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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Donnerstag, 8. Oktober 1936

Emil Raas
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Zürich. Fraumünsterpost postlagernd

8. Okt. 36.

Lieber Mill.

Nun bin ich einen Monat paar Tage schon wieder hier. Ich müßte auch wieder aus meiner Kajütte am Limmatquay wieder weiterziehen, aber die Zürcher wollen es viele nicht. Mit Frau Nationalrat Farbstein bin ich täglich zusammen und der Nationalrat hilft und sie. [2] Und meine 2 anderen Retter, die mir monatl. 100 Frc. geben, sehr fein geben, haben schon einen Anwalt, der dort vorsprach – warum ich eigentlich fort soll? Ich hörte von dem Beamten nämlich: Damit ich nicht event bei berliner Ausbürgerung der Schweiz zu Last falle. Nun hat Dir. May einen so entschlossenen Brief geschrieben, er verpflichte sich bis März für mich mit Dr. Ittman etc., Brann zu sorgen. »Später weiter«, sagte er zu mir.« Doch unerhört liebevoll?? Ich hab nun noch ein Bild für diesen Monat gemalt und dieser Monat für mich gut gesorgt sehr gut. Aber [3] ich kann nichts sonst für den zweiten Menschen tun. Aber ich hoffe die 4 noch nicht verkauften Bilder, die die steinreiche Frau mitnahm, werden dieser Tage für Berliner verkauft. – Für mein Mädchen, die mir treu war und ist und 1 für 2 schöne junge Mädchen (Halbarierinnen) und ihren armen alten schwachen Väter. Ich bin das der mir teuren Mutter schuldig, die so lieb zu mir, Taugenichts, früher war, als ich nichts wie Streiche machte und später zu meinem Kinde. Ich wurde ja nie fertig und werde nie fertig und abends wenn ich mich hinlege, atme ich auf wie ein Wüstentier, dem, und wenn auch die wertvollste Last vom Rücken genommen. [4] Dr. Oprecht druckt mein Palästinabuch, verspricht sich großen Erfolg. Aber Geld bekomme ich höchstens 100 Frc. per Monat 2 Jahre und Abrechnung. Aber der Büchermarkt miserable, sagten mir alle Redakteure. Die Dichter bezahlen ihren Buchdruck. Nun hat das Manuscript noch ein ferner Verlag. Mein Schauspiel wird wahrscheinlich hier! Ich muß Dir. Zimmermann mein letztes Buch senden. Die Schauspieler direkt entzückt. Soll ich 2 der Briefe senden? Frau Gener. Direktor Rieser ließ mich von der Reise grüßen, ich soll ja Dir. Rieser Buch senden. Sandte es. Heute Première: Hamlett oder mit einem t? Die muß vorbei sein dann besucht mich Marianne Rieser.

[5] Nun meine neuen Bilder, die wie nie gelungen. und besonders Pauls Bilder unvergleichlichen. Ich verkaufe sie nicht – aber für ein Museum gut Berlin hat 4 erworben. Gleich kommt aus meinem ehemaligen Kunstsalon Paul Cassirer, der jetzige Besitzer sich meine Bilder ansehen. Vielleicht übernimmt er Verkauf? Ich geb das Geld den Armen selbstredend. Dann brauch ich Niemand mehr belästigen. Ich bin nit, nie gewesen, Jemand mit Minderwertigkeitsgefühlen. Ein Irrtum von Ihnen. Ich ließ Sie dabei, damit Sie mich trösteten. Vor Gott ein kaum sichtbar Stäubchen, aber vor diesen Menschen, einige ausgenommen, ein Goldstäubchen. Nie lernte ich aber so viele Menschen kennen mit Minderwertigkeitscomplexen, Klecksen, [6] und maßloser dicker Arroganz wie in der Schweiz. Ist es nicht schon alles ein lieber Mensch zu sein? Wo aber ist ein lieber Mensch, der handelt und spricht wie er möchte und empfindet? Entweder spricht mich bodenlose Taktlosigkeit an oder literarische Aufmachung. Ich bin nicht poetisch, ich bin eine Dichterin. Meine Landschaft lebt vor allen Dingen in mir! Und meist, (nicht Sie, Sir Mill,) quatschen und besteigen die Menschen Landschaften, die nix in sich grünen lassen können. Ich glaube der Dichter will Vegetation [7] für sein Gemüt, damit es nicht reift und hagelt und sein Herz erkaltet und alles erfriert darin. Das hab ich so recht empfunden auf dem großen 14 tägigen Künstlerfest hier – ich war Mitarbeiterin seines netten Journals. (Wollen Sie es?) Also ich meine, als ein Buffola Bill plötzlich aus dem Tanzmittelpunkt sprang und meine Hände küßte. Ich schreibe das nicht aus einem albernen Grund – ich schreibe das aus Wahrhaftigkeit. [das W als Herz] Ich forme mich auch nicht nach Ihrem Willen wie auch nicht nach dem Willen eines anderen fremden zweiten Menschen. Ich bin so wie ich bin!! Ihr Trotz – warum? Für die paar Leute. [8] Warum?? Ich sprech mal die Wahrheit! Ich finde ja Ihren Trotz sehr lieb – so recht jungenhaft, so recht verzogen von früher – sehr nett, Mill. Aber Sie verschwenden mit Trotz und verdunkeln sich die Welt. Ich kenne Sie schon und ich bin so vorsichtig mit Ihnen. Darum sprechen Sie nicht mit mir am Telephon vorerst; ich bin voll Traurigkeit und Verachtung. Und Einsam mit ein paar lieben Gedanken, manchmal noch von uns zwei, die ich hege. Ich habe seit gestern, da ich mit Pantoffeln in die Fremdenpolizei lief, hin, her, wieder hin, zu all den Leuten – durch Fluten von Gewässern, die größte Erkaltung um landschaftlich saisonhaft zu sprechen; [9] Schnee fällt auf meinen Rücken und ich friere sehr! Ihr Brief sehr lieb. Schreiben Sie doch mal ein Buch über Wiesen – sonst schreib ich es von meinem Herzen abgeguckt. Denn Berge: starr Blumen darauf – auch starr. Ich bin direkt ein kalter Mensch. Sie haben recht.

Dr. Gafner ist im Militärdienst noch 2 Wochen. Er ruft Sie sicher, Mill! Kann Dr. Farbstein was tun? Frau Dr. tut mir jeden Gefallen, noch handelt es sich um einen Menschen wie Sie, Mil! Besondere tiefe Frau, Frau Nation. Grimm. Denken Sie meine Erna Greiner, Schwester meiner Freundin Maria Moissi wieder hier und die lieben Dr. Kanarsch. Ich konnte nicht schreiben vor Zusammensein mit den lieben Menschen auch wollt und konnt ich nicht und wollt nicht. [10] Eine Nacht logierte ich bei Dr. Karnasch und Ruth Karnarsch: Gloriastr. 66. Ich lag unter marrokanischen Kameldecken. Morgens entfloh ich früh 8 Uhr. – Wir sprachen die Nacht in Bern, aber Sie prügelten mich mit Worten und ich trank einen bitteren Wein und aß harte Krusten. und hängte mein [Herz] im Vorbeigehn an einen Türpfosten. Ich war mir dann gewiß! Ihnen nicht böse, aber ich reiste dann nach Ascona mit der Hoffnung die Sonne würde mich trösten schwesterlich. Dort war Jemand, der nachts manchmal im Vorbeigehen – die Wolgaschiffer pfiff; ganz leise für mich. Ich kannte ihn kaum; später wurde er verhaftet – aber wir, der Sohn Peter vom Maler Kohler und ich holten ihn in Locarno aus der Polizeihaft. Nun [11] ist er in Südafrika sicher. Ein Flieger aus der Gestappo, den die Sache aneckelte. Er sagte manchmal an der Hochachtung erstarre mein Gemüt. Ihm verdanke ich, daß ich jetzt so zeichne – denn er zwang mich wieder zu zeichnen – fast, wie man Buchstaben schreibt. Auch das Gold und etc. Staniol muß man verstehen zu kleben. Es ist kalt in mir geworden, Sie waren der Blutfaden über den ich nicht balanzierte, aber ruhig wandelte wenn ich erschöpft war oder alleine oder inmitten der Menschen saß. Ich bin Ihnen böse, ich hab alles verloren – ich gehe wieder allein ohne Träumerei am Urwaldrand, laß mich verhöhnen von den Schimpansen und auspfeifen von den bunten wilden Vögel. Aber eins noch, (unter uns) ein sehr wichtiger Kriminalist Polizei dichtet auch, er bringt mir oft Blumen und wird mich nicht im Stich lassen, sagte er gestern.

Der Jussuf

[Kuvert:]

Herrn Fürsprech

Emil Raas

Bern

Balmweg 7.

Eben Bild großartig verkauft Kunsthändler aus Holland) – Berlin direkt – begeistert. –

Anmerkungen

Poststempel: Zürich, 8. 10. 36.

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 31).