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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, wahrscheinlich Ende Dezember 1934

Emil Raas
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Hochzuverehrender Mill.

Wie es Sitte ist im indian. Stadthaus Tiba und Hochachtung gegen einen eingewurzelten Sohn des fremden Landes. Ich bin der graue Nachtgeyer Medizinmann und treuster Spielgefährte Jussufs, den ich ungemein schätze als Indianer und Freund in den Urwäldern und Flüssen. Beide am Mündarm des Missisippi geboren am gleichen Tage in gleicher Stunde besteht gerade zwischen uns beiden ein Zwillingsverhältniss und Niemandem im Stamm glaube ich näher verwandt und bekannt als ihn – Jussuf Abigail Pampey. Ich habe wiederrum einen angeschossenen Arm trage ihn in der Binde. Verdanke ihn einem herumlungerndem schnöden Weissgesicht und gerade ist es Jussuf mein Freund der mit mir den Strand des Rivers absucht und die Astrandsträucher wo sich die hinter dem dichten Blättern die noch dazu munden, mit Vorliebe versteckt aufhalten. Ich fühle mich verpflichtet meinen Spielgefährten da er von seinem Eide im Craal nicht entbunden werden kann, zu verteidigen. Mein Spielgefährte weiss, ja er ahnt nichts von meiner selbstständigen Einmischung. Ich glaube er würde sich das sehr verbitten. Aber es rannen wirklich Tränen aus meinen Augen, als ich Ihren Brief las, den Mein lieber Spielgefährte aus seiner Fransentasche verloren hat ihn noch immer sucht. Bei mir ist er geborgen. Dass mein Freund der so lieb zu unseren kupferroten Indianerkindern ist keines ohne ein Geschenk vorübergehen lässt von anderen Kindern wenn auch anderen Stammes wie von Huren gesprochen oder geschrieben haben sollte, muss sicher auf Irrtum beziehen. Würden Sie die Freundlichkeit besitzen noch einmal den Brief durchzublättern? Jussuf ist oder neigt in einzelnen Fällen und Unfällen zu Brutalität. Nicht zu verwundern bei den vielen Kämpfen die er mutig zu bestehen auf Befehl des Häuptlings auszufechten hat. Auch der viele Kaugummi, den wir zu kaufen pflegen von den Cowboys droht durch das mannigfache ausspucken der Waare den Menschen zu verrohen. [2] Auch warnte ich meinen Spielgefährten im Kleiderrock wenn auch aus blinder brausender Liebe Ihnen in Briefen zu begegnen. Er ist nur stark und der echte unverfälschte Jussuf in der Federtracht unserer Stämme. Und ich sein Freund habe das Unglück kommen sehen. Er gedacht in seiner reinen abenteuerlichen Art den Hinweiss zu verbergen. Das ist ein Indianer oder das ist eine Indianerin. Er kam aus den Wolken geschossen. Nicht männlich noch weiblich aber sächlich-tatsächlich als ein Mensch vom Westhimmel herab. Denn er liebte Sie. Mir verzeiht die Bemerkung auf die ich zurückkomme – unbegreiflich. Denn im Stamm geben es bedeutende Indianer wenn sie auch keine Fürsprecher Examen absolvierten, aber grossartige Pfeilschützen sich erfreuen und bis zu den noch einzel künstlich am Leben gebliebenen Asteken, vornehme Menschen sind. Wir haben aber eine Hochachtung alle im Stamm vor dem Zustand der Liebe der in die Himmel versetzt dass wir unserem Indianer mit noch grösserem Ehrerbietung begegnen wie schon stets und wir werden ihn schon trösten. Machen Sie Sich keine Sorge Sir, für die wir Ihnen jedoch dankbar ergeben sind heute und stets. Es tut mir leid nicht in Ihren so geliebten Bauerndialekt zu antworten. Jussuf noch ich haben zu wenig Erfahrung von der Eigentümlichkeit der schweizer Bauern. Nur erlauben Sie mir ohne Vorwitz zu entgegnen, dass der Schreiner zum Beispiel doch eigentlich nie mit dem Holz das er verzimmert identisch ist oder der Schlosser mit dem Eisen selbst. Höchstens macht er sich einen Dietrich daraus und bricht ein oder öffnet Schränke die nicht aufzukriegen sind Allerdings er formt auch Canäle durch die das Wasser metodisch fliesst. Aber noch nie sah ich einen Handwerker, der Eisen oder Holz oder gar elektrisch gewesen wäre. Einen Ingenieur selbst nicht ausser mal einen Meistererfinder. Der heilige Geist ist alles. Der heilige Geist der alle Dinge selbst die Erde des Bauern durchschreitet. Das [3] Lächeln Gottes bewegt die Welt. Und die friedlich lächelnde Welt bewegt Gott zum Lächeln. Aber wer vermag zu lächeln? Gewiss nur die sechsunddreissig Gerechten die auf Erden nichts ahnend wandeln. Kein Spott bei meiner Indianerehre – Vielleicht sind Sie einer von Denen. Da wollen wir uns beugen im Craal vor Ihnen. So wahr ich der grauer Nachtgeyer bin Jussufs Freund. Die Bauern die ich in Ihrem Erdteil begegnete, haben auf mich wenn auch einen riesigfleissigen aber sonst keinen Eindruck gemacht. Wir Indianer der alten Cultur sehnen uns nach der verfeinerstem Odem der Sprache, und schon die meisten dumpfen wie geschwollenen Dialekte Ihrer Kantone sind unseren Trommelfällen Rüben und Kartoffeln. Sie erfreuen Sich eine Ausnahme einem weit feinerem Dialekt und man könnte sagen die Kartoffeln zerfliessen wie Mus in unseren geplagten Ohren, als Sie zu reden begannen. Dank ewig dafür und grosse Gastfreundschaft, Sir. In Dörfern wo so viele Bauern zu Hause sind, und bekannt ihrer grossen Schläue namentlich im Westfalenlande, ist man im Handel sehr auf der Hut mit ihnen. Aber nichts für ungut Sie mögen grössere Erfahrungen gemacht haben denn jedes Land hat seinen Kropf ich meine Schopf wie Jussuf Nicht Huren meinte sondern Fluren. Wenn Jussuf sagt zweifle ich nicht an sein Wort. Kinder sind hier entweder Klatschbasen oder Fluren. Da kommen Sie Sich entgegen. Mütter sind sie nicht denn sie werfen die alte Puppe fort und tragen die neue herum. Übrigens bietet mein Freund Ihnen seine Negerpuppe an die ihm ein kleines Indianerkind schenkte am Heerdfeuer am Abend. Diese kleine Puppe ein Negerkind mit Perlenaugen und einem Herzlein aus Bernstein um den Hals, wird von ihm und uns Indianern allabendlich zugedeckt denn die Nächte beginnen kalt zu werden und kein Halm wächst mehr selbst am River nicht, Kalt ist es mit Jussufs Herz auch in unseren Herzen geworden und überträgt sich auf die Landschaft. So sind wir verwachsen [4] mit dem Boden wo unsere Zelte stehen und standen. Und sind doch keine Bauern direkt aber Menschen abgetrennt und doch noch hangend bangend am Universum. Schlichtheit die primitiv ist gehört zu unserer Vergangenheit. Unter weissen Jungadlerfederkronen schlagen grosse starke Herzen im Craal. Sünde ist Langweile. Und primitivdenkende Menschen darum fast alle langweilen Sie sind sündig schon im Herannahen. Und nicht da sie unsere hehren Tiere die verdammten Weissgesichter in den Gegenden von Peru abgeknallt haben nicht allein darum hassen wir sie – sie haben uns beim Heerdfeuer gelangweilt. Wir sind fest dagegen überzeugt dass Ihre hohe Gegenwart uns beim Schmause gebratener Keebsblätter uns feierlichst unterhalten würde. Aber wie gesagt die Zeit ist kalt und wir ziehen bald in des Nordendes Westend wo seltsamer weise noch trotz kälterer geographischer Lage, die Wiesen hoch wie der Bau unserer Zelte auf schiesst und immer höher gedenkt aufzugehen. Sie sind noch jung. Das wissen wir. Wir sind auch jung denn unsere Lenze gähren in Gewölben bis wir sie wie den Maiswein herausholen zum Fest. Aber unsere Jungen Jahre sind kupferrot und die Ihren blond. Gewaltiger Unterschied. Und ich habe meinen Spielgefährten erklärt – dass Sie und die werten Schwitzer 70 Jahre alt schon in der Wiege liegen in Windeln aus Pflichtbewusstsein gewebt. Wir aber 5Mal die Zähne erst wechseln müssen, ehe wir sechs Jahre alt sind und dann noch im Schooss oder auf dem Schoos der Welt sitzen. Wir mit Feuersteinen handeln immerda Ihr mit Rappen und Talern und Pfunden in Europa wir Liebesbücher mit uns herumtragen Ihr Contobücher oder gelehrte Paragraphen lernt eine etwaige Marktfrau oder Herrn Betrüger Coommerzienrat zu verteidigen. Wir Indianer richten die Urwälde und Flüsse und werden vom Cosmos Cocos gerichtet. Bitte alles unpersönlich. Jussuf ehrt Sie und darum wir alle. Sie seien ein Scheusal aber ein vornehmes geliebtetes Scheusal. Keine Sorge um ihn er findet all richtig und [5] giebt Ihnen recht. Sehen Sie Sir so lieb ist Jussuf. Und zum Abschied sendet er Ihnen morgen ein Bild damit Sie gut von ihm denken ewiglich. Denn er will Ihr Glück, da Sie ein bedeutender, aber verzeiht auch ein lieber Bengel sind.

Meine Verbeugung.

Der graue Nachtgeyer

der Medizinmann.