ernst Simon.
Ich hab keine Ruh, da Sie meinen können, ich hab bei Begegnung nach 10 Jahren aus irgend einem bösartigen Grunde festgestellt, Sie seien nicht mehr so schön. Ich kenne keine Rache oder es müsste ein Duell sein. Sie hätten ja Zeit finden müssen, einer Dichterin die – Ehre anzutun, Sie mit ihr öfters zu unterhalten. Sie hatten aber Angst, sie fällt Ihnen um den Hals (Ausrufungszeichen.) Dann giebt man paar hinter die Ohren, im Fell. – – – Nun die Hauptsache: zu dick finde ich nicht!! Aber erstens: die Zähne müssen wieder geweißt werden, u. blombiert, aber nicht mit Silber! Lieber mit Gold. Dann überzogen mit Schneeweiß, fehlende ersetzt. Schnee muß in Ihrem Munde sein. Um aber nicht zu dick zu werden: Morgens: Mitz trinken. Orangen essen aufstehend, schon im Bett. Das Brödchen von innerm Weichbrödchen entfernen, da so was dick macht! Wenig Kuchen keine Caces und Café mit viel Zucker, Milch etc. Da jauchzen die Bürger allesammt, ein Liedchen,
das schon von Müller stammt
zusammen im Kreise
die einen krähen, die anderen leise
nach Erziehung und Kinderstube.
Es lebe Coeurdame und 3 × Coeurbube!!
Nur nicht hungern!!! Es hilft auch nichts! kennt man die Thesen der Medizin.
Sie müssen diesen Brief verziehn
Tino Jussuf.
Werner soll ja bald wieder im Cafe sein! Bin ich nicht mehr dort –
Dann klein Café: Brasil fast neben Empire.
[Kopf im Profil] ich
Falls Sie und Ihre Gewereth Toni nicht zu meinem Vortrag kommen, les ich alle Gedichte.
Ernst Simon sag ich vor.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 355.
[147] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum
Adon
Können Sie diesen Bogen ganz nur für Sich behalten und gelesen – zerreißen? Ich kenne einen sehr sehr guten hebr. Dichter, der mir in Berlin Freund gewesen, ja er hatte stets Sorge, ich könne verhungern. zur damaligen kargen Zeit. Er hielt einen großartigen Dichtervortrag, der geradezu entzückte. Er war mutig, er war ganz für Palästina, kämpfte mit den Völkern hier. Aber – man hat ihn vernachläsigt und er ist ein kindhafter Indianer. Ich erzählte ihm mal von Ihnen vor langer Zeit. Er hat keine Ahnung wie Sie sind und glaubte es nicht. Ich erzählte alles damals vorm halben Jahr Pastor Wilhelm. (unter uns bitte.) Er wird ihn auffordern hebr. Vortrag in der Synagoge zu halten, ihn vorher sprechen, kennen lernen. Ein unerhört temperamentvoller aparter Mensch mit viel Gemüt, aber er – spielt gern Soldat, ist auch im Grunde ein Soldat. Ich möchte seinen Namen nicht sagen bitte. Aber im Grunde werden Sie Sich sicher bald gut verstehen. Sein Vater, von ihm sehr geliebt, geflüchtet von ? nach Rußland, ebenso seine Mutter, die er anbetet. Ich bitte Sie, Adon, ihm nach dem Vortrag, Schönstes zu versichern. Er wird unsere Partei sein – er ist direkt fascinierend und aber auch draufgängerisch. Wir beide boxten uns oft, wenn er tobte auf den Straßen in Berlin, aber wir wußten wer wir beide. Man hat ihn vernachläßigt.
Ich tue das alles als Soldat vor Gottes [über dem s ein Stern] Thron –
Prinz Jussuf
Betreffender Wilderer vollständig unschuldig an Ihre Unanehmigkeiten, Adon! aber er könnte sprechen. in Ihrem Interesse
Anmerkungen
H (Brief): Deutsches Literaturarchiv Marbach, Zugangsnummer: 95.66.3. D: KA, Bd. 11, S. 360.
[148] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum
Lieber Ernest Apollon.
Ich war gestern wieder so entzückt und ich hätte auch so gern nach dem I. Vortrag Ernest geschrieben, doch ich sagte ja: Vom Himmel herab gesprochen! Jedes Wort reichen Sie den Zuhörern, mir Verschmachtete, in einer Silberwolke gewickelt. Die schönsten Abende, die ich habe in den Wochen und ich danke Ernest Apoll. Es schreibt Ihnen ein ganz armer verächtlicher Mensch, da Verachtung mich doch nun schrecklich färbt. Ich verschmachte und gehe Ihnen, setze ich mich auch zu – nah? zu Ihnen, Sie zu sehen, zu hören, gehe Ihnen aus dem Wege, der herrlichsten Wiesenschaumkrautwiese in der – Welt hier unten. So gern hätte ich Ihnen die Wunder erzählt die ich erfuhr; jetzt auch nicht mehr. Dämmerung überall! Darf ich Euch einen Brief für Adon Schocken zum Aufbewahren senden. Gebt Ihr bis Freitag keine Antwort, sende ich ihn Ihnen. Adon Schocken, jetzt in Amerika, mußte ich gerade diese an P. gerichtete Briefe geben für sein Archiv. Er ist gut zu mir. Ich kann hier sicher nichts bewahren.
Jussuf.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 360 f.
[149] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum
Ein kleines Gedicht für die Schönheit der Vorträge. Meine einzige Freude hier; bald ist die Welt nicht mehr .. Sie hat ausgelitten. Ich sitze auf ihrer kleinen Fußbank wie ehemals vor meiner Mutter [über dem M ein Stern] Schoß. Kommt der Abend gehe ich unter mit der Dämmerung, verwische wie vom Sand. Ich habe gar keine Hoffnung mehr, Ernest Apollo.
Sie lachten so bitter, wie ich Ihnen Montag dankte? Und doch weiß Jeder wie einzig, unnachahmbar Sie zu uns sprechen. Ich kehre dann heim, in die Fremde hier in mein Zimmer. Wie [Stern] hell wir uns Alle freuen werden, sehen wir Auseinandergeflüchteten Menschen, (ich meine: meine Stadt Theben und ihre Menschen und ich uns wieder. Aber wird es so sein?) Des Briefs Abschrift für Adon Dr. Schocken z. Z. Amerika, der sehr gut zu mir war und seine Gewereth sende ich nächste Woche. Er bat mich darum, falls ich ihn schreibe, (ähnlich wie den ersten) für sein Archiv. Ich sende ihn nicht aus Eitelkeit oder Vorteil, aber, daß sie beide mich nicht
– in die Grube werfen mal.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). Wahrscheinlich Nachschrift zu einem Brief, nicht zuzuordnen. D: KA, Bd. 11, S. 361.
[150] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum
Inl. Einladung!
In einem Couch
Lieg ich im Bett,
Ach wenn ich nur
Ne Hose hätt
Von Euch ne alte
Mit einer Bügelfalte.
Ich ging darin spazieren
In Eurer letzten Haut
Asketisch wenn es taut.
Der Werner meint estätisch,
daheim
So’n gemeinen Reim
Hat er mir nimmer zugetraut.
Ich denk an Euren Teetisch –
Ach Gänsebrust und Rettisch
Und Pöckelfleisch und Mischmisch
Und Jam von Aprikosen
Und allerlei son Chosen!
Ja ja ich bin verfressen
Noch dazu bei den Nässen.
Und bei dem Frost
Hier im Ost.
Wär ich am Toten Meere
Ich stöhnte in die Leere
Bis ich Euch singen höre
Ungefähre wie vor einiger Nacht.
Ich dank Euch für den Fetisch.
Ich denk an manchen Nachtisch
An all die süßen Speisen.
Ich bin schon am Vereisen.
Nur ne Buchse möcht isch!
Jussuf der ungezügelte.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 362.
[151] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum (16. oder 17.)
16. oder 17.
Golden boy.
Ich habe eben eine gelungene Räubertat vollbracht wie nie. Ich war in Not und Schande am Rand der Rande: I love jou. Ich aber sehe ein man darf zum Reigen seiner Freude den Zwoten nicht laden. Man darf sein Herz nicht zeigen den Leuten den Faden nicht offenbaren.
I love jou
I love jou
I love jou
I love jou
I love jou
I love jou
I love jou
I love jou!
Ob ich geliebt oder nicht geliebt werde.
I love jou! Tag und nacht. Die Menschen sind nicht noble genug zu lieben. [Kopf im Profil]
I love jou! [als Punkt des Ausrufezeichens ein Stern]
I kiss jou allways day and night.
Beinahe hätte ich Ihre Fingerspitzen geküsst heute früh. Ihre Schulter vor mir. Aber ich war zu schäbig – angezogen u. die Leute guckten.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 363.
[152] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum
Bitte Antwort! wann Sie sprechen?
[sieben Sterne]
I love jou Ernest Apoll, – lent nobody know it. I dream [da]y and night of jou will nothing of jou, only to look jou – indeed
Jour poor Malik and princ of Tiba.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 363.
[153] Else Lasker-Schüler an Ernst Simon
Jerusalem, ohne Datum
Entre nous
Bei Dr. Nothmanns ist jetzt: Frau Elsbeth: (Roman) Margarete Moses vom Sinaï gekommen, die Schwester pflegen.
Ein Pralinée bekam ich aus Tel-Aviv.
Anmerkungen
H (Brief): The National Library of Israel, Jerusalem, Ernst Simon Archive (Arc. 4* 1751 01 633). D: KA, Bd. 11, S. 364.